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Veröffentlicht am 06.07.2021

Die Heimat ist in dir

Daheim
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Die namenlose Protagonistin im Roman erinnert sich an früher. Ein Gefühl, als ob man mit einer Freundin bei einem Glas Wein am Tisch sitzt und Erinnerungen austauscht. Sie erinnert sich an die Zeit, als ...

Die namenlose Protagonistin im Roman erinnert sich an früher. Ein Gefühl, als ob man mit einer Freundin bei einem Glas Wein am Tisch sitzt und Erinnerungen austauscht. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie in einer Einraumwohnung gelebt und in einer Zigarettenfabrik am Fließband gearbeitet hat. Nun, dreißig Jahre später, ist sie Ende 40 und zieht ein Resümee. Wem gegenüber sie sich erinnert, bleibt unklar.

An den ungewöhnlichen Schreibstil muss ich mich erst gewöhnen, aber dann nimmt die Erzählung mich gefangen.Bei aller Ernsthaftigkeit sind die Figuren stellenweise skurril, manche Situationen regelrecht bizarr. Ob es der Zauberer mit seiner mit blauem Lackpapier und silbernen Sternchen beklebten Kiste ist, oder Otis, der sich von nichts trennen kann und Dinge sammelt für den Fall, dass die Welt untergeht. Jede Figur hat ihren Platz, hat ihre Daseinsberechtigung in diesem Buch.

Es passiert nicht viel in diesem Buch und doch passiert so viel; es passiert nichts weniger als das Leben. Ehe, Kind, Scheidung, Neuanfang. Was ist Heimat? Ist Heimat dort, wo wir herkommen, oder dort, wo wir sind? Wer geht den Weg mit uns und für wie lange. Wo bin ich glücklich, wo will ich sein? War das alles? Ein tolles Buch, an dessen Ende ich traurig bin. Traurig, dass es zu Ende ist. Dies war mein erstes Buch von Judith Hermann, aber sicherlich nicht mein letztes. Von mir gibt es 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 05.07.2021

Mobbing geht uns alle an

Fette Sau
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Lore hat es nicht leicht; die Dreizehnjährige ist stark übergewichtig und wird in der Schule verspottet, gequält, regelrecht gemobbt. Immer wieder lauern ihre Schulkameraden dem Mädchen auf, beleidigen ...

Lore hat es nicht leicht; die Dreizehnjährige ist stark übergewichtig und wird in der Schule verspottet, gequält, regelrecht gemobbt. Immer wieder lauern ihre Schulkameraden dem Mädchen auf, beleidigen und misshandeln sie sogar körperlich. Nachdem sie es gewagt hat, einen Vertrauenslehrer einzuweihen, hört das Mobbing nicht auf, sondern wird im Gegenteil unerträglich. Freunde hat das Kind nicht und ihre Mutter möchte sie mit ihren Nöten und Ängsten nicht belasten, weil sie überzeugt davon ist, dass diese, nachdem ihr Mann und Lores Vater plötzlich und unerwartet verstorben ist, genug eigene Sorgen hat. Lore ist überzeugt davon, dass sie aufgrund ihres Gewichts gemobbt wird und beschließt, sich diesmal anzustrengen und wirklich abzunehmen, dies aber ist leichter gesagt als getan.

Das Buch hat mich sehr berührt. Die Gedanken von Lore, in denen sie nicht versteht, warum sie so unbeliebt ist, obwohl sie doch nett, freundlich und fleißig ist, und ihr Glaube daran, dass alles besser wird, wenn sie nur endlich abnimmt, das war schon hart. Ihre Verzweiflung, weil von Seiten der Lehrerschaft keine Hilfe kommt, war mit Händen zu greifen und spürbar. Sie tat mir unendlich leid und ich musste das ein oder andere Mal schon kräftig schlucken. Lores Anstrengungen, endlich abzunehmen, die bei einem Gewicht von über 100 Kilo im wahrsten Sinne des Wortes Schwerstarbeit sind, haben mir imponiert. Natürlich ging nicht alles glatt und gab es Rückschläge, aber das gehört dazu.

Zu dünn, zu dick, zu leise, zu laut, zu arm, zu „irgendwas“. Brauchen Menschen, die andere mobben, tatsächlich einen Grund? Ist es nicht eher so, dass sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler auf andere, meist Schwächere übertragen und damit eine Grenze überschreiten, wenn sich diese nicht wehren? Nicht wehren wollen oder können? Ich glaube, jeder von uns hat schon mal in irgendeiner Form Mobbing erlebt. Oft fällt es gar nicht auf, so klein und fein sind solche Spitzen. Guck die Frisur, schau der Rock, guck die Haut, schau die Figur und so weiter und so fort. Mobbing hat viele Facetten, hat viele hässliche Gesichter, aber eines hat Mobbing gemeinsam: er verletzt, er tut weh, er bringt Menschen dazu, sich klein, ungeliebt und überflüssig zu fühlen. Und manchmal hat Mobbing schlimme Folgen. Wehrt euch! Schaut nicht weg! Lasst Mobbing, egal in welcher Form, nicht zu! Lasst nicht zu, dass Menschen andere Menschen mobben. Sagt was, greift ein. Gemeinsam sind wir stark.

Die Autorin hat die Gefühlswelt der Dreizehnjährigen sehr gut eingefangen. Die Mobbing-Szenen waren sehr bildlich und haben mich wirklich entsetzt. Ein emotionales und spannendes Jugendbuch ist das Ergebnis. Von mir gibt es 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 01.07.2021

Gemeinsam schafft man mehr

Wir für uns
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Josefine Pankratz, kurz Josie, ist 41 Jahre alt, ledig und schwanger von ihrem Geliebten Bengt. Dieser ist nicht nur verheiratet, sondern auch Vater von zwei Kindern und ein weiteres soll möglichst nicht ...

Josefine Pankratz, kurz Josie, ist 41 Jahre alt, ledig und schwanger von ihrem Geliebten Bengt. Dieser ist nicht nur verheiratet, sondern auch Vater von zwei Kindern und ein weiteres soll möglichst nicht dazu kommen. Da hat Josie aber noch ein Wörtchen mitzureden. Oder? Katharina Bondorf, kurz Kathi, ist 70 Jahre alt, gerade verwitwet und unsicher, wie es weitergehen soll. Am liebsten würde sie sich um ein Enkelkind kümmern, aber statt Nachwuchs gibt es in der Ehe ihres Sohnes eine handfeste Krise. Als Kathi den Ehering ihres verstorbenen Mannes verliert und Josie diesen findet, kreuzen sich die Wege dieser auf den ersten Blick so unterschiedlichen Frauen.

In den Charakter von Josie habe ich mich schnell verliebt. Chaotisch, unorganisiert, oft verpeilt und fast nicht lebensfähig, ist es ein Schock für sie, als sie feststellen muss, dass sie schwanger ist. Erst da fängt sie an, über ihr Leben nachzudenken; darüber, dass sie eigentlich im Standbymodus lebt und nur darauf wartet, dass Bengt sie einmal in der Woche besucht. Anders Kathi, die plötzlich Witwe ist, fast 50 Jahre war sie verheiratet und bis vor ein paar Jahren nur mit ihrem Laden beschäftigt. Nun ist der Laden zu, der Mann weg und Kathi vor der großen Frage, ob es das schon war und wie es weitergeht.

Wie unterschiedlich die beiden Frauen ihr Leben meistern, welche Rolle sie im Leben der anderen spielen und wie es so ist in einer Kleinstadt, in der (fast) jeder jeden kennt, davon handelt der Roman. Vom Festhalten und Loslassen. Vom Ende und Neubeginn. Davon, dass es nie zu spät ist, einen anderen, einen neuen Weg einzuschlagen. Ein Buch über Familie, Freunde, Zufallsbegegnungen und nicht zuletzt die Liebe. Ein kurzweiliges Buch, das mich gut unterhalten hat. Von mir gibt es 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 25.06.2021

Stadt, Land, Krieg

Ins Dunkel geboren
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Johann, genannt Josi, ist mit neun Jahren der Jüngste von sieben Geschwistern, von denen lediglich die elfjährige Schwester sowie zwei Brüder im Alter von sechzehn und siebzehn Jahren überlebt haben. Die ...

Johann, genannt Josi, ist mit neun Jahren der Jüngste von sieben Geschwistern, von denen lediglich die elfjährige Schwester sowie zwei Brüder im Alter von sechzehn und siebzehn Jahren überlebt haben. Die Mutter starb kurz vor Josis erstem Geburtstag, der Vater bewirtschaftet den Hof nun mit seinen verbliebenen Kindern allein. Es ist keine einfache Zeit, denn Armut, Alkohol und Gewalt gehören zum Alltag der Familie; einen Zusammenhalt zwischen den Geschwistern gibt es nicht. Im Gegenteil muss Josi immer wieder befürchten, vom Vater oder seinen Brüdern zusammengeschlagen zu werden. Als Josi wieder einmal schwer misshandelt wird, kommt er zu Pflegeeltern, dem Förster-Ehepaar Hanna und Mateo. Dort erfährt er zum ersten Mal im Leben Fürsorge und Liebe. Dann bricht der Zweite Weltkrieg aus und auf dem Land ist es für Josi nicht mehr sicher.

Anfangs ist die Geschichte etwas chaotisch und sprunghaft, eben so, wie ein neunjähriges Kind sie erzählen würde. Ganz phlegmatisch und ohne nach Mitleid zu heischen erzählt Josi von seinem Zuhause, seinen Aufgaben dort und davon, wie es ist, immer auf der Hut zu sein, nicht auffallen zu wollen und in Angst leben zu müssen. Ein erschütterndes und trauriges Los, welches stellvertretend für das vieler Kinder steht. Ungeliebt, misshandelt und verwahrlost, ungewollt und allein. Allein die Liebe seiner Pflegeeltern rettet ihn vor einem ungewissen Schicksal.

Ich fand es sehr interessant, nachzuverfolgen, wie Josi älter, seine Gedanken reifer und seine Sprache erwachsener wurden. Je älter Josi wurde, desto mehr konnte er nachvollziehen, was es heißt, im Krieg zu sein. Anfangs naiv und unbedarft, versteht er schnell, dass eine eigene zu Meinung haben nicht heißt, diese auch äußern zu dürfen. Dies ist nicht leicht für ihr und so kommt es des öfteren zu brenzligen Situationen, die ohne Freunde oder den ein oder anderen Erwachsenen sehr schlimm hätten ausgehen können.

Eine Geschichte über Familie, Freundschaft, Liebe, Schuld, Mut und Verrat. Ein Schicksal unter vielen, eindringlich erzählt und unterhaltsam verpackt. Mir hat das Buch sehr gefallen.
Der schwäbische Dialekt in manchen Gesprächen war anfangs gewöhnungsbedürftig, für die Authentizität aber unerlässlich. Von mir gibt es 4,5 Sterne.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Deiner Vergangenheit kannst du nicht entkommen

Von hier bis zum Anfang
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Die dreizehnjährige Duchess lebt mit ihrer Mutter Star und ihrem kleinen Bruder Robin in Cape Haven. Da ihre Mutter mehr schlecht als recht durchs Leben kommt, kümmert sich Duchess um Robin, was sich nicht ...

Die dreizehnjährige Duchess lebt mit ihrer Mutter Star und ihrem kleinen Bruder Robin in Cape Haven. Da ihre Mutter mehr schlecht als recht durchs Leben kommt, kümmert sich Duchess um Robin, was sich nicht so einfach darstellt, da die Familie in Armut lebt und Star traumatisiert ist. Vor dreißig Jahren wurde die jüngere Schwester von Star getötet, der angebliche Mörder, ihr damaliger Freund Vincent King, wurde dafür rechtskräftig verurteilt und trotz seines Alters von fünfzehn Jahren in ein Männergefängnis verbracht. Letzterer wird nun aus der Haft entlassen und von Chief Walker (Walk), seinem besten Freund, der sich seit Jahren um Star und ihre Kinder kümmert, abgeholt. Nicht jeder freut sich über die Freilassung von King und so wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die das Leben aller Beteiligten verändern wird.

„Vincent King mochte einst ein guter Mensch gewesen sein, aber das Blut eines Kindes ließ sich niemals von den Händen waschen. Und nicht einmal der stärkste Mann würde dreißig Jahre in der Gesellschaft durch und durch schlechter Menschen unbeschadet überstehen.“ (Seite 418)

Das Cover und der Klappentext versprachen mir ein Lesevergnügen und ich wurde nicht enttäuscht; im Gegenteil wurden meine Erwartungen weit übertroffen! Nach einem sehr kurzen Prolog war ich sofort mitten im Geschehen. Das traurige Leben von Star und ihren Kindern, ihr täglicher Kampf ums Überleben, es könnte fast ein Schicksal unter vielen sein, denn in dieser Kleinstadt hat manch einer sein Päckchen zu tragen, wäre da nicht die Tragödie von vor über dreißig Jahren. So etwas hinterlässt Spuren, das übersteht keine Familie ohne Blessuren.

Mit den Charakteren tat ich mich anfangs schwer; so manches war für mich zu sperrig, zu unsympathisch, einfach nicht nachvollziehbar. Erst nach und nach bekamen die Beteiligten ein Gesicht, haben sie mich berührt, hat ihr Schicksal mich bewegt. Die rebellische Duchess, welche ihre Mutter verachtet und trotzdem an ihr hängt. Der treue Walk, der unbeirrbar daran glaubt, dass alles immer noch so werden könnte, wie es früher war. Die Story entfaltet sich langsam, dann aber mit solch einer Wucht, dass einem schwindelig werden könnte. Ein emotionaler Roadtrip, ein Drama, ein Krimi, eine Tragödie und irgendwo tief drinnen ist auch Liebe zu spüren. Die Wendungen, die der Autor eingebaut hat, haben mich mehr als einmal überrascht und auch eine solche Tiefe habe ich nicht erwartet. Viel zu lachen gibt es im Buch nicht, dennoch blitzt hie und da ein wenig feiner Humor durch, der passt. Ein wunderbares Buch, eine tragische Geschichte, ein grandioses Werk. Von mir gibt es 5 Sterne mit Sternchen und eine unbedingte Leseempfehlung. Prädikat: besonders wertvoll.

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