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Veröffentlicht am 18.03.2024

Leicht zu hören, schwer zu vergessen: 'Der Zopf' trifft mitten ins Herz.

Der Zopf
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"Der Zopf" von Laetitia Colombani entführt uns auf eine faszinierende Reise durch die Schicksale dreier Frauen auf drei Kontinenten. Als Hörbuch erlebte ich die facettenreiche Erzählung dank der mitreißenden ...

"Der Zopf" von Laetitia Colombani entführt uns auf eine faszinierende Reise durch die Schicksale dreier Frauen auf drei Kontinenten. Als Hörbuch erlebte ich die facettenreiche Erzählung dank der mitreißenden Stimmen von Andrea Sawatzki, Valery Tscheplanowa und Eva Gosciejewicz besonders intensiv. Die Autorin, bekannt für ihre einfühlsamen Erzählungen, schafft es, in ihrem 2019 erschienenen Roman eine Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen und Lebensrealitäten herzustellen. Der gleichnamige Film zum Buch "Der Zopf" kam im März 2024 in die Kinos. Weitere empfehlenswerte Romane der Autorin: »Das Haus der Frauen« und »Das Mädchen mit dem Drachen«.

ZUM BUCHINHALT
Smita, Giulia und Sarah – drei Frauen, deren Lebenswege unterschiedlicher nicht sein könnten, vereint durch ihre Sehnsucht nach Freiheit. In Indien, Italien und Kanada kämpfen sie mutig gegen die Widerstände des Lebens. Smita opfert in Indien ihr Haar für die Zukunft ihrer Tochter, während Giulia in Palermo die Perückenfabrik ihres Vaters rettet. Die erfolgreiche Anwältin Sarah in Montreal schöpft mit einer Perücke neuen Lebensmut, als sie erkrankt. Ihre Geschichten, einfühlsam und packend erzählt, verweben sich zu einem beeindruckenden Gesamtbild weiblicher Stärke und Durchhaltevermögen.

MEINUNG
Die Geschichte der drei Frauen, die mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und individuellen Problemen kämpfen, hat mich von Anfang an gefesselt. Obwohl das Buch ernste Themen wie Tod, gesellschaftliche Missstände und persönliche Krisen behandelt, liest es sich eher wie leichte Ferien- oder Feierabendslektüre. Früh im Roman wurde mir die Richtung der Handlung klar, was jedoch keineswegs meinen Lesegenuss minderte. So fand ich es besonders beeindruckend, wie sich dieLebensgeschichten am Ende zu einem stimmigen Gesamtbild vereinen und damit auf die universellen Gemeinsamkeiten hinweisen, die uns trotz verschiedener Lebenssituationen und Herkunft verbinden. Die intensiven Zeilen und die klaren Worte der Autorin regen zum Nachdenken und Mitdenken an, ohne dabei zu blumig oder unnötig brutal zu werden. Das Buch ist weniger eine Suche nach Spannung oder Geheimnissen, sondern vielmehr eine Einladung zum Nachdenken und Umdenken über gesellschaftliche Zwänge und den Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung.

Insgesamt hat mir der Roman sprachlich und inhaltlich sehr gut gefallen. Der leichte Ton der Erzählung steht im Kontrast zu den schwerwiegenden Themen, was die Stärke der Frauen umso beeindruckender macht. Die zahlreichen interessanten Fakten und die Vielschichtigkeit der behandelten Themen werden mich noch lange beschäftigen. Auch das Cover des Buches hat mich angesprochen, besonders die Mischung aus Blau, Schwarz/Weiß-Kontrasten und dem edlen Gold.

Ein paar kleinere Kritikpunkte hab ich allerdings: In Bezug auf die Sprache muss ich leider anmerken, dass sie nicht immer sensibel gegenüber rassistischen oder diskriminierenden Begriffen ist. Beispielsweise wird das I-Wort verwendet - jedoch ist das Buch auch schon wieder 5 Jahre alt und der Diskurs hat sich in der Zeit weiterentwickelt. Auch die sehr offensichtliche Vorhersehbarkeit der Handlung hätte man etwas abmildern können, indem der Klappentext nicht so eindeutig wäre. Was die Sprecherinnenstimmen betrifft, so gefielen mir nicht alle gleichermaßen, jedoch sorgte die Abwechslung für eine angenehme Hörerfahrung.

"Der Zopf" von Laetitia Colombani erhält von mir eine Bewertung von vier von fünf Sternen.

Bei dem Hörbuch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung/Rezension jedoch in keiner Weise beeinflusst.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

Bible Bad Ass
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Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit ...

Bible Bad Ass: Eine feministische Abrechnung mit den biblischen Frauenfiguren

"Ich mache mir auch selbst keinen Spaß mehr. Ich bin frustriert. Der Fun fehlt, genau wie fun-damentale Menschenrechte. Seit einiger Zeit komme ich gedanklich nicht mehr raus aus einem langen und verzweigten Tunnel der Verzweiflung darüber, wie die Welt mit Menschen umgeht, wie unterschiedlich sie sie behandelt und an den Rand drängt. Frausein bedeutet für so viele Menschen einfach nicht frei zu sein. Frei von Erwartung, frei von Zuschreibung, frei von Stigma." - S.43

In "Bible Bad Ass" von Edith Löhle begibt sich die Protagonistin Klara auf eine Recherche-Reise, die ihr Weltbild und ihre Wahrnehmung von Frauen in der Bibel grundlegend verändert. Als Redakteurin eines "Frauen"magazins ist sie von der allgegenwärtigen Unterdrückung und den Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen frustriert:

"Ich Multitas-King, er Sex-ist: «Lach doch mal. Siehst viel hübscher aus, wenn du freundlich guckst. Das Leben ist viel zu schön, um so ernst zu sein.» Klack, Klack, entsichert. Ich lege den Finger auf den Abzug und entgegne: «Für dich ist die Welt viel zu schön, verrecke an deinen Privilegien.»" - S. 8

"«Du bist so alte Welt, Martin. Solange Frauen als Objekte gelten und ihre Körper als Waren gehandelt werden, solange Sex auf Macht basiert, solange das weibliche Geschlechtsorgan ein Schimpfwort ist, solange Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer, solange Frauen über Schönheit definiert werden, solange Frauen wegen ihres Geschlechts verfolgt und getötet werden, so lange sind wir alle unfrei. Und du bist sowas von Teil des Problems.»" - S.49

Doch als sie den Auftrag erhält, über eine motorradfahrende queere Pastorin zu schreiben, stößt sie auf eine WhatsApp-Gruppe namens "Bible Bad Ass", bestehend aus feministischen Ikonen biblischer Zeiten. Was zunächst wie ein skurriler Chatverlauf aussieht, entpuppt sich als eine revolutionäre Bewegung gegen die patriarchalischen Strukturen der Religion.

Edith Löhle gelingt es, in ihrem literarischen Debüt die Geschichte der biblischen Frauenfiguren mit zeitgenössischem Feminismus zu verknüpfen. "Bible Bad Ass" ist eine faszinierende Neuinterpretation biblischer Geschichten und insbesondere die Rollen der Frauen, die auf erfrischende Weise feministische Themen anspricht und zum Nachdenken anregt. Obwohl ich selbst nicht religiös bin, hat mich das Buch durch seine Auseinandersetzung mit der systematischen Unterdrückung von Frauen in der Bibelwelt gepackt. Es behandelt eine Vielzahl von feministischen Themen, darunter Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Intersektionalität und vieles mehr, was vor allem für Menschen, die sich noch nicht tiefergehend mit feministischen Themen befasst haben einen ganzheitlichen Einblick in die Komplexität feministischer Angelegenheiten bietet.

Besonders gut gelungen fand ich die Textstellen unter dem Titel "Warum bin ich so geladen?":

"Warum bin ich so geladen? Weil mein Leben lang beim Essen im Elternhaus mein Vater meine Mutter fragt, ob sie wirklich jetzt noch eine Portion essen wolle?
Warum bin ich so geladen? Ich bin 16 Jahre alt, meine erste Periode lässt noch auf sich warten. Der Frauenarzt sagt, ich werde schon noch eine richtige Frau. «Hier, die Anti-Baby-Pille, hilft auch gegen die Pickel.»
Warum bin ich so geladen? Ich bin 18 Jahre alt und bei der Berufsberatung sagen sie mir, ich solle mir überlegen, ob ich wirklich studieren will, immerhin steigen die meisten Frauen dann ja eh von der Karriereleiter, wenn sie Kinder bekommen. Da könne ich mir auch die Studiengebühren sparen.
Warum bin ich so geladen? Weil bei jeder Familienfeier gemurmelt wurde, dass mit Großtante Luise was nicht stimmt, da sie nie in Begleitung eines Mannes kam.
Warum bin ich so geladen? Weil Noah über sich selbst sagt, er renne wie ein Mädchen. Erstens: Als ob die von Natur aus dazu verdammt seien, lahm zu sein und sich diese dummen Klischees anzuhören. Zweitens: Er disst sich und die Kids.
Warum bin ich so geladen? Weil Elizabeth Magie mit 500 Dollar Entschädigung für die Ursprungsidee von Monopoly abgespeist wurde und Charles Darrow dadurch reich wurde." - S. 168, 163, 156/157, 96, 89/90, 65/66

Besonders gelungen fand ich die Einbindung von Songs bzw. Songtextzeilen, die die jeweilige Stimmung des Buch(abschnitt)s perfekt untermalen und eine zusätzliche emotionale Ebene schaffen. Die Wahl der Erzählform als Chatgruppe funktioniert hervorragend und verleiht dem Buch einen erfrischenden Stil.

Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Aspekte, die mich nicht vollständig überzeugt haben. Zum Beispiel empfand ich das Ende des Buches als zu esoterisch und hätte mir ein moderneres Finale gewünscht, das den Fokus auf konkrete Veränderungen oder nochmal mehr auf Sisterhood legt. Auch war mir das Buch an manchen Stellen etwas zu spirituell, insbesondere die Diskussionen über Energien und Chakren haben mich innerlich abschalten lassen. Darüber hinaus waren einige Passagen langatmig und hätten straffer gefasst werden können. Während Wut oft als schädlich dargestellt wurde, halte ich es angesichts der Ungerechtigkeiten in der Welt für wichtig, sie als motivierende Kraft anzuerkennen, die Veränderungen bewirken kann.

Insgesamt ist "Bible Bad Ass" ein Buch, das nicht nur feministische Themen auf unterhaltsame und inspirierende Weise behandelt, sondern auch die Geschichte einer Frau erzählt, die lernt, ihre Wut in Mitgefühl und Liebe umzuwandeln, um eine Veränderung herbeizuführen, die die Welt besser macht. Trotz kleinerer Schwächen erhält es von mir 4 von 5 Sternen für seine gelungene erfrischende Verbindung von Geschichte, Feminismus und Humor.

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung/Rezension jedoch in keiner Weise beeinflusst.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Authentisch, humorvoll, und schockierend ehrlich – Toxische Pommes deckt den hässlichen Schleier des Alltagsrassismus in Österreich auf

Ein schönes Ausländerkind
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"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." ...

"Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind. Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen." - S. 70

Toxische Pommes, alias Irina, Juristin in Wien und soziales Medienphänomen mit Hunderttausenden von Followern, legt mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vor, der nicht nur literarisch überzeugt, sondern auch gesellschaftliche Missstände schonungslos aufdeckt. Ihr einzigartiger Blickwinkel aus der "Ausländer:innen-Perspektive" in Österreich und ihr satirisches Kabarettprogramm fließen gekonnt in einen Roman ein, der mit Humor, Authentizität und kritischer Analyse besticht. Die lakonische Sprache nimmt besonders die Beziehung zwischen Vater und Tochter unter die Lupe, während Rückblenden die Familiengeschichte durch die Augen der Protagonistin enthüllen.

Das Cover ist eine Anspielung auf das Kapitel „A hyperrealistic photograph of a taxidermied baby lamb staring into the void“, das sich damit auseinandersetzt, warum die Protagonistin mit Migrationserfahrung, die es geschafft hat, einen sicheren Job als Vertragsbedienstete in einer Wiener Behörde zu bekommen und damit als „integriert“ gilt, nicht glücklich ist:
"Ich hatte es geschafft. Ich hatte alles erreicht, wofür meine Eltern und ich ein Leben lang hart gearbeitet hatten. Ich war perfekt. Ich war Vertragsbedienstete in einer angesehenen Behörde im ersten Wiener Gemeindebezirk. Und einen besseren Arbeitgeber als den österreichischen Staat konnte man sich nicht vorstellen: ein sicherer Job, auch in unsicheren Zeiten, feste Gehaltsstufen und klare Hierarchien. Ich hatte genug Geld, um mir gebrauchte Designertaschen zu kaufen und in Therapie zu gehen, wo ich jede Woche von einem anderen Problem erzählen konnte, das mich eigentlich kaum beschäftigte. Und trotz alledem fühlte ich mich innerlich tot." - S. 25

Der unaufgeregte, klare Schreibstil ermöglicht einen realitätsnahen Blick auf das Leben als Migrantin in Österreich. Die detaillierten Einblicke in bürokratische Hürden, Alltagsrassismus und den Weg zur Staatsbürgerschaft sind erschreckend authentisch und öffnen die Augen für gesellschaftliche Missstände, die mir zwar durch meinen beruflichen Background als Sozialarbeiterin mit u.a. Erfahrung in der Flüchtlingshilfe bewusst sind, über die man aber nicht oft genug reden/schreiben kann. Die Anspielungen auf (vermeintlich) kulturelle Unterschiede, gepaart mit der lakonischen Sprache der Autorin, bieten einen Einblick in die Vielschichtigkeit des Erlebens aus der Sicht der Protagonistin:
"Meine Eltern hatten also am Balkan gelernt, von einer hässlichen Fassade nicht unbedingt auf das Innere eines Hauses zu schließen. In Österreich lernten sie, das genauso wenig von einer schönen Fassade ausgehend zu tun." - S. 39

Die Einbindung von Textpassagen in B/K/S/M (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch/Montenegrinisch) vermittelt nicht nur Authentizität, sondern betont auch die Schwierigkeiten der Kommunikation - vor allem da auch sehr viele Kraftausdrücke vorkommen, die übersetzt ins Deutsche wie die übelsten Schimpfwörter daherkommen, laut Autorin in der Originalsprache aber keinesfalls so derb aufgefasst werden. Die Rückblenden in die Vergangenheit der Eltern sowie die thematisierte Balkanreise verleihen der Geschichte Tiefe und emotionale Nuancen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem, Alltagsrassismus, Prestigesprachen und Zweisprachigkeit sowie der Frage nach Heimat/Identität sind erfrischend direkt und regen zum Nachdenken an. Eine meiner liebsten Textstellen erzählt von der Unterhaltung der Mutter mit der rassistischen Lehrerin:
»Zuerst meinte sie, sie verstehe nicht, warum du dich als Ausländerkind überhaupt über einen Zweier beschwerst. Und dass Ausländer bei ihr nie Einser in Deutsch bekommen«
»Darauf habe ich ihr geantwortet, dass ich ihre Logik nicht verstehe.«
»Und was hat die Pichler darauf geantwortet?«
»Sie meinte, dass du ihr vielleicht auch einfach nicht so sympathisch bist«
»Ich habe sie daraufhin gefragt, wie sie es fände, wenn sie zu mir in die Apotheke käme und ich ihr das falsche Medikament gäbe, weil sie mir vielleicht einfach nicht so sympathisch ist.« - S. 123/124

Die humorvolle Darstellung der Absurditäten, denen sich viele Menschen, die nach Österreich migrieren/flüchten, ausgesetzt sehen, bringt eine gewisse Leichtigkeit in die ansonsten ernsten Themen. Zum Ende hin hat sich bei mir kein Glücksgefühl einstellen können, denn der Preis, den jedes einzelne Familienmitglied für die Migration nach Österreich gezahlt hat, ist hoch:

"Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich? Meinen Vater." - S. 185

Insgesamt gelingt es Toxische Pommes, mit "Ein schönes Ausländerkind" einen kraftvollen Debütroman vorzulegen, der literarischen Anspruch mit gesellschaftlicher Kritik verbindet. Eine Pflichtlektüre für alle, die einen authentischen Einblick in die Herausforderungen, denen Menschen mit Migrationserfahrung in Österreich begegnen, gewinnen wollen. Ich vergebe vier von 5 Sternen.

"Ein schonungsloser Blick auf Alltagsrassismus in Österreich: 'Ein schönes Ausländerkind' hinterfragt Identität und Heimat."

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Rezension.

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Veröffentlicht am 17.03.2024

Geburtshilfe neu denken: Ein Aufruf zur Menschlichkeit

Ich, Hebamme, Mittäterin
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"Die Gesichter der Gewalt sind Gesichter, die wir womöglich alle kennen, die einem vielleicht täglich begegnen. Ich war eins dieser Gesichter. Ich habe zugesehen, wie Frauen Gewalt angetan wurde, und habe ...

"Die Gesichter der Gewalt sind Gesichter, die wir womöglich alle kennen, die einem vielleicht täglich begegnen. Ich war eins dieser Gesichter. Ich habe zugesehen, wie Frauen Gewalt angetan wurde, und habe nichts unternommen. Ich war eine Mittäterin." (S. 35)

"Die Geburt eines Menschen ist ein Wunder, und solch ein Wunder will beschützt werden, damit unsere Kinder sicher und liebevoll geboren werden können." (S. 11)

Mit "Ich, Hebamme, Mittäterin: Mein Einsatz gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine sichere Geburtshilfe" gibt Eva Placzek einen intimen Einblick in die Herausforderungen und Missstände der Geburtshilfe. Als langjährige Hebamme und ehemalige Vize-Miss Germany ist sie eine mutige Stimme für Veränderung in einem System, das oft von Gewalt und Übergriffen geprägt ist.

Zum Inhalt: Eva Placzeks Buch ist ein schonungsloses Plädoyer für Menschlichkeit und Würde im Kreißsaal. Mit zahlreichen Beispielen und persönlichen Erfahrungen deckt sie die vielfältigen Probleme in der Geburtshilfe auf und ruft dazu auf, dringend notwendige Veränderungen herbeizuführen. Von unzureichender Vorsorge bis hin zu traumatischen Geburtserlebnissen durch körperliche und psychische Misshandlungen - Placzek scheut sich nicht, die brisanten Themen anzusprechen.

MEINUNG

Dieses Buch hat mich emotional berührt, und zwar im negativen Sinn. Als jemand, der bisher wenig über die Geburtshilfe wusste, war ich schockiert über die erschreckenden Zustände, die Eva Placzek aufdeckt und die KEINE SELTENHEIT darstellen. Im Gegenteil: Laut einer Studie der psychologischen Hochschule Berlin ist rund jede zweite Frau während der Geburt von (verbaler, psychischer und/oder physischer) Gewalt betroffen. Das wären in Zahlen ausgedrückt 369.410 Frauen, die das 2022 in Deutschland betroffen hat (S. 15 und 57).

Eindrücklich sind die vielen Beispiele, die mich sehr betroffen gemacht haben. Die Autorin scheut sich nicht, die vielfältigen Probleme in der Geburtshilfe schonungslos anzusprechen, angefangen von unzureichender Vorsorge bis hin zu traumatischen Geburtserlebnissen durch körperliche und psychische Misshandlungen im Kreißsaal. Bemerkenswert ist und Respekt habe ich vor der Offenheit und Ehrlichkeit der Autorin, die ihre eigene Mittäter:innenschaft in einem unmenschlichen System anerkennt, aber ebenso durch ihren mutigen Einsatz für eine menschlichere Geburtshilfe eintritt:

"Die Wahl zu haben, wie man seine persönliche Zukunft gestaltet, ist keine Selbstverständlichkeit. Stark motiviert und voller Tatendrang bin ich dann in die Ausbildung zur Hebamme gestartet und schon in den ersten Tagen begegnete mir ein Satz, welcher mich lange verfolgt hat: >>In dieser Ausbildung werden Sie gebrochen werden.<<<" (S. 18)

"In welchem verdrehten Universum eines menschlichen Wesens gibt es einen rechtsfreien Ort, an dem Frauen und ihren Kindern alles angetan werden darf, solange man es irgendwie als Notfall Maßnahmen deklarieren kann?" (S. 54/55)

Ein weiterer positiver Aspekt ist der feministische Blickwinkel, den Placzek einnimmt, und ihre Thematisierung von frauenspezifischen Belangen wie Menstruation, Schönheitsidealen und Geschlechterrollen. Auch die Einbeziehung rechtlicher Fragen und Vergleiche der Geburtshilfe in der DACH-Region tragen zur Vielschichtigkeit des Buches bei und bieten auch für Leser:innen aus der Schweiz und Österreich (mich) einen großen Mehrwert.

Der FAQ Teil am Ende des Buches fand ich super, da er recht kurze Antworten auf drängende Fragen wie bspw. diese hier liefert: Ist es normal, dass mein Gynäkologe mich in jeder Schwangerenvorsorge vaginal untersucht? Ist es normal, dass bei jeder ärztlichen Vorsorgeuntersuchung ein Ultraschall gemacht wird? Ist es normal, dass freiberufliche Hebammen nur die Möglichkeit einer Hausgeburt anbieten? Ist es normal, dass ich ungefragt Medikamente verabreicht bekomme? Ist es normal, dass ich während der Geburt auf dem Rücken liegen muss?

Beim Lesen musste ich auch sehr oft an die Zustände in meiner Berufsgruppe, den sozialen Berufen, denken. Ich bin Sozialarbeiterin, und die Diskussion rund um Berufsethik wird auch bei uns rege geführt. Erst dieses Jahr haben wir (in Österreich) ENDLICH einen Berufsschutz erhalten, sodass Sozialarbeiter:in/Sozialpädagog:in geschützte Bezeichnungen sind. Ganz spannend war für mich daher auch die Passage zum Thema "Wir mussten früher in unserer Ausbildung leiden. Jetzt kriegen die Neuen das alles genauso ab". Diese findet sich nämlich bspw. auch in Migrations- und Fluchtdiskursen wieder. Ein Phänomen, das sich mir nicht erschließt. Wenn man selbst schon gelitten hat, warum sollen es andere, die in derselben Situation landen, denn genauso schlecht haben?

Mein Kapitel zum Thema Sicherheit und sichere Geburt musste ich an die Berichte zu Gaza und der Ukraine denken und unter welchen Umständen Frauen dort aktuell gebären müssen :(

Toll beschrieben ist auch wie der Kapitalismus auch vor der Geburt keinen Halt macht und Krankenhäuser Profit daraus schlagen, indem sie möglichst viele Geburten durchführen, bei denen möglichst viele Interventionen vorgenommen werden. Dann klingeln die Krankenhauskasse:

"Wir müssen aufhören zu versuchen, mit unseren gesunden Frauen Geld zu machen. So grausam es auch klingen-mag, bringen Interventionen wie Einleitungen, PDAs, CTGs, Schmerzmittel, Ultraschalluntersuchungen und, und, und mehr Geld. Mit einer gesunden Frau und einer natürlichen, selbstbestimmten Geburt, die gerne auch mal zwanzig Stunden dauert, ohne jegliches Eingreifen, verdient eine Klinik kein Geld." (S. 68)

Auch das Bildungssystem und Social Media bekommen zurecht ihr Fett weg:

"Unser Schulsystem hat so viele positive Aspekte, für die wir dankbar sein sollten, aber wie in jedem System gibt es auch hier Lücken, und meine größte Sorge gilt der Lehre über das Leben an sich. Auch wenn das poetisch klingt, meine ich damit tat- sächlich sehr grundlegende Dinge wie das Wissen über den eigenen Körper, unsere Grundrechte, den Umgang mit Social Media, finanzielle Bildung und die Grundlagen der Sexualkunde sowie der Geburt eines Menschen. In den meisten Fällen wird besprochen, wie ein Kind entsteht, also der Befruchtungsprozess, der natürlich auch wichtig ist. Die großen Themen jedoch, mit denen wir alle täglich konfrontiert werden durch Film, Fernsehen und die sozialen Medien, werden nicht besprochen. Und damit meine ich vor allem, wie eine Geburt abläuft, und zwar die realistische, aufrechte und bewegende Variante, nicht die gespielte, unmenschliche, wie ein Marienkäfer auf dem Rücken liegende Variante." (S. 86/87)

Nun zu den Kritikpunkten: Ich hätte mir viel mehr Zahlen, Daten und Fakten gewünscht, um die dargestellten Probleme besser zu verstehen und zu untermauern. Es mag jedoch an fehlenden Daten liegen, dass wenig darauf Bezug genommen wurde. Der Schreibstil ist leicht verständlich, aber manchmal etwas dramatisch und repetitiv. Die Autorin verwendet häufig die Phrase "Wir müssen,..." und betont damit die Dringlichkeit des Problems, was mir manchmal zu pathetisch erschien. Warum das letzte Kapitel Bonuskapitel heißt, erschließt sich mir auch nicht. Gibt es das Buch denn auch ohne Bonuskapitel zu kaufen? Das Gendern ist ihr leider nicht durchgehend gelungen, es ist u.a. SEHR oft vom Arzt die Rede. Aber man erkennt, dass sich die Autorin darum bemüht hat. Mich hat auch gestört, dass teilweise auf die im Verhältnis zu anderen Ländern sogenannte fortschrittliche "westliche Kultur" Bezug genommen wurde, ohne dabei zu erwähnen, dass durch genau diese unsere westliche Kultur jahrelang Menschen aus anderen Kulturen unterworfen wurden und der Westen im Gegenteil zu heute früher oft sehr viel konservativer und frauenverachtender eingestellt war als die Kulturen, die sie dann gezwungen haben sich anzupassen. Und jetzt wird genau ihnen vorgeworfen, nicht liberal zu sein.

Gestört hat mich auch der Teil zum Thema "positiver Schwangerschaftstest" auf Seite 15. Nicht jede Frau freut sich darüber... für manche ist das auch aus xy Gründen ein (negativer) Schock und nicht jede Frau will auch Mutter sein.

FAZIT

Trotz der genannten Kritikpunkte ist "Ich, Hebamme, Mittäterin" ein wichtiges Buch, das dringend benötigte Aufmerksamkeit auf die Missstände in der Geburtshilfe lenkt. Von mir gibt es 4 von 5 Sternen!

Bei dem Buch handelt es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat meine Meinung dazu allerdings nicht beeinflusst.

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Veröffentlicht am 17.03.2024

Antikes Drama in Prosaform trifft auf Feminismus des 21. Jahrhunderts: Ein wahrer Lesegenuss!

Zuleika
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Wer ist sie? Bin ich die echte nubische Prinzessin von Mama Africa? Hab ich den Nil im Blut in diesem materfutuo Großstadtdschungel namens Londinium? Fühl ich mich mangelhaft, nur weil ich dunkel bin? ...

Wer ist sie? Bin ich die echte nubische Prinzessin von Mama Africa? Hab ich den Nil im Blut in diesem materfutuo Großstadtdschungel namens Londinium? Fühl ich mich mangelhaft, nur weil ich dunkel bin? Oder bin ich doch die hippe Chica und lebe im Schoß des Luxus? Bin ich Sklavin oder Sklavenhalterin? Bin ich Londinia oder Nubierin? Sind meine Kinder mal Römer oder Nubinetten? Was waren meine Eltern, Vasallen, Pharaonen? Und ist das alles nicht eigentlich scheißegal? - Zuleikas Gedicht "Identitätskrise" (S. 173)
In "Zuleika" entführt uns Bernardine Evaristo in das pulsierende London des Römischen Reichs, wo die junge und ungestüme Zuleika gegen die Zwänge einer patriarchalen Gesellschaft ankämpft. Die Autorin, bekannt für ihre tiefe Auseinandersetzung mit Identität, Feminismus und Rassismus, webt in diesem Roman gekonnt historische Fakten mit fesselnder Fiktion. Für mich war es das zweite Buch von ihr, nachdem mich "Mädchen, Frau etc." schon schwer begeistert hat. Und auch dieses mal wurde ich nicht enttäuscht.

Das Buch erzählt die Geschichte der widerspenstigen Zuleika, die mit nur elf Jahren an einen reichen Patrizier verheiratet wird. Doch Zuleika, mit nubischen Wurzeln, lässt sich nicht so leicht in ihr Schicksal fügen. Sie kämpft für Freiheit und Leidenschaft in einer Stadt, in der Geld, Sex und Macht regieren. Als sie eine leidenschaftliche Affäre mit dem Kaiser Septimius Severus beginnt, gerät ihr Leben endgültig aus den Fugen.

Die Mischung aus historischem Stoff und moderner Stimme macht "Zuleika" zu einem spannenden und außergewöhnlichen Leseerlebnis. Evaristo gelingt es, eine starke und lebendige Hauptfigur zu schaffen, die mich mit ihrer unkonventionellen Art sofort für sich eingenommen hat. Die Sprache, obwohl in Versform gehalten, ist überraschend leicht zugänglich und verleiht der Geschichte eine ganz eigene Dynamik:

mein Schicksal schon besiegelt
durch einen Mann, dreimal so alt und breit wie ich,
und ich erst zarte elf – schon da fand Dad,
ich würde langsam ranzig.
Ich kam dann zu Clarissa, einer arroganten
Römer-Bitch, die mir Benimmstunden erteilte,
ich lernte reden, essen, furzen,
mein amo amas amat runterbeten und mein
Plebejer-Kreolisch in die Tonne treten.
Zuleika accepta est.
Zuleika delicata est.
Zuleika Scheiß-Musterkind vom Dienst est.
(S. 14/15)
Der Roman besticht nicht nur durch seine packende Handlung, sondern auch durch seine tiefgreifenden Themen, darunter Armut, Gewalt, Patriarchat, Rassismus und Queerness. Evaristo schafft es, diese komplexen Aspekte auf eine unterhaltsame und zugleich nachdenklich stimmende Weise zu behandeln:

Schon vor scheißvielen tausend Jahren glaubten
die alten Ägypter an solche Sparringspartner,
an die Mr.-und-Mrs.-Happy-Nummer, ich bin
für dich da, amore, wenn du für mich da bist.
(S. 45)
"Zuleika" ist ein Buch voller Leidenschaft, Witz aber auch Tiefe und Tragik, das die Leser:innenschaft in die faszinierende Welt des antiken Londons entführt und einmal mehr aufzeigt, wie Frauen viele Jahrhunderte lang unterdrückt wurden und immer noch werden. Trotz einiger sprachlicher Herausforderungen am Anfang konnte mich die Geschichte von Zuleika von Anfang bis Ende fesseln. Daher vergebe ich volle 5 Sterne und empfehle dieses Buch allen, die auf der Suche nach einem fesselnden und außergewöhnlichen historischen Roman mit einer starken weiblichen Hauptfigur sind.

Bei dem Buch handelte es sich um ein Rezensionsexemplar. Dies hat meine Meinung jedoch nicht beeinflusst.

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