Profilbild von uli123

uli123

Lesejury Star
offline

uli123 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit uli123 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.01.2021

Folgen der Trennung eines Kindes von seiner Mutter

Immer wenn ich meine Augen schließe
0

Ein wirklich lesenswertes Buch, dessen nur 116 Seiten es in sich haben.

Dass sich osteuropäische Gastarbeiter in Westeuropa monatelang verdingen, um den Lebensunterhalt für ihre in der armen Heimat gebliebene ...

Ein wirklich lesenswertes Buch, dessen nur 116 Seiten es in sich haben.

Dass sich osteuropäische Gastarbeiter in Westeuropa monatelang verdingen, um den Lebensunterhalt für ihre in der armen Heimat gebliebene Familie zu verdienen, ist ein bekanntes Phänomen. Doch kaum jemals wird an die Zurückgebliebenen gedacht, insbesondere die Kinder. Dies nun ist das Thema, das der Autor sehr berührend in den Fokus rückt. Die elfjährige Erzählerin befindet sich wegen schwerer Magersucht in einem Krankenhaus. Sie verweigert die Nahrungsaufnahme, weil sie sich vor Sehnsucht nach der geliebten Mutter verzehrt, die Gastarbeiterin im Ausland ist. Das Mädchen erinnert sich an ihr Leben, das letztlich in ihre Erkrankung mündete – außereheliches Kind einer jungen Mutter, die sie immer wieder verlässt und in der Obhut der stets nörgelnden Großmutter oder einer Freundin zurücklässt.

Aus Sicht des kleinen Mädchens geschrieben, liest sich die Geschichte recht einfach. Umso eindringlicher ist das Quäntchen Kritik, das der Autor an den Verhältnissen des rumänischen Staates übt, der es zulässt, dass seine Bürger unter Zurücklassen ihrer Kinder abwandern und die emotionale Bindung zu ihnen verlieren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.01.2021

Geschichtlich äußerst interessante Familiengeschichte

Eva schläft
0

Dank dieses wunderbaren, wirklich lesenswerten Romans verfüge ich jetzt über fundierte Kenntnisse über Südtirol und seine Geschichte seit Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Zeit des Schengener Abkommens. ...

Dank dieses wunderbaren, wirklich lesenswerten Romans verfüge ich jetzt über fundierte Kenntnisse über Südtirol und seine Geschichte seit Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Zeit des Schengener Abkommens.

In dem Buch lässt die Autorin die fiktive Eva aus einem Südtiroler Bergdorf ihre Familiengeschichte seit den 1920er Jahren schildern. Sie spannt den Bogen beginnend in den Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs, als Südtirol mit seinen deutschsprachigen Bewohnern Italien zugeschlagen wurde, über die Zeit nach der Machtergreifung Mussolinis, in der alles Deutsche in Südtirol unerwünscht war, die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs, als sich die Leute für eine Auswanderung ins Deutsche Reich oder ihren rechtlosen Verbleib in Italien entscheiden mussten, die gewalttätigen Autonomiebestrebungen nach dem Krieg bis hin zum Autonomiestatut.
Evas eigene Geschichte ist sehr interessant. Ihre Mutter Gerda war allein erziehend und berufstätig. Ihre einzige Liebe war ein Südtirol stationierter Soldat (Vito) aus Sizilien, der für Eva zum Vater wurde. Die Beziehung scheiterte letztlich an der Geschichte, der sich Gerda und Vito unterwarfen. Auch auf die Probleme anderer Minderheiten wird informativ eingegangen, z.B. die der Homosexuellen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2020

Frauenschicksale in der modernen Türkei

Unerhörte Stimmen
0

Es erstaunt mich immer wieder. Von Zeit zu Zeit greife ich zu einem Buch, von dem ich nie gedacht hätte, dass es mich so packen könnte. Dazu zählt der vorliegende Roman. Da ich meine Lesevorlieben eher ...

Es erstaunt mich immer wieder. Von Zeit zu Zeit greife ich zu einem Buch, von dem ich nie gedacht hätte, dass es mich so packen könnte. Dazu zählt der vorliegende Roman. Da ich meine Lesevorlieben eher in zeitgenössischen Romanen deutschsprachiger Autoren suche, deren Geschichten im Deutschland der Gegenwart angesiedelt sind, bin ich an das Buch mit Vorbehalten herangegangen, denn die Geschichte spielt in der Türkei in den Jahren 1947 bis 1990. Doch schon die ersten Seiten haben mich positiv eingenommen. Allein der Anfang ist ungewöhnlich. Eine gerade ermordete und in einer Mülltonne in Istanbul abgelegte Prostituierte – Leila -, deren Gehirn noch gut zehn Minuten aktiv ist, erzählt in Etappen ihre Lebensgeschichte. Diese beginnt in der Osttürkei. Die Mutter ist Zweitfrau des Vaters, der Leila von seiner ersten, unfruchtbaren Frau aufziehen lässt. Der Vater radikalisiert sich religiös zusehends. Leila wird von ihrem Onkel missbraucht. Derartig entehrt, will der Vater sie in eine Ehe zwingen, wovor Leila mit 16 Jahren nach Istanbul flieht. Dort wird sie rasch zur Prostituierten in einem Bordell und gewinnt im Laufe der Zeit fünf gute Freunde, die wie sie zu den Randfiguren der Gesellschaft zählen und deren ergreifende Schicksale uns ebenfalls erzählt werden. Diese Freunde sind es dann auch, die im zweiten Teil des Buchs die Hauptpersonen sind. Sie setzen alles daran, dass anstelle der anonymen Bestattung auf dem Friedhof der Geächteten Leila eine von ihr gewollte Bestattung erhält. Fortan ist die Geschichte recht abenteuerlich.
Leilas Lebensgeschichte ist höchst interessant, sie selbst von Anbeginn sympathisch. Daneben werden wissenswerte Kenntnisse über die türkische Gesellschaft vermittelt, insbesondere die Zerrissenheit zwischen der fortschrittlichen, westlich orientiertenTürkei und der konservativen, stark religiösen Türkei. Die Autorin, die selbst türkische Wurzeln hat, prangert recht deutlich Missstände an. So wundert es nicht, in ihrer Danksagung am Ende zu lesen, dass sie der Beerdigung ihrer Großmutter in der Türkei ferngeblieben ist, da Berufskollegen dort grundlos inhaftiert wurden.
Sehr empfehlenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.12.2020

Aufstieg und Fall einer amerikanischen Farmer-Familie

Tausend Morgen
0

Eigentlich deuten nur wenige Worte im Klappentext darauf hin („König Lear in Iowa“). Aber der Roman ist eine moderne Version von Shakespeare’s „King Lear“. Wir haben in dem Protagonisten Larry Cook den ...

Eigentlich deuten nur wenige Worte im Klappentext darauf hin („König Lear in Iowa“). Aber der Roman ist eine moderne Version von Shakespeare’s „King Lear“. Wir haben in dem Protagonisten Larry Cook den alternden Patriarchen, in seiner stattlichen, 1000 Morgen großen Farm sein Königreich und in Rose, Ginny (Goneril) und Caroline (Cordelia) drei miteinander im Wettbewerb stehende Töchter.
Die Geschichte wird von der ältesten Tochter Ginny erzählt. Während ihr Pendant Goneril aber die verräterischste, gehässigste und unsittlichste von Lears Töchtern ist, trägt Ginny von diesen Eigenschaften nur leichte Züge und sie kommen auch erst nach einer ganzen Weile zu Tage. An der Oberfläche ist sie zurückhaltend, gehorsam, sowohl Vater als auch Ehemann gegenüber unterwürfig. Sie ist kinderlos nach mehreren Fehlgeburten und deshalb eifersüchtig auf Rose mit ihren zwei Töchtern. Auch auf Caroline ist sie eifersüchtig, weil diese dem Landleben entkommen und Anwältin in der Stadt ist.
Zwei Ereignisse bringen die jahrzehntelang bewahrte Kontinuität und den äußeren guten Schein in Unordnung. Der Vater überschreibt die Farm seinen Töchtern, um Erbschaftsteuer zu sparen, und der lange Jahre herumvagabundierende smarte Nachbarssohn mit einem Faible für Bio-Landwirtschaft kehrt zurück. Diese Ereignisse werden quasi wie eine gerade für Farmer folgenschwere plötzliche Wetterkatastrophe dargestellt. Die Beteiligten werden zu Gefangenen ihrer tausend Morgen.
Auffällig ist umso mehr die Stimme der Erzählerin, die stets die Kontrolle über das Erzählte behält und selbst nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen ist, obwohl die Geschichte rasant an Dramatik gewinnt. Themen wie Ehebruch, Kindesmissbrauch, Gewalt in der Familie, geplanter Mord haben große Bedeutung. Allerdings enthält der Mittelteil einige Längen. Die authentischen Schilderungen des Farmlebens (im Jahr 1979) lassen die Geschichte so real erscheinen und stehen in schönem Gegensatz zu neueren Romanen amerikanischer Autoren, die ich eher nicht lese.
Eine interessante amerikanische Familiengeschichte mit vielen unvermuteten Wendungen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.12.2020

Weiter geht's in Meyerhoffs Leben

Die Zweisamkeit der Einzelgänger
0

Inwieweit alles Erzählte biografisch ist, wie es den berechtigten Anschein erweckt, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall erzählt uns der Autor in seinem weiteren Band nach „Wann wird es endlich ...

Inwieweit alles Erzählte biografisch ist, wie es den berechtigten Anschein erweckt, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall erzählt uns der Autor in seinem weiteren Band nach „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, „Alle Toten fliegen hoch“ und „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ aus den Jahren, als er Mitte 20 war und seine ersten Engagements als Schauspieler hatte. Bei seinen Schilderungen der ihm eigentlich verhassten Tätigkeit fragt man sich wirklich, wie aus dem anscheinend untalentierten Meyerhoff (jedenfalls stellt er sich als solcher dar) ein so erfolgreicher Schauspieler werden konnte. Fahrt nimmt das Ganze dadurch auf, dass Meyerhoff privat über geraume Zeit hinweg zwei Privatleben führt – eines mit der ehrgeizigen, in geistiger Hinsicht (auch für uns Leser) sehr anspruchsvollen Studentin Hanna in Bielefeld und eines mit der rassigen Tänzerin und Nachtschwärmerin Franka in Dortmund. Außerdem gibt es noch eine von ihm ebenfalls verheimlichte dicke Bäckerin, der er regelmäßig in der Backstube hilft. Am besten haben mir aber die immer mal wieder eingestreuten Passagen gefallen, in denen Meyerhoff von Kindheitserinnerungen erzählt und die durchaus den Charakter von Anekdoten haben.
Ein sehr kurzweiliges, empfehlenswertes Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere