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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.06.2023

Die erste große Liebe

Wo der Seewind flüstert. Die St.-Peter-Ording-Saga
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"Wo der Seewind flüstert" spielt im Jahr 1959: Sabine hat gerade die Frauenfachschule beendet und wird nach dem Sommer ihre Ausbildung beginnen. Nach all der Anstrengung möchte sie mit Freundin Rita, ihrem ...

"Wo der Seewind flüstert" spielt im Jahr 1959: Sabine hat gerade die Frauenfachschule beendet und wird nach dem Sommer ihre Ausbildung beginnen. Nach all der Anstrengung möchte sie mit Freundin Rita, ihrem Bruder und dessen besten Freund an den Gardasee fahren. Doch ihre Tante in Nordfriesland braucht Hilfe in St. Peter-Ording, weshalb Sabine ihren Sommer bei ihr statt in Italien verbringen und ihr dort aushelfen muss. Bereits nach den ersten Tagen genießt Sabine die Arbeit bei ihrer Tante und hilft zusätzlich noch im Strandcafé aus, was ihr große Freude bereitet. In St. Peter gefällt es ihr so gut, dass sie gar nicht in den Ruhrpott zurückmöchte. Zu gewissen Teilen liegt das auch an Tom, der sich um die Strandkörbe kümmert und ein Auge auf Sabine geworfen hat.

Tanja Janz hat mich vor allem mit ihrem sprachlichen Ausdruck und dem transportierten Zeitgeist überrascht, da ich sowohl die Atmosphäre im Buch, die beschriebenen Zustände als auch die Sprache sehr passend und authentisch für die späten 50er Jahre empfinde. Ich brauchte die ersten Kapitel, um mich einzufinden, um Sabine kennenzulernen und mir die Denkweisen und Werte aus der Zeit vor Augen zu führen, ab dann konnte ich abtauchen und an Sabines Seite den Sommer in St. Peter-Ording, die zarten Gefühle der ersten großen Liebe und die Rückkehr ins graue Duisburg erleben.
Ein schöner auftakt der Saga, ich bin gespannt auf den nächsten Teil und freue mich, dann mehr aus St. Peter-Ording zu lesen!

Veröffentlicht am 20.06.2023

Das Wert eines Kinderlebens

Die spürst du nicht
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Die beiden wohlhabenden und privilegierten Familien Binder und Strobl-Marineks verbringen mit ihren Kindern einen exklusiven Urlaub in einer toskanischen Villa. Damit sich Sophie Luise, die 14-jährige ...

Die beiden wohlhabenden und privilegierten Familien Binder und Strobl-Marineks verbringen mit ihren Kindern einen exklusiven Urlaub in einer toskanischen Villa. Damit sich Sophie Luise, die 14-jährige Tochter der Strobl-Marineks, nicht langweilt, nehmen sie ihre Klassenkameradin Aayana, ein Flüchtlingskind aus Somalia mit. Sophie Luise möchte ihr das Schwimmen beibringen. Bereits am ersten Tag, als die Binders und die Strobl-Marineks sich gerade erst in der Villa eingefunden haben, passiert ein tragischer Unfall, der den Urlaub jäh beendet und die Leben der Familien maßgeblich verändert.

Daniel Glattauer thematisiert in "Die spürst du nicht" vor allem die Privliegien unserer wohlhabenden Gesellschaft in Relation zu der Ungerechtigkeit und dem zweierlei Maß, mit dem gegenüber Flüchtlingen und Migrantinnen gemessen wird. Ausschlaggebend für das abgebildete Sittenbild ist der tödliche Poolunfall und der anschließende Umgang damit - innerfamiliär, politisch, gesellschaftlich, medial und juristisch. Glattauer lässt sämtliche Perspektiven und Figuren zu Wort kommen, unter anderem Journalistinnen in Form von Zeitungsartikeln und die breite Masse der Bevölkerung in Form von Kommentarspalten. Dass es sich darin um populistische Äußerungen handelt, dürfte niemanden wundern. Über allem schwebt die Frage nach Schuld und nach dem Wert eines (Flüchtlings-)Kinderlebens.

Die gewählten Stilmittel, die sprachliche Umsetzung und die vielfältige und pointierte Figurendarstellung haben mich beeindruckt. Es handelt sich hier um schwere Kost, die ein erschreckendes Abbild unserer Gesellschaft ist. In diesen Spiegel mag sicherlich nicht jede*r (gleich) gern schauen.

Veröffentlicht am 18.06.2023

Sehr ansprechendes türkisches Kochbuch

Meine Süperküche
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Ich mag die türkische Küche sehr gern und freue mich immer über neue Rezepte - vor allem über vegetarische und vegane Gerichte. Meltem Kaptan hat mit "Meine Süperküche" meine Erwartungen an das Kochbuch ...

Ich mag die türkische Küche sehr gern und freue mich immer über neue Rezepte - vor allem über vegetarische und vegane Gerichte. Meltem Kaptan hat mit "Meine Süperküche" meine Erwartungen an das Kochbuch übertroffen. Das Hardcover verspricht Stabilität, die Seiten sind angenehm dick zum Umblättern und die Fotos der Gerichte regen den Appetit an und wecken Lust, direkt loszukochen.
Die Aufteilung ist recht klassisch - Vorspeisen, Suppen & Eintöpfe, Hauptgerichte und Nachspeisen. Was mir sehr gut gefällt, ist die Symbolik für vegan, vegetarisch und glutenfrei, mit der die einzelnen Rezepte markiert sind. Die Zutatenlisten sind überschaubar, sehr übersichtlich und enthalten in der Regel auch alles, was man eh da hat oder ganz easy im Supermarkt bekommt.
Die Zubereitung ist meist einfach, sehr gut erklärt und die Gerichte gehen recht schnell und sind sehr lecker.
Was mir besonders gut gefällt ist der große Gemüse-Anteil, gerade in Bezug auf Auberginenrezepte. Und die vegetarischen Rezepte lassen sich auch easy in vegane Alternativen umwandeln.

Ich bin begeistert und möchte gern noch mehr von Meltem Kaptan nachkochen!

Veröffentlicht am 18.06.2023

Sehr differenziert und gut recherchiert

Das Ende der Ehe
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In "Das Ende der Ehe" legt Emilia Roig die (Macht)Strukturen des Patriarchats offen, dessen Sinnbild die Institution Ehe ist. Wichtig voranzustellen: Emilia Roig ist keinesfalls gegen die Ehe und möchte ...

In "Das Ende der Ehe" legt Emilia Roig die (Macht)Strukturen des Patriarchats offen, dessen Sinnbild die Institution Ehe ist. Wichtig voranzustellen: Emilia Roig ist keinesfalls gegen die Ehe und möchte diese auch nicht endgültig für alle abschaffen. Vielmehr zeigt sie Schwachstellen auf, macht deutlich, wie und in welchem Maße die Frau durch die Institution Ehe unterdrückt wird und für wie "normal" das alles erscheint. Außerdem schreibt sie darüber, dass unter Ehe per se erstmal die heterosexuelle Ehe gemeint ist, gibt einen kurzen Abriss über die Entwicklung der queeren Ehe und zeigt auch hier immense Nachteile und Unterdrückungsfaktoren auf, die so auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind, da die gleichgeschlechtliche Ehe ja nun auch möglich ist - allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen und mit anderen Rechten und Pflichten als die heterosexuelle Ehe.
Themen, die Emilia Roig behandelt, sind unter anderem die kostenlose Care Arbeit, die Stellung von Frauen und Männern im Job, Non-Binarität, Queerness, (sexualisierte) Gewalt, die Elternrolle, Geld, finanzielle Abhängigkeit und Machtstrukturen innerhalb von Beziehungen - alles in Relation zum Individuum, zu gesellschaftlichen/politischen/juristischen Strukturen und der Mehrheitsgesellschaft.

Emilia Roig schreibt sachlich, sehr differenziert und unterfüttert die faktischen Schilderungen immer wieder durch eigene Erfahrungen. Ich hatte während der Lektüre so viele "oh ja, stimmt"-Momente, dass ich das Buch definitiv nicht zum letzten Mal gelesen habe. Auch weil der Input so viel ist und ich das ein oder andere Kapitel noch stärker verinnerlichen möchte.

Auch wenn einige Emilia Roigs Buch sicherlich als Angriff, Provokation oder gar als "Hass gegen Männer" abstempeln, kann ich die Lektüre wärmstens empfehlen. Es werden sämtliche Machtstrukturen, Abhängigkeiten und Missstände aufgedeckt, die viel mehr Menschen bewusst werden sollten.

Veröffentlicht am 14.06.2023

Brisant und brandaktuell

Dein Taxi ist da
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"Dein Taxi ist da" erzählt vor allem von Damani, die ihr Geld über einer Fahrdienst-App verdient. Allerdings werden ihre Einkünfte über die App immer schlechter und die Bedingungen härter. Als Frau tamilischer ...

"Dein Taxi ist da" erzählt vor allem von Damani, die ihr Geld über einer Fahrdienst-App verdient. Allerdings werden ihre Einkünfte über die App immer schlechter und die Bedingungen härter. Als Frau tamilischer Herkunft, mit einer kranken Mutter, die sie mitversorgen muss, nachdem ihr Vater wenige Monate zuvor verstorben ist, hat Damani es nicht leicht und kämpft jeden Tag ums Neue. Sie hat zwar einen kleinen, festen Kundinnenstamm, wie Mrs. Patrice, die sie regelmäßig zum Bingospielen fährt, ist ansonsten jedoch auf die Gunst der anderen Kundinnen angewiesen.

Priya Guns thematisiert rund um Damanis Fahralltag politische und gesellschaftliche Themen wie Sexismus, Rassismus, gleichgeschlechtliche Liebe, Flüchtlingsstatus und white privileges. Vor allem die white privileges finden in der Figur Jolene einen anschaulichen Ausdruck. Eines Tages sitzt Jolene, eine weiße, sehr wohlhabende Frau aus gutem Hause, in Damanis Auto und zwischen den beiden funkt es auf Anhieb. Doch als Damani Jolene ihren Freundinnen vorstellt, eskaliert die Situation.
Ich mochte sowohl den sehr flüssigen und eher unaufgeregten Schreibstil als auch das Setting und die Art des Erzählens von Priya Guns sehr gern. Damanis Wut auf die Welt, die Missstände und das Angwiesensein auf die anderen, das Schaffen eigener Schutzmauern und die permanente Verletzlichkeit schwingen immerzu mit.

Ein grandioses Debüt, das mir sicherlich noch eine Weile im Kopf bleiben wird, und dass ich jedem
jeder Leser*in emfpehlen kann!