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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.12.2023

Konnte ich nachempfinden

Kleine Probleme
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Lars hat noch ein paar Tage im Dezember, die Tage zwischen Weihnachten und Silvester, vor sich und einen klaren Plan: Es muss alles erledigt werden, was liegen geblieben ist, bis die Frau und die Kinder ...

Lars hat noch ein paar Tage im Dezember, die Tage zwischen Weihnachten und Silvester, vor sich und einen klaren Plan: Es muss alles erledigt werden, was liegen geblieben ist, bis die Frau und die Kinder zurück sind. Dazu zählen Dinge wie die Erledigung der Steuererklärung, Möbel aufbauen, putzen und mit dem Rauchen aufhören. Lars ist 49 Jahre alt, angehender Schriftsteller und (zer)denkt sehr viel. Damit das neue Jahr klarer und aufgeräumter beginnen kann, will er die letzte Dezemberwoche also in vollem Umfang nutzen. Doch die Tage verlaufen dann ganz anders, als Lars sich das vorgestellt hat und er hat plötzlich nur noch einen Tag um endlich alles zu erledigen.

Ich konnte Lars' Gedanken, das Gefühl des Aufraffens, das ewige Hinschieben und die permanente Frage, wozu all das eigentlich, sehr gut nachempfinden. Nele Pollatschek erzählt sehr anschaulich, kurzweilig und konnte bei mir selbst die Fragen wecken, was ich eigentlich noch im Dezember erledigen will und muss. Außerdem schwang permanent der Wunsch mit, nicht alles auf später zu verschieben, das Leben zu leben und nicht zu verpassen - alles Sorgen, die ich selbst auch manchmal habe und mich frage, ob und wie viel ich eigentlich verpasse, indem ich Dinge erledige oder eben nicht, sie vor mir herschiebe und trotzdem so viel Zeit damit verbringe, darüber nachzudenken.

Ich mochte Nele Pollatscheks Schreibstil aus Lars Sicht, die tiefen Einblicke in seine Gedanken, die sich teilweise im Abschweifen auch verirrt haben, sehr gern und konnte den Großteil nachempfinden.
Für mich ein überraschendes Highlight im Dezember 2023!

Veröffentlicht am 03.12.2023

Berührender Coming-of-Age-Roman

Damals im Sommer
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In "Damals im Sommer" nimmt uns der Ich-Erzähler mit in einen Sommerurlaub Ende der 1990er Jahre mit der Familie, als er 15 Jahre alt war. Gemeinsam mit seinem älteren, 17-jährigen Bruder, verbringt er ...

In "Damals im Sommer" nimmt uns der Ich-Erzähler mit in einen Sommerurlaub Ende der 1990er Jahre mit der Familie, als er 15 Jahre alt war. Gemeinsam mit seinem älteren, 17-jährigen Bruder, verbringt er die Sommertage auf der Suche nach ein paar Abenteuern und Beschäftigung. Am Strand lernt der Ich-Erzähler den gleichaltrigen Franzosen Filip kennen. Zu dritt verbringen die Jungen die gemeinsame Urlaubszeit, fahren mit dem Boot, gehen essen und hängen einfach ab. Der Ich-Erzähler verliebt sich in Filip und verbringt am letzten Urlaubstag endlich die Nacht mit ihm. Anschließend kommt die unausweichliche Verabschiedung und der Beginn eines Kontaktes auf Distanz. Bis der Ich-Erzähler eine lebensverändernde Entdeckung macht.

Florian Gottschick hat mich mit seinem Schreibstil, der sehr an ein Tagebuch erinnert hat, in seinen Bann gezogen. Bei den vorgestellten Sommertemperaturen habe ich bei den pubertären und hormongeladenen Gedanken, den Gesprächen mit den Eltern und dem unerbitterlichen Konkurrenzkampf zwischen den beiden Brüdern voller Anspannung mitgefiebert und habe darauf gewartet, dass sich der Ich-Erzähler und Filip endlich näher kommen. Anders als zunächst erwartet, ist "Damals im Sommer" kein leichter, humorvoller Sommerroman für unbeschwerte Tage, sondern enthält viel Wehmut, Tragik und Melancholie.

Ein fantastischer Roman über eine erste Liebe, der mir noch eine ganze Weile im Gedächtnis bleiben wird.

Veröffentlicht am 30.11.2023

In einigen Aspekten nicht überzeugend

Das Chaos eines Augenblicks
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Evie und Scarlett sind nicht nur beste Freundinnen, sondern Scarlett ist für Evie auch ein sehr starker Halt im Alltag, seit sie die Diagnose MS bekommen hat. Doch nach einem Streit der beiden wird Scarlett ...

Evie und Scarlett sind nicht nur beste Freundinnen, sondern Scarlett ist für Evie auch ein sehr starker Halt im Alltag, seit sie die Diagnose MS bekommen hat. Doch nach einem Streit der beiden wird Scarlett bei einem Unfall tödlich verletzt und wird ganz plötzlich aus Evies Leben gerissen. Sie kann sich gar nicht vorstellen, wie sie nun ohne Scarlett weiterleben soll. Doch dann tritt Nate in ihr Leben - Nate, der Mann, dem Scarlett zur Hilfe eilte und in der Situaion sie dann tödlich verunglückte. Bald schon merkt Evie, dass Nate mehr als nur ein Mitschuldiger am Unfall für sie ist.

Becky Hunter schreibt flüssig und ich mochte den Ansatz der wechselnden Perspektiven. Einerseits erzählt Evie davon, wie sie Scarlett vermisst, wie sie ihren Alltag bestreitet, von ihrer Krankheit und den Treffen mit Nate. Andererseits wird aus Scarletts Perspektive, quasi in der Gegenwart beobachtet, bewertet und kommentiert, was Evie macht. Es ist also, als wäre Scarlett noch als Geist bei Evie, würde jeden ihrer Schritte sehen und sich dazu äußern. Dabei werden Rückblenden eingefügt.

Die Idee, dass eine Freundin stirbt und die andere in den kommenden Wochen noch begleitet, gefiel mir gut. Die Figurenentwicklung, gerade was Evie und ihre Krankheit angeht, und die Darstellung der Krankheit und Evies Umgang sowie den Umgang von Nate und den anderen Figuren fand ich jedoch nicht sonderlich glaubwürdig. Das wurde mir zu oberflächlich behandelt. Einerseits kann Evie ganz viel nicht machen und andererseits "versucht sie es dann einfach", sobald sie jemand bekräftigt oder aufmuntert und zack, kann sie die Dinge fast problemlos vollbringen. Bei allem, was ich über MS weiß, würde ich das bezweifeln.

Netter Roman, hätte in einigen Aspekten besser verarbeitet werden können.

Veröffentlicht am 30.11.2023

Ein schwächeres Buch von Arno Strobel

Der Trip – Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.
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Evelyn Jancke ist forensische Psychologin, hat jedoch privat einiges zu verarbeiten, was ihr anzumerken ist. Denn vor zwei Jahren verschwanden ihr Bruder Fabian und dessen Frau bei einem Urlaub mit dem ...

Evelyn Jancke ist forensische Psychologin, hat jedoch privat einiges zu verarbeiten, was ihr anzumerken ist. Denn vor zwei Jahren verschwanden ihr Bruder Fabian und dessen Frau bei einem Urlaub mit dem Wohnmobil in Frankreich spurlos. Nun wird sie als Unterstützung zu einer Mordserie gerufen, bei der ein Täter scheinbar wahllos Menschen auf Campingplätzen tötet. Als Evelyn das Phantombild sieht, stockt ihr der Atem: Zu stark ist die Ähnlichkeit mit ihrem verschwundenen Bruder Fabian.

Arno Strobel und seine Thriller stehen für mich für einen straffen Spannungsbogen, undurchschaubare Figuren und überrschende Wendepunkte. Diese Ewartungen wurden in "Der Trip" leider nur teilweise erfüllt.
Arno Strobel schreibt gewohnt flüssig, die Kapitel sind kurz und animieren zu schnellem Lesen. Den Anfang, die Schilderungen über Fabians Erlebnisse kurz vor seinem Verschwinden, emfpand ich noch als sehr spannend. Als Evelyn sich jedoch immer mehr darauf konzentriert, den Täter vor der Polizei zu finden und dabei fast schon wie im Wahn agiert, hat Arno Strobel mich etwas verloren. Zu konstruiert und zu langatmig waren mir einige Parts im Mittelteil. Was die Figuren angeht, sollten falsche Fährten gelegt werden, mich konnte Strobel damit jedoch auch nicht wirklich austricksen oder überraschen.
Das Ende war passend, da hatte ich mir jedoch mehr erwartet oder war auf eine andere Auflösung gefasst.

Alles in allem sicherlich ein gutes Buch für alle, die Arno Strobel gern lesen. Als Strobel-Einstiegslektüre würde ich "Der Trip" jedoch nicht unbedingt empfehlen.

Veröffentlicht am 26.11.2023

Absolute Empfehlung

Das Ende der Unsichtbarkeit
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Hami Nguyen kam als Kleinkind mit ihrer Mutter aus Vietnam nach Deutschland, wo ihr Vater als Vertragsarbeiter in der DDR arbeitete. In "Das Ende der Unsichtbarkeit" stellt sie die Grundlagen, Mechanismen ...

Hami Nguyen kam als Kleinkind mit ihrer Mutter aus Vietnam nach Deutschland, wo ihr Vater als Vertragsarbeiter in der DDR arbeitete. In "Das Ende der Unsichtbarkeit" stellt sie die Grundlagen, Mechanismen und Hintergründe des anti-asiatischen Rassismus in Deutschland dar - beispielhaft an ihrer eigenen Lebensgeschichte, in der Rassismus vor allem in enger Verbindung mit Klasse eine große Rolle spielt(e).

Beginnend mit den Erinnerungen aus ihrer Kindheit, der ständigen Angst der Eltern - und später auch ihrer eigenen - abgeschoben zu werden, den ständigen Besuchen bei der Ausländerbehörde, den Schikanen, das Abwarten, Ausharren und Bangen zeichnet Nguyen nicht nur die ersten Jahre ihrer Familie in Deutschland, sondern stellvertretend für fast alle Familien aus Vietnam, über die das Damoklesschwert der Abschiebung hing. Das Kindsein fiel ihr mit der Angst und den Ausgrenzugen, den rassistischen Bezeichnungen in der Schule und der immer spürbareren rassistischen und diskriminierenden Behandlung immer schwerer.

Hami Nguyen erzählt natürlich sehr persönlich, verbindet ihre Erinnerungen jedoch konstant mit den historischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen, baut die Ergebnisse von Studien und Statistiken in ihre Abhandlung mit ein. Ich kenne sie und ihren Aktivismus - wenn man ihre Arbeit so bezeichnen möchte/kann - bereits aus den sozialen Medien, weshalb ich sehr gespannt auf ihr Buch war. Darin erläutert sie unter anderem die Unterschiede zwischen Vertragsarbeiterinnen und Bootsflüchtlingen, geht unter anderem auf die Mechanismen des positiven Rassismus gegen Asiatinnen, die Generalisierung der Bezeichnung "Asiatin" und die Progrome in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie daran anschließende Abschiebungen und weitere rassistische Anschläge ein.
Schnell wird deutlich, dass anti-asiatischer Rassismus bisher keinen breit gefächerten Platz in den Rassismus-Debatten hat, weil Vietnames
innen häufig als sehr angepasst wirken und daher eher untergehen, was bereits dem Buchtitel zu entnehmen ist.
Hami Nguyen vereint ihre persönliche Lebensgeschichten mit gebündelten Informationen, fundierten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründen und Ereignissen und schafft so mit "Das Ende der Unsichtbarkeit" eine sehr zu emfpehlende Abhandlung über anti-asiatischen Rassismus. Meiner Einschätzung nach ist das Buch für jede*n sehr zu empfehlen und eigentlich schon Lesepflicht!