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Veröffentlicht am 24.01.2017

Deutsch-deutsche Geschichte gelebt

Ab heute heiße ich Margo
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Dieser Roman, mit mehr als 600 Seiten, beschreibt das Leben von zwei sehr starken, aber unterschiedlichen Frauen in Stendal von 1936 bis zum Jahr 2000. Neben den Lebensgeschichten beinhaltet dieses Buch ...

Dieser Roman, mit mehr als 600 Seiten, beschreibt das Leben von zwei sehr starken, aber unterschiedlichen Frauen in Stendal von 1936 bis zum Jahr 2000. Neben den Lebensgeschichten beinhaltet dieses Buch auch jede Menge deutsch-deutsche Geschichte, beginnend beim Zweiten Weltkrieg über die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung 1989. Eine Zeitreise, die mich unglaublich gefesselt hat....

Margarete, die sich später Margo nennt, beendet vorzeitig die Schule um endlich unabhängig von ihrem tyrannischen Vater und der verschüchterten Mutter zu sein. Beim Fotografen Otto Werner findet sie Arbeit in der Buchhaltung, die ihr Spaß macht. Doch ihr extremer Ehrgeiz macht sie nicht unbedingt beliebt. Margo weiß, was sie will und das sind nicht Heirat, Kinder und der Haushalt, sondern eine Karriere. Trotz der für die damalige Zeit untypischen Ziele, ist sie politisch eher naiv.
Helene, die bereits in ihrer Jugend im Spanischen Bürgerkrieg als Fotografin zwischen den Fronten stand, hat bereits die andere Seite des Lebens kennengelernt. Als Vierteljüdin befindet sie sich auch in Deutschland wieder in Lebensgefahr und findet bei Photo-Werner Unterschlupf und einen Job. Obwohl die jungen Frauen so unterschiedlich sind, entsteht zwischen den Beiden eine Freundschaft. Doch die Liebe zum selben Mann, ein dunkles Geheimnis und der zweite Weltkrieg reißen sie auseinander und ihre Träume und Wünsche lösen sich in Luft auf....
Während Margo nach dem Krieg in Westdeutschland Karriere macht, muss Helene als alleinerziehende Mutter über die Runden kommen und spioniert für die Stasi.
Obwohl mir beide Frauen nicht wirklich sympathisch waren, musste ich doch den Mut und den Ehrgeiz von Helene und Margo bewundern. Beide versuchten aus ihren Situationen das Beste zu machen, auch wenn ich doch einige Handlungen nicht nachvollziehen konnte.

Erstmals hatte ich auch einen Roman vor mir, der während des Zweiten Weltkrieges spielt und der keine Jüdin oder Widerstandskämpferin als Hauptprotagonistin hatte. Im Gegenteil: Margarete war die ersten Jahre dem Hitlerregime nicht abgeneigt.
Die Autorin versteht es zwei typische Frauenbilder dieser Zeit lebendig und authentisch darzustellen. Beide Hauptprotagonistinnen sind nicht unbedingt sympathisch, aber sehr vielschichtig beschrieben. Es gibt kein schwarz-weiß, sondern ein Porträt von Menschen, die sich die jeweiligen politische Lage zu Nutzen gemacht haben oder einfach versuchten zu überleben. Man kann selbst nie beurteilen, wie man wirklich gehandelt hätte, wäre man in eine dieser Situationen gekommen (wobei ich jetzt natürlich nicht das Hitlerregime meine, sondern die Zeit nach dem Krieg).
Die Autorin beschreibt hier gekonnt die verschiedenen Strömungen nach dem Kriegsende und den Zerfall Deutschlands in Ost- und Westdeutschland. Positiv hervorheben sollte man, dass Cora Stephan weder mit den moralisch erhobenen Zeigefinger geschrieben, noch eine der beiden Seiten politisch bevorzugt hat. Einzig die kleinen Spionageeinträge kurz vor dem Ende fand ich etwas too much....

Schreibstil:
Die Autorin hat einen wunderbaren Schreibstil, der mich sofort in die Geschichte eintauchen ließ. Historisch wurde hier sehr gut recherchiert und einige ältere Leser können sich sicherlich noch an diverse Begebenheiten, wie den Mauerfall, erinnern. Die atmosphärisch sehr dichte Geschichte ist lebendig und fesselt den Leser.

Der Roman ist in drei große Abschnitte unterteilt. Teil 1 "Im dritten Reich" spielt von 1936 bis 1945, Teil 2 "Deutschland Ost, Deutschland West" von 1945 bis 1989 und Teil 3 "Nach dem Mauerfall" von 1989 bis 2000. Erzählt wird in der dritten Person, wobei die Sichtweise zwischen Margo und Helen wechselt. Einige wenige Kapitel sind aus der Sicht von Alard geschrieben, der mir etwas zu kurz in der Geschichte kam.

Fazit:
Ein Porträt zweier starker, aber sehr unterschiedlicher Frauen, eingebettet in siebzig Jahre deutsche Geschichte - wunderbar erzählt und mitten aus dem Leben gegriffen. Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 16.01.2017

Ein Stern beginnt zu leuchten

Die Schattenschwester
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Auch der dritte Band der "Sieben Schwestern Reihe" von Lucinda Riley schließt nahtlos an die beiden Vorgängerbände an. Kurz wird wieder in einem kleinen Rückblick dem Tod von Pa Salt gedacht und diesmal ...

Auch der dritte Band der "Sieben Schwestern Reihe" von Lucinda Riley schließt nahtlos an die beiden Vorgängerbände an. Kurz wird wieder in einem kleinen Rückblick dem Tod von Pa Salt gedacht und diesmal aus der Sicht von Star erzählt.
Star oder Asterope ist die Schwester, die in den ersten beiden Bänden eher ein Schattendasein zugebracht hat, denn Star gab es nur im Doppelpack mit CeCe. Während die vierte Schwester eine eher muntere und furchtlose, immer im Mittelpunkt stehende junge Frau ist, ist Star die wortkarge und besonnenere der Beiden, die jedoch oftmals gar nicht nach ihrer Meinung gefragt und übergangen wurde. Als sie den Brief ihres Vaters öffnet, hat auch Star bereits das leise Gefühl ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen zu wollen und nicht nur als Einheit mit ihrer Schwester aufzutreten. Der passende Satz von Pa Salt

""Eiche und Zypresse gedeihen nicht im Schatten des jeweils anderen." - Seite 41

bleibt ihr im Gedächtnis haften. Doch so einfach ist es nicht, sich von CeCe zu lösen, denn so stark wie ihre Schwester nach außen hin erscheint, ist sie in Wirklichkeit gar nicht.

Die Koordianten, die Figur eines schwarzen Panthers, der Name Flora MacNichol und eine Adresse im Herzen von London führen Star schlussendlich zu einer antiquarischen Buchhandlung. Dort lernt sie den etwas eigenartigen Orlando kennen, der ihre Affinität zur Literatur erkennt und sie anstellt. Durch ihn lernt sie auch seinen Bruder "Maus", seine Kusine Marguerite und den taubstummen Neffen Rory kennen, die in Kent leben. Star beginnt mehr aus sich herauszugehen und liebt sowohl das Haus und die Umgebung, in der die Familie von Orlando lebt. Doch welchen Bezug soll die Familie Orlando's zu ihrer eigenen Herkunft haben? Als sie dieTagebücher von Flora MacNichols zum Lesen erhält, taucht sie ein in das Leben dieser fazinierenden Flora....

Und hier erhalten wir auch wieder unseren Strang aus der Vergangenheit, der uns im Jahre 1909 zuerst an den Lake District und danach nach High Weald in Kent entführt. Wir lernen die junge Flora MacNichol kennen, eine tierliebende und sehr unabhängige junge Frau, die ebenfalls etwas im Schatten ihrer jüngeren Schwester Aurelia steht. Diese erhält die ganze Zuneigung ihrer Eltern und wird auch bei Hofe eingeführt, während Flora zuhause ihre Tiere versorgt und den Garten im Schuss hält. Als ihre Eltern das Haus verkaufen, wird Flora doch noch nach London zu Alice Keppel geschickt und erhält ihre Ausbildung. Doch der Preis dafür ist hoch....

Wie zu 99% der Geschichten, die auf zwei Zeitebenen basieren, hat mich auch diesmal nur der Vergangenheitsstrang völlig überzeugen können. Das Schicksal Floras hat mich mitgerissen und ich konnte es oft nicht glauben, welche Entscheidungen sie letztendlich getroffen hat. Mein Herz hat geblutet und ich habe mit ihr mitgelitten. Auch die historischen Persönlichkeiten, wie König Eduard VII, den Mrs. Keppels Töchter liebevoll "Kingy" nennen oder Beatrix Potter, die berühmte englische Kinderbuchautorin, die zu einer engen Freundin Floras wird, hat Lucinda Riley in die Geschichte eingebaut. Das lässt natürlich jedes Herz eines Bücherwurms höher schlagen! Im Kopf sah ich immer die wunderbaren Illustrationen von Peter Hase vor mir.

Die Geschichte in der Gegenwart konnte mich allerdings nicht zu 100% überzeugen. Star wird mir trotz abgebrochenen Literaturstudium zu sehr als Hausmütterchen dargestellt, die nur mehr im Kochen ihre Erfüllung zu finden scheint.Für mich wird sie etwas zu perfekt dargestellt, nachdem sie früher kaum aus dem Schatten ihrer Schwester getreten ist. Auch die eingeflochtene Liebesgeschichte fand ich unglaubwürdig. Ich konnte die plötzliche Zuneigung des Paares nicht nachvollziehen. Die Charaktere aus diesen Abschnitten konnten mich ebenfalls nicht auf ganzer Reihe überzeugen. Ich konnte nicht mit ihnen mitfühlen, wie es der Vergangenheitspart ohne Probleme schaffte.

Trotzdem hat es die Autorin verstanden mich wieder mit ihrer Geschichte zu begeistern. Wie gewohnt erhalten wir im letzten Kapitel bereits einen kleinen Ausblick auf den Folgeband, der sich Mit CeCe befassen wird.

Schreibstil:
Hier braucht man wirklich nicht mehr viel zu sagen: Wer die Autorin kennt weiß, dass sie bezaubern kann und es ihr wunderbar gelingt, den Leser in ihren Geschichten versinken zu lassen. Der Schreibstil ist wie gewohnt flüssig und sprachlich gelungen.


Fazit:
Der dritte Band der Reihe entführt den Leser nach Kent. Der Part in der Vergangenheit wurde grandios erzählt, doch der Gegenwartspart überzeugte mich diesmal nicht zu 100%. Hier konnten mich die Charaktere nicht vollkommen für sich gewinnen, was den Figuren in der Vergangenheit mühelos gelang. Deshalb vergebe ich 4 1/2 von 5 Sternen und freue mich auf den Folgeband.

Veröffentlicht am 12.01.2017

TOP-Psychothriller

Saving Grace - Bis dein Tod uns scheidet
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Wow...was für ein Buch! Endlich wieder ein richtig guter Thriller, der unter die Haut geht und fesselt! Wer denkt, "Die Wahrheit" von Melanie Raabe ist top, sollte zu "Saving Grace - Bis dein Tod uns scheidet" ...

Wow...was für ein Buch! Endlich wieder ein richtig guter Thriller, der unter die Haut geht und fesselt! Wer denkt, "Die Wahrheit" von Melanie Raabe ist top, sollte zu "Saving Grace - Bis dein Tod uns scheidet" greifen und er wird eines Besseren belehrt! Sorry, ich will hier "Die Wahrheit" nicht schlecht machen, denn auch mir hat Melanie Raabe's Buch gefallen, aber mir war die Auflösung einfach zu banal. Der Grund warum ich Melanie Raabes Buch als Vergleich hergenommen habe ist, weil ich finde, dass der Aufbau beider Bücher ähnlich ist oder beide Autoren auf vergleichbare Protagonisten zurückgegriffen haben: einem Ehepaar.

Bei "Saving Grace..." (der Originaltitel ist so viel besser und sagt auch jede Menge mehr aus!) fängt der Psychotriller langsam an und steigert sich sehr schnell auf einem hohen Level, der in einer für mich stimmigen Lösung endet.
Aber beginnen wir von Anfang an...
Die Geschichte wird abwechselnd in der Vergangenheit und in der Gegenwart erzählt. Im ersten Kapitel befinden wir uns bei einer Dinnerparty, die Grace in ihrem Haus gibt. Hier erlebt der Leser noch eine anfangs ruhige Stimmung, die jedoch mit der Zeit ein Stirnrunzeln auf meinem Gesicht erzeugt und das Gefühl von Beklemmung hervorgerufen hat. Die Frage: "Was stimmt hier nicht?" wird langsam aber sicher in beiden Strängen geklärt, wobei natürlich die Abschnitte in der Vergangenheit, als Grace ihren Mann Jake kennenlernt, ausschlaggebend sind.

Jack Angel ist ein erfogreicher Anwalt, der Frauen vertritt, die mit häuslicher Gewalt in Verbindung gekommen sind. Seine Erfolge sind bezeichnend, denn er hat noch keinen einzigen Fall verloren. In ihm scheint Grace, eine erfolgreiche Food Einkäuferin bei Harrods, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Von den Eltern nur akzeptiert, nimmt sie auch die wichtigste Rolle bei ihre Schwester Millie ein, die das Down-Syndrom hat. Jack ist der erste Mann an ihrer Seite, der auch Millie akzeptiert und so gibt sie dem charmanten Anwalt schon bald das Eheverprechen. Jack hat bereits ihr gemeinsames Traumhaus gefunden, in dem Millie nach Beendigung der Schule und nach ihrem achzehnten Geburtstag ebenfalls bei ihnen einziehen soll.
Doch bereits in der Hochzeitsnacht entpuppt sich der Traummann zum Albtraum. Nicht nur der Pass, sämtliches Geld und Grace Mobiltelefon sind weg, sondern auch der Ehemann ist verschwunden. Als er am nächsten Morgen wieder auftaucht, hat Grace einen anderen Mann vor sich: brutal und eiskalt.
Schon bald erfährt sie seine wahren Hintergründe bzw. seine grausamen Pläne, vor denen Grace und Millie nicht entkommen können......

Der Debütroman von B.A. Paris ist absolut gelungen! Die Geschichte ist beängstigend, denn sie könnte jeden von uns passieren. Niemand kann hinter die Fassade eines Menschen blicken und so erscheint auch Jack zuerst als DER Traumann schlechthin. Doch Jack hat seine Vorgehensweise präzise geplant und seine Pläne sind mehr als ausgereift. Seine Intelligenz und seine Bösartigkeit kommen ihm dabei sehr zu Hilfe.
Grace Ausweglosigkeit in ihrer Situation ist furchtbar beklemmend und sehr einducksvoll geschildert.
"Saving Grace - Bis dein Tod uns scheidet" spielt mit unserer Psyche und genau das macht einen guten Psychothriller aus.

Schreibstil:
Die britische Autorin, die heute in Frankreich lebt, arbeitete in der Finanzbranche und als Lehrerin. Kaum zu glauben, was ihr wohl bei Steuerausgleichen oder im Klassenzimmer so alles eingefallen ist ;)
Die Handlung wird aus der Sicht von Grace erzählt. So fühlt man sich als Leser noch beklemmender und ist selbst ratlos, wie sie aus ihrem Gefängnis ausbrechen könnte. Der Schreibstil ist flüssig und liest sich sehr gut.
Die Charaktere sind lebendig und vorallem Millie, die am Down-Syndrom leidet, wird hervoragend beschrieben. Aber auch die Emotionen aller Figuren kommen einfach wahnsinnig gut rüber.


Fazit:
Ein fantastisches Debüt der Autorin, die mich absolut überzeugen konnte. "Saving Grace - Bis dein Tod uns scheidet" spielt mit unserer Psyche und genau das macht einen guten Psychothriller aus. Ein TOP-Buch und eine Leseempfehlung für alle Thrillerfreunde!

Veröffentlicht am 27.12.2016

Die Gräuel der Nachkriegszeit

Trümmerkind
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Die meisten meiner Blog-Leser wissen, dass Bücher, die von den Weltkriegen erzählen, ganz oben auf meiner Wunschliste stehen und an denen ich kaum vorbeigehen kann. Deshalb hatte ich auch "Trümmerkind" ...

Die meisten meiner Blog-Leser wissen, dass Bücher, die von den Weltkriegen erzählen, ganz oben auf meiner Wunschliste stehen und an denen ich kaum vorbeigehen kann. Deshalb hatte ich auch "Trümmerkind" von Mechthild Borrmann sofort auf meiner Wunschliste, sobald ich das Buch in der Vorschau sah. Der Droemer Knaur Verlag hat mir das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt - vielen Dank!

Der Roman wird als Gegenwartsliteratur oder historischer Krimi gehandelt. Ich denke es ist eine Mischung daraus, da er sich aus den folgenden drei Handlungssträngen und Zeitebenen zusammensetzt:
1945: Familie Anquist, die auf ihrem Gut in der Uckermark in Nordostdeutschland lebt
1947: Agnes Dietz, deren Mann im Krieg verschollen ist und sich in Hamburg in der Nachkriegszeit mit ihren zwei Kindern durchschlagen muss
1992: Anna Meerbaum, geschiedene Lehrerin in Köln, die von einer eventuellen Erbschaft in der Uckermark erfährt und sich die Heimat ihrer Mutter ansehen will

Diese drei Handlungsstränge wechseln kapitelweise und anfangs fragt man sich noch, wie diese wohl zusammenhängen. Doch nach und nach kristallisieren sich einige Gemeinsamkeiten heraus und Puzzlestein um Puzzlestein fügt sich diese Geschichte zu einem Gesamtbild.
"Trümmerfrauen" wurden die Frauen der Nachkriegszeit genannt, die maßgeblich beim Aufbau der zerstörten Städte halfen. Eine dieser Trümmerfrauen ist Agnes Dietz, die während des Tages Steine klopft und abends an ihrer Nähmaschine sitzt, um für die reichen Engländerinnen zu schneidern. Hanno, ihr Ältester, sucht tagsüber unter den Trümmern der zerbombten Häuser nach brauchbaren Dingen, die er am Schwarzmarkt verkaufen kann. Eines Tages, als er eine tote Frau im Keller eines Hauses findet, steht plötzlich ein kleiner Junge vor ihm, der nicht spricht. Hanno und seine Schwester Wiebke nehmen ihn mit nach Hause, wo er zuerst versorgt und später, obwohl die Not groß ist, auch in die Familie aufgenommen wird.
Clara Anquist, die Tochter eines Pferdezüchters und Gutsbesitzers, verliert hingegen ihr Zuhause nach der Niederlage der Deutschen. Die rote Armee enteignet die Familie und bringt Flüchtlinge zum Gut. Das Schicksal meint es nicht gut mit der Familie, aber auch Clara zeigt Mut und Stärke in dieser Zeit und versucht die Familie über die Runden zu bringen. Auch sie werden zu Flüchtlingen, die sich zuerst in die englische Besatzungszone flüchten und danach nach Spanien zu Bekannten wollen.....
Anna Meerbaum hingegen erfährt, dass ihre Mutter nach der Öffnung des eisernen Vorhanges Entschädigungsansprüche stellen oder eine Rückübertragung des elterlichen Gutshofs in der Uckermark beantragen könnte. Sie versucht mit ihr darüber zu sprechen, doch diese möchte davon nichts hören. Seit Annas Kindheit blockt sie jegliche Fragen zu ihrer Vergangenheit ab und versucht mit Hilfe von Alkohol zu vergessen. Sie verbietet ihrer Tochter nachzuforschen, doch Anna stellt sich den Dämonen ihrer Muttert und benötigt mehr Stärke, als sie ahnt...

Drei starke Frauen, die so schnell nicht aufgeben und die es nicht leicht im Leben haben. Dabei hat Anna nicht mit dem Krieg oder der Nachkriegszeit zu kämpfen, sondern mit den Dämonen ihrer Mutter und einer Vergangenheit, die auch Annas Leben total auf den Kopf stellen wird.
Mechthild Borrmann versteht es diese Zeit sehr bildhaft und realistisch darzustellen. Das lange Anstellen für ein Stück Brot oder Butter, die Enteignungen und Vergewaltigungen und von Menschen, die die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben. Beginnt der Roman anfangs noch ruhig, hat er zum Ende hin kriminalistische Elemente, die mich an die Seiten fesselten.

Schreibstil:
Mechthild Borrmann hat einen wunderbaren Schreibstil, der sehr bildgewaltig und atmosphärisch ist. Die Charaktere sind hervorragend ausgearbeitet und entwicklen eine Tiefe, die mich beeindruckt hat. Man spürt die drückende Atmosphäre der Nachkriegszeit und all die Entbehrungen, die die Menschen erleiden. Mit dem Krimiplot kommt auch die Spannung am Ende nicht zu kurz.


Fazit:
Ein großartiger und atmosphärischer Nachkriegsroman, der einem packt und nicht mehr loslässt. Die Charaktere sind hervorragend ausgearbeitet und lebendig. Eine Geschichte, in die man eintaucht und die man erst mit der letzten Seite zufrieden zuklappt, wobei sich die Gräuel des Krieges nicht so leicht abschütteln lassen...

Veröffentlicht am 21.12.2016

Das Geheimnis des Lebens

Niemand weiß, wie spät es ist
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Der neue Roman des österreichischen Autors René Freund hat mich wieder davon überzeugt, dass wir hier in Österreich wirklich hervorragende Schriftsteller haben, denen man mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.
Ich ...

Der neue Roman des österreichischen Autors René Freund hat mich wieder davon überzeugt, dass wir hier in Österreich wirklich hervorragende Schriftsteller haben, denen man mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.
Ich habe bereits zwei Bücher von René Freund gelesen: "Liebe unter Fischen" meine Rezi und "Mein Vater, der Desserteur" meine Rezi. Dieser ist jedoch ein biografischer Roman aus dem Leben seines Vaters. Beide Bücher haben mir sehr gut gefallen und deswegen war ich schon sehr neugierig auf René's neuen Roman, den ich mir aus der Bücherei mitgenommen habe.

Die Inhaltsangabe klingt eigentlich nicht wirklich neu. Irgendwo habe ich schon ähnliche Klappentexte gelesen, die allerdings meistens mit humorigen Romanen in Verbindung gebracht wurden. Auch in "Niemand weiß, wie spät es ist" klingt Humor durch, jedoch ist dieser einfühlsame Roman keine wirkliche Komödie, sondern eher eine kleine Selbstfindung der Hauptprotagonistin.
Diese heißt Nora, ist Französin und wird nach dem Tod ihres Vaters Klaus mit seinem ungewöhnlichen letzten Willen konftrontiert. Sie soll gemeinsam mit einem österreichischen Notariatsgehilfen die Urne ihres Vaters an einem noch unbekannten Ort in Österreich bringen. Mittels Videobotschaft oder Briefen wird die nächste Teilstrecke, die die Beiden zurücklegen müssen, bekannt gegeben.
Nora ist außer sich vor Wut. Die chaotische Journalistin, die das französische "laissez-faire" liebt, soll in die von ihr ungeliebte Heimat ihres Vaters reisen. Noch dazu mit Bernhard, diesem pedantischen und langweiligen Schnösel, der die notarielle Aufsicht hat. Nora will diese Reise so schnell wie möglich hinter sich bringen und rechnet so gar nicht mit einer Art Schnitzeljagd durch Österreich....vorallem nicht zu Fuß! Denn in ihrem Koffer sind mehr Cocktailkleider als praktische Hosen und an den Füßen trägt sie Stöckelschuhe statt Wanderschuhe......

Mit viel Humor, bei dem wir Österreicher vom Autor ein bisschen auf die Schippe genommen werden, beschreibt René Freund nun den Weg von Nora von Wien ausgehend Richtung Westen. Dabei kommen sie auch in meiner Gegend vorbei und ich habe mich zerkugelt über die Bermerkungen über unsere Region ;)
Größtenteils zu Fuß soll Nora sich durch die anfängliche Hügellandschaft und spätere Bergwelt quälen. Wie sich die beiden sehr ungleichen Charaktere zusammenraufen, ist wunderbar beschrieben. Auch die lebendigen Schilderungen der oft eskalierenden Szenen zwischen Nora und Bernhard, sowie die bildhafte Beschreibung der Umgebung, lassen viele Bilder im Kopf entstehen.
Die melancholischen Einschübe durch die Botschaften des verstorbenen Vaters zeigen auch eine andere Seite von ihm, die Nora nicht kannte. Hier hält der Autor immer etwas inne und lässt auch manchmal dem Leser etwas nachdenklich zurück. Bernhard, der notarielle Begleiter, zeigt ebenfalls immer mehr überraschende Eigenschaften, die Nora ihm nie zugetraut hätte.
Hat man den Klappentext gelesen, erwartet man als Leser eine 08/15 (Liebes-)geschichte, doch René Freund hält hier eine Überraschung bereit, mit der der Leser nicht wirklich rechnet. Mich konnte er auf jeden Fall mit seiner unvorhersehbaren Wendung verblüffen.
Dieses Ende und die wunderbare Beschreibung der Reise zum Ich, die Nora antritt, machen diesen Roman zu etwas Besonderem.

Schreibstil:
René Freund hat einen sehr einnehmenden Schreibstil, der mich überzeugt und berührt. Die humorvollen Einlagen haben mich schon bei "Liebe unter Fischen" begeistert. Auch die sehr bildhaften Beschreibungen der gemeinsamen Reise von Wien ausgehend Richtung Westösterreich waren absolut gelungen. Da ich sehr viele Regionen kannte, die der Autor beschrieben hat, fühlte ich mich fast wie zuhause ;)

Fazit:
"Niemand weiß, wie spät es ist" ist meiner Meinung nach der beste Roman des Autors, den ich bis jetzt gelesen habe (die Biografie seines Vater zähle ich hier nicht mit!). Ich habe mitgelacht und mitgefiebert, wohin Noras Vater sie schlussendlich schickt und welches Geheimnis es zu entdecken gibt. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!