Profilbild von milkysilvermoon

milkysilvermoon

Lesejury Star
offline

milkysilvermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit milkysilvermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.04.2025

Der 4. August, ein vielfacher Jahrestag

Frau im Mond
0

Die Zwillinge Lilit und Lina el Shami wachsen bei ihrem Großvater Maroun in Montréal (Kanada) auf. Vor drei Generationen sind ihre libanesischen Vorfahren ausgewandert. Als die Schwestern eine alte Postkarte ...

Die Zwillinge Lilit und Lina el Shami wachsen bei ihrem Großvater Maroun in Montréal (Kanada) auf. Vor drei Generationen sind ihre libanesischen Vorfahren ausgewandert. Als die Schwestern eine alte Postkarte von ihrer Großmutter Anoush finden, beginnen sie, sich für ihre Herkunft zu interessieren. Fragen tauchen plötzlich auf: Warum haben es dem Großvater Raketen angetan? Was hat es mit dieser Frau im Mond, die im Text der Postkarte erwähnt wird, auf sich? Lilit startet eine Recherche und folgt den Spuren bis nach Beirut (Libanon)…

„Frau im Mond“ ist ein Roman von Pierre Jarawan.

Die Struktur ist, wie bei Jarawan gewohnt, verschachtelt und sehr durchdacht: Der Roman besteht aus drei Teilen, benannt nach den Stufen einer Rakete. Die 50 Kapitel sind nummeriert, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, um einen Countdown nachzuahmen. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Erzählt wird vorwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lilit, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit zahlreichen zeitlichen Sprüngen.

Das Personal des Romans ist unerwartet umfangreich. Der Fokus liegt allerdings auf Lilit und ihrer Familie. Die Figuren machen einen lebensnahen Eindruck und verfügen über psychologische Tiefe.

Auf der inhaltlichen Ebene hat der Roman zwei Schwerpunkte: Zum einen ist er ein unterhaltsames Familienepos, zum anderen eine interessante Auseinandersetzung mit zwei historischen bedeutsamen Ereignissen im Libanon: der Start einer Weltraumrakete im Jahr 1966 und die Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020.

Auf den fast 500 Seiten werden die Themen geschickt miteinander verknüpft. Die Handlung ist sowohl schlüssig als auch kurzweilig. Sie hält Überraschungen bereit.

Die sorgfältige und fundierte Recherche des Autors wird immer wieder deutlich, nicht erst in der ausführlichen und interessanten Danksagung. Löblicherweise hat er zudem eine Nachbemerkung verfasst, die die Geschichte um weitere historische Details ergänzt. Ein tolles Extra sind außerdem die beiden Fotos am Ende des Buches, die der Autor selbst angefertigt hat.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich das Buch überzeugt, wenn auch nicht so sehr begeistert wie die beiden ersten Romane des Autors. Die Dialoge wirken lebhaft und authentisch. Die Beschreibungen sind anschaulich und atmosphärisch. Erneut stellt Jarawan sein erzählerisches Können unter Beweis.

Die Covergestaltung wirkt auf mich aufgrund des Designs, das an eine Collage erinnert, etwas unruhig. Sie passt aber genauso wie der Titel gut zur Geschichte.

Mein Fazit:
Zum dritten Mal ist Pierre Jarawan ein äußerst lesenswerter Roman gelungen, der zugleich aufklärt und hervorragend unterhält. Auch „Frau im Mond“ wird mir noch lange in positiver Erinnerung bleiben. Große Empfehlung!

Veröffentlicht am 02.04.2025

Eine Familie, zwei vermisste Kinder

Der Gott des Waldes
0

August 1975 in Camp Emerson in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York: Barbara Van Laar (13) nimmt zum ersten Mal am Sommercamp im Naturreservat ihrer reichen Familie teil. Anfangs verläuft ...

August 1975 in Camp Emerson in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York: Barbara Van Laar (13) nimmt zum ersten Mal am Sommercamp im Naturreservat ihrer reichen Familie teil. Anfangs verläuft alles normal. Doch eines Morgens ist die Jugendliche plötzlich verschwunden. Ist sie bloß abgehauen oder ist etwas Schreckliches passiert? Während der fieberhaften Suche kommen bei vielen die Erinnerungen an Barbaras Bruder hoch, der 14 Jahre zuvor vermisst gemeldet wurde und seitdem nicht mehr aufgetaucht ist. Hängen beide Fälle zusammen?

„Der Gott des Waldes“ ist ein Roman von Liz Moore.

Die Struktur des Romans ist sehr komplex: Er besteht aus sieben Teilen mit mehreren Kapiteln. Dabei gibt es drei Haupterzählstränge: einer betrifft den ersten Vermisstenfall, einer den zweiten und einer die Zeit vor dem Verschwinden des Erstgeborenen. Die Handlung spielt zu verschiedenen Zeitpunkten von der 1950er-Jahren bis zum September 1975. Dabei springt der Roman hin und her. Dennoch fällt es dank eines Zeitstrahls zu Beginn der Kapitel leicht, sich zurechtzufinden. Erzählt wird außerdem aus überraschend vielen Perspektiven. Die Landkarte in den Innenklappen hilft bei der räumlichen Orientierung.

Das Personal des Romans ist erstaunlich umfangreich: Immer wieder werden neue Charaktere eingeführt. Nicht nur die Mitglieder von Barbaras Familie, sondern auch die Angestellten und Teilnehmenden des Sommercamps sowie das Team der Ermittelnden und andere Figuren tauchen auf. So entsteht ein breites Gesellschaftspanorama. Trotz der vielen Personen werden alle handelnden Charaktere mit ihrem individuellen Hintergrund und mit psychologischer Tiefe dargestellt.

Vordergründig geht es in der Geschichte um zwei mysteriöse Vermisstenfälle. Diesbezüglich werden einige Fährten ausgelegt. Es gibt überraschende Enthüllungen und unerwartete Wendungen. Beeindruckend ist das Geflecht an Zusammenhängen, Beziehungen und Verknüpfungen. Obwohl der Roman knapp 600 Seiten umfasst, bleibt die Geschichte undurchsichtig, unterhaltsam und durchweg spannend. Sie kommt gänzlich ohne Wiederholungen oder langatmige Passagen aus. Zudem erscheinen die Handlung und die Auflösung der beiden Fälle stimmig.

Doch es greift zu kurz, die Geschichte bloß als Spannungsroman zu verstehen. Vielmehr wird hier ein umfangreiches Porträt der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten gezeichnet. Es geht um bedenkliche Strukturen in wohlhabenden Familien, die sich von Generation zu Generation fortsetzen, und das Verhalten einflussreicher Personen gegenüber finanziell Schwächeren. Es geht auch um innerfamiliäre Beziehungen und die Stellung der Frau.

So verschachtelt und facettenreich der Inhalt, so klar und schnörkellos ist die Sprache. Dennoch passen die authentischen Dialoge und anschaulichen Beschreibungen ebenfalls gut zur Geschichte.

Das ungewöhnliche, gelungene Covermotiv rundet den Roman ab. Nur der Titel, dessen deutsche Übersetzung nahe am englischsprachigen Original („The God of The Woods“) bleibt, erschließt sich mir nicht so ganz.

Mein Fazit:
Nach „Long Bright River“ hat mich Liz Moore erneut überzeugt. Auch mit „Der Gott des Waldes“ ist der Autorin ein spannender und vielschichtiger Roman mit Tiefgang und zugleich hohem Unterhaltungswert gelungen. Definitiv empfehlenswert!

Veröffentlicht am 02.04.2025

Franka und die Dorfnazis

Unter Grund
0

München im Sommer 2017: Mit einer Klasse besucht Referendarin Franziska Zimmermann, genannt Franka, den NSU-Prozess. Dabei kommen plötzlich Erinnerungen an ihre Schulzeit hoch, als sie in rechte Kreise ...

München im Sommer 2017: Mit einer Klasse besucht Referendarin Franziska Zimmermann, genannt Franka, den NSU-Prozess. Dabei kommen plötzlich Erinnerungen an ihre Schulzeit hoch, als sie in rechte Kreise geraten ist…

„Unter Grund“ ist der Debütroman von Annegret Liepold.

Die äußere Struktur des Romans ist simpel: Es gibt neun Kapitel. Erzählt wird aus der Sicht von Franka allerdings auf zwei Zeitebenen: einerseits in Frankas Referendarzeit im Jahr 2017 und andererseits während ihrer Schulzeit im Jahr 2006. Die Handlung spielt in Bayern.

Die Sprache ist bildstark und sehr atmosphärisch. Die anschaulichen Beschreibungen und lebensnahen Dialoge haben mir gut gefallen.

Protagonistin Franka ist eine äußerst interessante Figur. Sie wird zwar mit psychologischer Tiefe dargestellt, kommt jedoch leider teilweise melodramatisch rüber und wirkt dadurch selbst im Jahr 2017 noch unreif.

Thematisch dominieren die Fragen, wie junge Leute in rassistische und rechtsextreme Kreise geraten können und wie der Absprung gelingen kann. Dargestellt wird, wie attraktiv die Gemeinschaft auf Außenseiter wie Franka wirken kann und wie empfänglich gerade unsichere Heranwachsende, insbesondere Mobbingopfer oder Personen mit instabilem Umfeld, für extreme politische Positionen sind. Diesbezüglich ist die Protagonistin ein gutes Beispiel. Zugleich wird in der Geschichte aufgezeigt, wie familiäre Einflüsse und Prägungen eine rechte Gesinnung begünstigen können.

Auf den rund 250 Seiten werden darüber hinaus weitere Themen angeschnitten, was den Roman vielschichtig und gehaltvoll macht, ihn zugleich aber zerfasert. Nach den zahlreichen Andeutungen in den ersten Kapiteln habe ich die Geschichte insgesamt zudem als etwas unspektakulär empfunden.

Das schöne Covermotiv ist sowohl in optischer als auch in inhaltlicher Hinsicht eine gute Wahl. Der mehrdeutige Titel passt ebenfalls hervorragend.

Mein Fazit:
Mit „Unter Grund“ ist Annegret Liepold ein empfehlenswerter Debütroman gelungen, der mich vor allem auf der sprachlichen Ebene überzeugt hat. Trotz kleinerer Schwächen hat mich auch der Inhalt nicht enttäuscht.

Veröffentlicht am 22.03.2025

Zusammenhalt ist der Deal

Wenn wir lächeln
0

Mitte der Nullerjahre im Ruhrgebiet: Zufällig lernen sich die Jugendlichen Jara und Anto kennen, als sie 13 Jahre alt sind. Die heranwachsenden jungen Frauen wohnen als Einzelkinder bei ihren alleinerziehenden ...

Mitte der Nullerjahre im Ruhrgebiet: Zufällig lernen sich die Jugendlichen Jara und Anto kennen, als sie 13 Jahre alt sind. Die heranwachsenden jungen Frauen wohnen als Einzelkinder bei ihren alleinerziehenden Müttern. Während Anto keine Geldsorgen kennt, kommt Jara aus einfachen Verhältnissen. Dennoch halten beide sofort zusammen. Aus Langeweile streifen sie durch die Stadt, gehen feiern, konsumieren Alkohol, Zigaretten und Drogen. Mit dem Gesetz nehmen sie es nicht so genau. Kann das auf Dauer gutgehen?

„Wenn wir lächeln“ ist der Debütroman von Mascha Unterlehberg.

Die Struktur des Romans ist nur auf den ersten Blick simpel: Er gliedert sich - nach einem Prolog - in zwei Teile mit insgesamt 83 kurzen Kapiteln. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Jara, allerdings auf zwei Ebenen und nicht chronologisch. Es gibt immer wieder Zeitsprünge, Vorausdeutungen und Rückblenden. Sogar einzelne Szenen sind gesplittet und verteilen sich über mehrere Kapitel. Diese raffinierte Erzählstruktur funktioniert sehr gut.

Unklar bleibt, wo genau die Geschichte spielt und wie viel Zeit sie umfasst. Die vielen zeitgenössischen Referenzen, beispielsweise das Sparabo für Klingeltöne, die Mode, Lieder und Filme, bieten jedoch eine Menge Anknüpfungspunkte.

Die Sprache passt zum jugendlichen Alter der Protagonistinnen. Sie ist roh, ungekünstelt und direkt. Auffällig sind die vielen Dialoge, die sehr authentisch wirken. Verschiedene Stilmittel werten den Text literarisch auf.

Sowohl Jara als auch Anto werden vielschichtig und mit psychologischer Tiefe dargestellt. Ihre Zweifel, ihre Unsicherheiten, ihre teils widersprüchlichen Gefühle, ihre Fehler und Schwächen, all dies macht sie zu glaubwürdigen Figuren ihrer Altersgruppe. Ihre Entwicklung ist nachvollziehbar und stimmig.

Zwei Themen stehen im Vordergrund der Geschichte. Da ist einerseits die besondere Freundschaft zweier jungen Frauen, die auch in schwierigen Momenten füreinander einstehen. Sie verlassen sich aufeinander, beschützen sich gegenseitig, weil es sonst keiner tut. Und da ist andererseits der bedenkliche Umgang mit weiblichen Personen in der Gesellschaft. Immer wieder zeigt der Roman misogyne und sexistische Muster auf, die bereits Minderjährige mit voller Wucht treffen: unerwünschte Berührungen, anzügliche Blicke, vulgäre Sprüche, sexualisierte Gewalt und vieles mehr. Was machen diese tagtäglichen Erfahrungen in der Stadt mit weiblichen Jugendlichen, die gerade erst dabei sind, erwachsen zu werden? Wie fühlt es sich an, sich ständig damit konfrontiert zu sehen, meistens ohne dass jemand einschreitet? Das leuchtet der Roman aus und setzt damit feministische Denkimpulse.

Auf den rund 250 Seiten enthält die Geschichte überraschende Elemente und entfaltet einen zunehmend stärkeren Lesesog. Immer intensiver wird das Gefühl, dass es zwischen den beiden zum Konflikt kommen könnte oder etwas Dramatisches bevorsteht. Das Ende wird dieser Erwartung gerecht und ist absolut schlüssig. Gut gefallen hat mir auch, dass die Geschichte nicht bis ins kleinste Detail auserzählt wird.

Das Cover ist hübsch. Etwas passender hätte ich ein Motiv mit zwei Gesichtern empfunden. Der mehrdeutige Titel ist hingegen eine vorzügliche Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Wenn wir lächeln“ hat mich Mascha Unterlehberg in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Ein lesenswertes Debüt und eines meiner Highlights im Lesefrühjahr 2025!

Veröffentlicht am 21.03.2025

Keine perfekte Zweckgemeinschaft

Halbe Leben
0

Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, ...

Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, eine ehemalige Lehrerin, nach einem Schlaganfall unerwartet früh zum Pflegefall wird, muss sich Klara eingestehen, dass die Familie Hilfe benötigt. Über eine Agentur kommt Paulína (38) aus der Slowakei als Pflegekraft ins Haus. Zunächst scheint es, für alle Beteiligten die perfekte Lösung zu sein…

„Halbe Leben“ ist ein Roman von Susanne Gregor.

Untergliedert in drei Teile, wird im Präsens erzählt. Der Schluss der Geschichte ist an den Anfang gestellt. Davon abgesehen, wird in chronologischer Reihenfolge mit einigen Rückblenden erzählt.

Die Sprache ist atmosphärisch, eindringlich und einfühlsam, aber zugleich ungekünstelt. Der Schreibstil ist unaufgeregt und gleichzeitig einnehmend.

Drei Frauen stehen im Vordergrund der Geschichte. Vor allem die Protagonistinnen Klara und Paulína stechen hervor. Ihre Charaktere verfügen über viel psychologische Tiefe und wirken lebensnah. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich, man kommt ihnen sehr nahe. Keine der beiden ist frei von Fehlern. Auch Irene bleibt nicht eindimensional. Sie sowie die übrigen Figuren werden ebenfalls authentisch dargestellt.

Was bedeutet es, für die häusliche Pflege auf jemand anderen angewiesen zu sein? Was macht die anspruchsvolle, anstrengende Arbeit im Ausland mit den Pflegekräften und ihren Familien? Diese beiden Fragen leuchtet die Geschichte eindrucksvoll aus. Sicherlich: Die Geschehnisse im Roman sind zugespitzt. Dennoch legt die Geschichte einen Finger in die Wunde, macht die Missstände im Pflegesystem deutlich und richtet den Fokus auf ein wichtiges gesellschaftsrelevantes Thema. Sie rüttelt auf, stimmt nachdenklich.

Dass der Roman weitere Themen wie familiäre Beziehungen und die Vereinbarkeit von Job und Familie beinhaltet, macht ihn vielschichtig. Auf den nur rund 190 Seiten ist der Text dennoch nicht inhaltlich überladen.

Der Titel des Romans passt sehr gut zur Geschichte. Auch das künstlerisch anmutende Cover mit den unscharfen Frauenfiguren ist stimmig.

Mein Fazit:
Mit „Halbe Leben“ hat mich Susanne Gregor in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Eines der besten Bücher des Frühjahrs 2025. Sehr empfehlenswert.