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Veröffentlicht am 21.03.2025

Keine perfekte Zweckgemeinschaft

Halbe Leben
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Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, ...

Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, eine ehemalige Lehrerin, nach einem Schlaganfall unerwartet früh zum Pflegefall wird, muss sich Klara eingestehen, dass die Familie Hilfe benötigt. Über eine Agentur kommt Paulína (38) aus der Slowakei als Pflegekraft ins Haus. Zunächst scheint es, für alle Beteiligten die perfekte Lösung zu sein…

„Halbe Leben“ ist ein Roman von Susanne Gregor.

Untergliedert in drei Teile, wird im Präsens erzählt. Der Schluss der Geschichte ist an den Anfang gestellt. Davon abgesehen, wird in chronologischer Reihenfolge mit einigen Rückblenden erzählt.

Die Sprache ist atmosphärisch, eindringlich und einfühlsam, aber zugleich ungekünstelt. Der Schreibstil ist unaufgeregt und gleichzeitig einnehmend.

Drei Frauen stehen im Vordergrund der Geschichte. Vor allem die Protagonistinnen Klara und Paulína stechen hervor. Ihre Charaktere verfügen über viel psychologische Tiefe und wirken lebensnah. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich, man kommt ihnen sehr nahe. Keine der beiden ist frei von Fehlern. Auch Irene bleibt nicht eindimensional. Sie sowie die übrigen Figuren werden ebenfalls authentisch dargestellt.

Was bedeutet es, für die häusliche Pflege auf jemand anderen angewiesen zu sein? Was macht die anspruchsvolle, anstrengende Arbeit im Ausland mit den Pflegekräften und ihren Familien? Diese beiden Fragen leuchtet die Geschichte eindrucksvoll aus. Sicherlich: Die Geschehnisse im Roman sind zugespitzt. Dennoch legt die Geschichte einen Finger in die Wunde, macht die Missstände im Pflegesystem deutlich und richtet den Fokus auf ein wichtiges gesellschaftsrelevantes Thema. Sie rüttelt auf, stimmt nachdenklich.

Dass der Roman weitere Themen wie familiäre Beziehungen und die Vereinbarkeit von Job und Familie beinhaltet, macht ihn vielschichtig. Auf den nur rund 190 Seiten ist der Text dennoch nicht inhaltlich überladen.

Der Titel des Romans passt sehr gut zur Geschichte. Auch das künstlerisch anmutende Cover mit den unscharfen Frauenfiguren ist stimmig.

Mein Fazit:
Mit „Halbe Leben“ hat mich Susanne Gregor in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Eines der besten Bücher des Frühjahrs 2025. Sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 20.03.2025

Wie der Faschismus alltäglich wurde

Ginsterburg
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Auch in der Kleinstadt Ginsterburg hat der Nationalsozialismus Einzug gehalten. Während Blumenhändler Otto Gürckel zum Kreisleiter aufgestiegen ist, hat es Buchhändlerin Merle Siebert zunehmend schwer. ...

Auch in der Kleinstadt Ginsterburg hat der Nationalsozialismus Einzug gehalten. Während Blumenhändler Otto Gürckel zum Kreisleiter aufgestiegen ist, hat es Buchhändlerin Merle Siebert zunehmend schwer. Sie zieht ihren Sohn Lothar alleine groß und hat den Überblick verloren, welche Bücher mittlerweile verboten sind. Auch Redakteur Eugen von Wieland muss auf der Hut sein. Sie ahnen noch nicht, wie viel Leiden und Probleme sie erwarten…

„Ginsterburg“ ist ein Roman von Arno Frank.

Die Geschichte ist komplex, aber nicht zu kompliziert komponiert. Die Handlung umfasst die Jahre 1935, 1940 und 1945. Dementsprechend gliedert sich der Roman in drei Teile, die wiederum in jeweils vier Kapitel unterteilt sind. Dazwischen gibt es Einschübe des Absturzes eines englischen Fliegers, Briefe und andere Dokumente. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überwiegend begeistert. Starke Sprachbilder und gelungene Wortspiele sind einige seiner Pluspunkte. Die Dialoge wirken authentisch, die Beschreibungen sind eindrücklich und anschaulich. Gestört hat mich lediglich die unnötige Verwendung rassistischer Beleidigungen.

Mit seiner Geschichte entwirft Frank ein vielschichtiges Gesellschaftspanarama einer fiktiven deutschen Kleinstadt während der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt überzeugte Rassisten, Profiteure des neuen Regimes, Mitläufer, Kritiker und Opfer. Das Personal des Romans ist daher umfangreich. Dennoch fällt es nicht schwer, den Überblick zu behalten. Die Hauptfiguren sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Mit nur einer einzigen Ausnahme sind sie zudem klischeefrei gestaltet. Neben rein fiktiven Charakteren tauchen historische Persönlichkeiten wie Lothar Sieber auf, die zum Teil verfälscht dargestellt werden. Ein Nachwort, das über solche Aspekte aufklärt, wäre hilfreich gewesen.

Wie kann es soweit kommen, dass sich eine Gesellschaft normaler, durchschnittlicher Leute zunehmend dem Faschismus verschreibt? Wie kann es sein, dass sich mehr und mehr Menschen schuldig machen und dass sie einen brutalen Krieg unterstützen? Solchen Fragen geht der Roman nach und liefert historische Details, die nicht jeder schon genüge von der NS-Zeit gehört hat. Parallelen zur Gegenwart können gezogen werden. So erscheint das Thema nach wie vor aktuell. Leider haben sich ein paar Fehler und Ungenauigkeiten bei den historischen Daten und Fakten eingeschlichen, beispielsweise wird Hitlers Berghof in Garmisch verortet.

Beeindruckt hat mich, dass die Geschichte trotz der knapp 430 Seiten ohne Längen und Redundanzen auskommt. Die Handlung bleibt außerdem durchweg stimmig. Auch das spektakuläre Ende wirkt schlüssig.

Sowohl der prägnante Titel als auch das Covermotiv, bedauerlicherweise von einer KI generiert, passen hervorragend. Sie runden den Roman ab.

Mein Fazit:
Mit „Ginsterburg“ ist Arno Frank ein empfehlenswerter Roman gelungen. Politisch und gesellschaftlich relevant, unterhaltsam, aufrüttelnd.

Veröffentlicht am 11.03.2025

Doch kein Ungeheuer!

Mister O'Lui und das Mutigsein
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Biberbär Mister O’Lui und Rupert, das Streifenschwein, sind verwundert. Seltsame Dinge beobachten die beiden Freunde. Erst bemerken sie das verwüstete Blumenbeet, dann ihr geplündertes Picknick. Und dabei ...

Biberbär Mister O’Lui und Rupert, das Streifenschwein, sind verwundert. Seltsame Dinge beobachten die beiden Freunde. Erst bemerken sie das verwüstete Blumenbeet, dann ihr geplündertes Picknick. Und dabei bleibt es nicht. Treibt etwa ein Ungeheuer sein Unwesen?

„Mister O’Lui und das Mutigsein“ ist die Fortsetzung der Reihe zum Biberbären von Silke Siefert, empfohlen für Kinder ab vier Jahren.

Erzählt wird die neue Geschichte in chronologischer Reihenfolge auf 26 Seiten. Zum Teil erstrecken sich die Szenen auf eine Doppelseite, zum Teil nur auf eine Seite.

Eingeleitet wird der neue Band erneut mit den Steckbriefen von Mister O’Lui und Rupert. Zu Beginn wird außerdem deren Vorgeschichte zusammengefasst, sodass das Buch auch ohne jegliche Vorkenntnisse verstanden werden kann.

Gut gefallen hat mir, dass auch diese Geschichte nicht mit Figuren überfrachtet ist. Neben dem bereits bekannten Biberbären und seinem Freund, dem Streifenschwein, wird diesmal nur eine zusätzliche Protagonistin eingeführt: Giraffe Olivia. Sie ist ein ebenso sympathischer und liebenswerter Charakter wie Mister O’Lui und Rupert.

In inhaltlicher Hinsicht hat mich das Bilderbuch ebenfalls überzeugt. Wie der Titel verrät, geht es in diesem Band um das Thema Mut und darum, eigene Ängste zu überwinden. Aufgezeigt werden drei Arten von Mut. Dabei wird zwar zunächst die noch nicht sichtbare Olivia als Ungeheuer gedeutet. Trotzdem ist das Bilderbuch auch für ängstliche Kinder nicht zu gruselig. Genauso bildet die Freundschaft einen inhaltlichen Schwerpunkt.

Die Texte sind altersgemäß. Sie sind dank einer angemessenen Wortwahl und Syntax gut verständlich. Zugleich sind die Beschreibungen ausführlich genug und prima nachvollziehbar, dass das Bilderbuch ohne ergänzende Erklärungen der Erwachsenen auskommt.

Die Illustrationen von Silke Siefert sind erneut zuckersüß geraten. Die reduzierte Farbgebung wirkt angenehm und keineswegs trist. Die Zeichnungen sind so detailliert, dass es einiges zu entdecken gibt, ohne die Kinder visuell zu überfordern. Das Covermotiv rundet die gelungene Gestaltung ab.

Mein Fazit:
Auch der neue Mister-O’Lui-Band hat mich begeistert. „Mister O’Lui und das Mutigsein“ ist ein empfehlenswertes Bilderbuch.

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Veröffentlicht am 09.03.2025

Ein Panzer gegen den Schmerz

Die erste halbe Stunde im Paradies
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Anne Kupper hat mit Anfang 30 noch großen Ehrgeiz im Job. Die Pharmareferentin möchte eine begehrte Stelle im Innendienst. Doch ausgerechnet bei einer beruflichen Fortbildung, die sie diesem Ziel näher ...

Anne Kupper hat mit Anfang 30 noch großen Ehrgeiz im Job. Die Pharmareferentin möchte eine begehrte Stelle im Innendienst. Doch ausgerechnet bei einer beruflichen Fortbildung, die sie diesem Ziel näher bringen soll, kommt ihr ihr Bruder Kai (41) in die Quere. Die Begegnung nach vielen Jahren katapultiert sie gedanklich zurück in ihre Kindheit, in der die beiden für ihre an Multiple Sklerose (MS) erkrankte Mutter Elli sorgen mussten, bis die Situation eskalierte…

„Die erste halbe Stunde im Paradies“ ist ein Roman von Janine Adomeit.

Eingeleitet von einem Prolog, umfasst der Roman 22 Kapitel. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Anne und auf zwei Ebenen: Es gibt einen Vergangenheit- und einen Gegenwartsstrang.

Die Sprache ist ungekünstelt und klar, aber atmosphärisch und eindringlich. Lebensnahe Dialoge und anschauliche Beschreibungen wechseln sich ab.

Drei Figuren stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Anne, Kai und deren Mutter. Die Personen werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Besonders Annes Gedanken und Gefühle werden gut greifbar.

Der Inhalt des Romans ist harte Kost und hat mir einiges abverlangt, denn ich konnte das Leid der Kinder kaum ertragen. Einerseits geht es um das Pharmageschäft und insbesondere um den Vertrieb des Schmerzmittels Fentanyl, dessen hohe Suchtgefahr oft unterschätzt wird. Andererseits geht es um den körperlichen Verfall eines Elternteils, der an MS erkrankt ist und pflegebedürftig wird. Insofern behandelt der Roman den Schmerz in zwei Ausprägungen: den körperlichen und den seelischen.

Anders als die Autorin in einem Interview erklärt, sehe ich das zentrale Problem des Romans nicht im Loyalitätskonflikt der Kinder, die über ihre Lage außerhalb der Familie nicht reden dürfen, sondern in der Parentifizierung und ihren psychischen Langzeitfolgen. Durch die kindliche Perspektive Annes wird erst recht spät deutlich, wie katastrophal die Situation im Hause Kupper ist und wie egoistisch das Verhalten der Mutter ist. Die unangemessene Verschiebung der Verantwortung wird nur in einem Dialog angerissen. Dabei ist die Sache eigentlich klar: Hier kümmerte sich nicht die Mutter um ihre minderjährigen Kinder, sondern die Kinder um ihre pflegebedürftige Mutter. Dies hat schwerwiegende Konsequenzen: ein Kind wird wiederholt abhängig und muss zum Entzug, das andere zeigt emotionale Abwehrstrategien und ein ungesundes Sozialverhalten. Dies alles stellt die Geschichte zwar dar. Allerdings wird die Chance verpasst, deutlich zu machen, wie viel mehr getan werden müsste, um Kinder vor solchen Überforderungen zu schützen, aber auch wie hilflos Kinder sind, wenn sie zur Pflege ihrer Eltern gezwungen werden. Damit hätte der Roman sein volles Potenzial ausschöpfen können.

Auf den rund 270 Seiten entwickelt die Geschichte eine zunehmende Spannung, ohne übertriebene Dramatik und Logiklücken. Die Handlung ist durchweg stimmig. Auch das realistische Ende hat mich überzeugt.

Der interessante Titel, der sich schon nach den ersten Kapiteln erklärt, ist durchaus passend gewählt. Das ungewöhnliche Covermotiv mit dem Gürteltier hat ebenfalls einen Bezug zum Inhalt des Romans.

Mein Fazit:
„Die erste halbe Stunde im Paradies“ ist ein schmerzhafter Roman von Janine Adomeit über die Problematik der pflegenden Minderjährigen. Eine Lektüre, die vor allem familiäre Missstände offenlegt, die betroffen und wütend macht.

Veröffentlicht am 15.02.2025

Wer gräbt, kann nicht antworten

Tomke gräbt
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Es ist schönes Wetter und die Familie hält sich im Garten auf, als Sohn Tomke mit Schaufel und Schippe anrückt. Wortlos beginnt er, ein großes Loch zu buddeln. Auf Nachfragen und Spekulationen reagiert ...

Es ist schönes Wetter und die Familie hält sich im Garten auf, als Sohn Tomke mit Schaufel und Schippe anrückt. Wortlos beginnt er, ein großes Loch zu buddeln. Auf Nachfragen und Spekulationen reagiert der Junge nicht.

„Tomke gräbt“ ist ein Bilderbuch für Kinder ab drei Jahren.

Erzählt wird die Geschichte auf zwölf Doppelseiten. Die Zeichnungen dominieren dabei. Die Gestaltung ist abwechslungsreich. Die Spekulationen der Umstehenden sind zum Teil amüsant und sorgen für einige Lacher, beispielsweise die Dinofalle.

Die Illustrationen von Julia Dürr wirken modern, aber nicht lieblos. Sie sind bunt, ohne zu grell und aufdringlich zu sein. Zudem bieten sie etliche Details zum Entdecken und ergänzen den Text auf gelungene Weise.

Beim Text von Lena Hach fällt die einfache Syntax auf. Die Sätze sind kurz. Auch das Vokabular wurde an die Altersgruppe angepasst.

Spielen, aktiv sein, Dinge tun - nur zum Selbstzweck, ohne Ziel und Intention: Diese Selbstvergessenheit kennen viele Kinder. Protagonist Tomke ist also - zumindest in dieser Hinsicht - ein ganz normales Kind und dient als Identifikationsfigur. Dass er sich nicht erklären mag und die anderen ignoriert, wirkt sehr authentisch.

Die Botschaft, dass es absolut in Ordnung ist, etwas auch ohne konkreten Sinn zu tun, halte ich für begrüßenswert und kindgerecht. Allerdings ist der Text so spärlich, dass er dies nicht ausdrücklich erklärt. Ohne zusätzliche Erläuterungen erschließt sich leider nicht, was dort eigentlich vor sich geht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Tomke sein Verhalten am Ende durch das Sammeln in ähnlicher Form wiederholt. Tatsächlich denke ich jedoch, dass vor allem die erwachsenen Vorleser hier inhaltlich am meisten mitnehmen können. Sie haben die Selbstvergessenheit, anders als Kinder, schließlich oft verlernt.

Der prägnante Titel passt ebenso prima zur Geschichte wie das Covermotiv. Beides rundet das Leseerlebnis gut ab.

Mein Fazit:
„Tomke gräbt“ ist ein Bilderbuch mit einer schönen Botschaft, das mich besonders in optischer Hinsicht überzeugt hat.