Bewegende Erinnerungen
Iva atmetIvas Vater liegt im Krankenhaus; er wird bald sterben. Iva sitzt bei ihm, auch wenn es ihr unangenehm ist, so nah, viel zu dicht. Den Vater mochte sie nicht besonders und auch nicht, was er war und doch ...
Ivas Vater liegt im Krankenhaus; er wird bald sterben. Iva sitzt bei ihm, auch wenn es ihr unangenehm ist, so nah, viel zu dicht. Den Vater mochte sie nicht besonders und auch nicht, was er war und doch muss sie jetzt bei ihm sein, es aushalten. Und während sie durch das mit geraubten Schätzen verschönerte Elternhaus in Dresden schleicht kommen die Erinnerungen zurück; an das, was gesagt wurde und noch viel mehr an das, was nicht gesagt wurde. Der Vater ein einflussreicher Richter und Profiteur des Holocaust, der Großvater ein Kriegsverbrecher, die Großmutter vertrieben aus Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), dem Land ihrer Kindheit, welches ihr nie zustand und doch bis zu deren Tod Objekt ihrer Sehnsucht blieb. Wenn Iva atmet spürt sie das trockene Laub in ihrer Lunge, all das Ungesagte hat sich dort angesammelt, in ordentlichen Häufchen, doch manchmal wirbelt alles wie wild durcheinander. Zu schwer lastet die Vergangenheit - auch auf ihrem Liebsten, Roy, einem wurzellosen Zirkusjungen, dessen Vater über den Recherchen zu Ivas Familie (und deren Machenschaften, für die sie nie zur Rechenschaft gezogen wurde) verrückt geworden ist. Und dann ist da noch die eigenartige, wilde Ismene, die Iva und ihre Welt ins Wanken bringt.
Amanda Lasker-Berlin widmet sich mit „Iva atmet“ dem schmerzhaften, doch spürbar brandaktuellen Thema der eigenen, historischen Schuld und des kollektiven Schweigens. Was macht dieses Verdrängen und Totschweigen mit uns und unseren Beziehungen zu den Menschen, die uns am nächsten sind? In kurzen, prägnanten Sätzen bekommen die kleinsten Dinge Bedeutung und Gewicht, möchten gesehen werden; sehr beeindruckend fand ich die wirklich starken, zwischenmenschlichen Momente. Die in kleinen Szenerien eingeworfenen Schilderungen der Grausamkeiten des Krieges sind keine leichte Kost und und bedürften meiner Meinung nach einer Triggerwarnung. Der Autorin ist hier ein berührendes Buch von großer Authentizität gelungen, das mich sehr bewegt hat.