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Veröffentlicht am 05.06.2024

Schlichtweg umgehauen

Was Nina wusste
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„Was Nina wusste“ beruht auf wahren Begebenheiten, die David Grossman basierend auf vielen Gesprächen mit seiner Freundin (und Vorbild der Figur Vera) Eva Panić-Nahir in einen eindrucksvollen Roman verwandelt ...

„Was Nina wusste“ beruht auf wahren Begebenheiten, die David Grossman basierend auf vielen Gesprächen mit seiner Freundin (und Vorbild der Figur Vera) Eva Panić-Nahir in einen eindrucksvollen Roman verwandelt hat. Von ganz großen Gefühlen und seelischen Abgründen erzählt diese drei Generationen und einen grausamen Krieg umspannende Geschichte; von einer Liebe größer als das Leben selbst, von Verlust und Scham, von einer unsäglichen Traurigkeit und der heilsamen Kraft der Worte und Erinnerungen, ja, des Wissens um die eigene Biografie und Identität. Vera, Nina, Gili - drei Frauen aus drei Generationen, vereint und gleichzeitig getrennt durch ein unausgesprochenes Trauma, begründet in einer Lüge. Als junge Frau verbringt Vera, nach dem Selbstmord ihres geliebten Ehemannes Miloš gebrochen und als Verräterin Titos bezichtigt, drei Jahre im sogenannten Umerziehungslager für Frauen von Goli Otok. Doch während es Vera bei aller Grausamkeit, die ihr auf der Insel widerfährt, gelingt Mensch zu bleiben, aufrecht zu stehen, zerbricht die kleine Nina an der Trennung von ihren Eltern und dem großen Schweigen, das darauf folgt. „Was Nina wusste“ ist die schmerzhafte Aufarbeitung eines Familiengeheimnisses, das sich wie Gift ausbreitet, von der Scham nährt und keine Liebe in seiner Nähe wachsen lässt.

Kennt ihr dieses Gefühl, dass eure Gedanken zu viel, zu groß und gleichzeitig zu klein und schwach sind, um eine Geschichte von solcher Intensität und Wucht, so einer Wahrhaftigkeit in Worte zu fassen? So geht es mir gerade mit David Grossmans „Was Nina wusste“ - es hat mich schlichtweg umgehauen

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Welch ein großartiges Buch!

Frau im Dunkeln
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Leda ist 47 und gönnt sich den ersten Urlaub ganz alleine an der italienischen Küste - das freie, unabhängige Leben breitet sich süß vor ihr aus, nun, da die beiden erwachsenen Töchter bei deren Vater ...

Leda ist 47 und gönnt sich den ersten Urlaub ganz alleine an der italienischen Küste - das freie, unabhängige Leben breitet sich süß vor ihr aus, nun, da die beiden erwachsenen Töchter bei deren Vater in Kanada leben. Doch im Laufe des Sommers entwickelt sie eine seltsame Obsession, die einen unbegreiflichen Ausgang nimmt.

Die ganze Widersprüchlichkeit der Beziehung zwischen Müttern und Töchtern; diese unbändige Liebe und tiefe Nähe auf der einen, unterschwellige Konkurrenz um Jugend und Schönheit und „der Wunsch mich selbst zu spüren, meine Verdienste, die Reichweite meiner eigenen Fähigkeiten“ (S. 131) auf der anderen Seite, beschreibt Ferrante auf einmalige Art und Weise. Ihre Sprache ist einfach und klar, schnörkellos und verfügt dabei über eine Natürlichkeit, die dem Erzählten große Authentizität verleiht. Ferrante zeichnet in diesem schmalen Büchlein das höchst interessante Psychogramm einer zerrissenen, moralisch irrenden und damit zutiefst menschlichen Frau. Große Leseempfehlung! Ich habe die Geschichte in einem Atemzug inhaliert und denke, wirklich jede Frau wird sich darin irgendwie, irgendwo (wieder) erkennen. Erschienen als Taschenbuch bei Suhrkamp, richtig gut übersetzt von Anja Nattefort.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Sprecht über dieses Buch!

Identitti
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Niveditas verehrte, indische Dozentin und Mentorin Saraswati ist eigentlich weiß und heißt Sarah Vera Thielmann. Nachdem Nivedita die letzten drei Jahre deren Worte und Haltung über Identität und Rassismus ...

Niveditas verehrte, indische Dozentin und Mentorin Saraswati ist eigentlich weiß und heißt Sarah Vera Thielmann. Nachdem Nivedita die letzten drei Jahre deren Worte und Haltung über Identität und Rassismus aufgesaugt und sich nahezu komplett zu eigen gemacht hat, ist sie nun gezwungen, alles, was sie bisher über sie und sich zu wissen geglaubt hatte, neu zu überdenken. Und ich ebenso. „Identitti“ hat eine unfassbare Kraft und Intensität, die mir buchstäblich den Atem geraubt hat. So viele neue Denkanstöße und kluge Fragen wirft Mithu M. Sanyal auf, dass es unmöglich ist sich auf Anhieb mit allen zu beschäftigen aber das wird noch kommen; dieses Buch lesen heißt (sich) Fragen stellen, viele und mitunter auch ungemütliche, schwierige Fragen. Es trifft so zielgenau einen Nerv und hört einfach nicht auf zu vibrieren und irgendwie möchte ich das auch gar nicht.

Lest bitte einfach alle dieses Buch, sprecht darüber und lasst die Ideen wachsen und sich vermehren. Gebt ein bisschen Liebe!

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Absolut beeindruckend!

1984
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Inhaltlich muss ich wahrscheinlich nicht allzu viel zu diesem Weltbestseller sagen, der in diesem Jahr gemeinfrei und in acht Neuübersetzungen erschienen ist. Ich habe mich für die optisch wirklich wunderschöne ...

Inhaltlich muss ich wahrscheinlich nicht allzu viel zu diesem Weltbestseller sagen, der in diesem Jahr gemeinfrei und in acht Neuübersetzungen erschienen ist. Ich habe mich für die optisch wirklich wunderschöne Ausgabe aus dem Manesse Verlag, übersetzt von Gisbert Haefs, entschieden um mich endlich auch einmal an diesen Klassiker heran zu wagen. George Orwell schuf mit „1984“ die Dystopie einer Gesellschaft unter totaler Überwachung durch den omnipräsenten „Großen Bruder“ und dessen Partei nach kommunistischem Vorbild. Die Menschen werden durch ständige Gehirnwäsche gefügig gemacht; die Indoktrination mit alternativen Fakten sowie eine stete Veränderung der Geschichte manipuliert deren Wahrnehmung. Im „Ministerium für Wahrheit“ arbeitet auch Winston Smith, der Protagonist, vernichtet am laufenden Band Beweismaterial und schreibt die Geschichte im Sinne der Partei um; ist aber in seinem Inneren der Liebe und echten Wahrheit verschrieben.

Der Roman ist in drei Teile geteilt. Der erste Teil legt sein Augenmerk auf die Person Winston, auf dessen Gedanken und Gefühle und wir lernen das System und seine perfiden Mechanismen kennen. Im zweiten Teil beginnt Winston eine so leidenschaftliche wie gefährliche Affäre mit Julia, einer Genossin, und die Idee, sich dem geheimnisvollen Widerstand anzuschließen keimt in ihnen auf. Der dritte und düsterste Teil offenbart dann die ganze Grausamkeit des Systems.

Diesen brandaktuellen Roman mit dem Wissen zu lesen, dass er bereits vor 70 Jahren niedergeschrieben wurde, ist ehrlich beeindruckend. Er liest sich wie eine Überspitzung, eine Karikatur der heutigen Gesellschaft und kommt unserer medialen Realität beängstigend nah; der Wunsch nach Macht und Kontrolle ist ein dem Mensch eigener Zug, wie er nur zu oft unter Beweis stellt. Orwell selbst sagte dazu: „Überall auf der Welt haben sich totalitäre Ideen in den Köpfen der Intellektuellen festgesetzt, und ich habe versucht, diese Ideen folgerichtig zu Ende zu denken.“

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Ein richtig guter, stark erzählter Roman!

Portrait
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Wer sind wir ohne die Reflexion durch andere, was bliebe von uns übrig ohne sie?

Jürgen Bauers „Portrait“ zeichnet das Leben eines Mannes nach, der nirgendwo reinpasst. Als zarter „Großkopferter“ auf ...

Wer sind wir ohne die Reflexion durch andere, was bliebe von uns übrig ohne sie?

Jürgen Bauers „Portrait“ zeichnet das Leben eines Mannes nach, der nirgendwo reinpasst. Als zarter „Großkopferter“ auf den heimischen Bauernhof so wenig wie später, nach seiner Flucht in die Großstadt, als Homosexueller in die feine Gesellschaft Wiens, wo er bald ein kräftezehrendes Doppelleben zwischen Juristerei und Schwulenkneipe führt. Der Roman ist in drei zeitliche Abschnitte eingeteilt. Von Georgs Kindheit nach dem zweiten Weltkrieg in einem kleinen Dorf im Nirgendwo erzählt seine Mutter Mariedl; sehr authentisch und in tiefstem österreichischen Dialekt (ja, durchaus eine Herausforderung für mich Nordlicht aber ich habe sie gemeistert 💪🏻) lässt sie das Bild eines Knaben vor meinen Augen entstehen, der früh spürt, dass er anders tickt und der engstirnigen Dorfgemeinschaft entfliehen muss, um seinen Weg zu finden. Auf ebendiesem begegnet er dem jungen Gabriel, der sein Liebhaber und heimlicher Gefährte in den folgenden Jahren wird. Doch während dieser in die pulsierende Schwulenszene Wiens der 70er Jahre eintaucht und das Leben mit ganzem Körpereinsatz (und zum Soundtrack David Bowies) aufsaugt, bleibt Georg gefangen in der spießigen Hülle, die er seinem Leben, ja, sich selbst überstülpt. Im wilden, ungestümen Temperament Gabriels spiegelt sich umso stärker Georgs Zurückgezogenheit, die Unfähigkeit, sich seinem Selbst zu stellen. Im letzten Teil kommt Sara zu Wort, eine erfolglose, vom Partner misshandelte Opernsängerin, die ihm freundschaftlich zugetan ist und in dem schwächlichen, lenkbaren Georg den idealen Ehemann für sich erkennt; und ihm ihrerseits mit einer Zweckehe gesellschaftliche Sicherheit bieten kann.

Von diesen drei Seiten nähern wir uns Georg, ziehen immer engere Kreise und bekommen seinen Umriss deutlich zu fassen aber nie wirklich ihn selbst; während die Figuren um ihn herum schillern und vor Lebendigkeit strahlen, bleibt er seltsam verschwommen, entgleitet immer wieder ins Leere - wir sehen das Negativ, nicht aber das wirkliche Bild. Georg schwankt passiv im eigenen Leben umher, der Charakter nur hie und da durchblitzend, blass bleibend neben den Erzählstimmen und fast nicht greifbar für mich als Leserin. So bleibt in mir eine große Zuneigung für die drei Erzähler*innen und ihre zärtliche Liebe zurück und leises Bedauern über das vertane Glück Georgs, der seinen Platz nie finden konnte und dem am Ende nicht einmal die eigenen Erinnerungen bleiben. Ein richtig guter, stark erzählter Roman!

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