Der Folgeband zu "Ein Winter in Wien" von Petra Hartlieb schließt nahtlos an den ersten Band an. Marie, das Kindermädchen im Hause Arthur Schnitzlers, fühlt sich bei ihrem Arbeitgeber wohl und arbeitet gerne als Kindermädchen für den berühmten Schriftsteller. Auch mit Oskar, dem Buchhändler ihres Herzens, verbindet sie noch immer eine tiefe Freundschaft und unschuldige Liebe. Als ihr Arbeitgeber Marie zwei Karten für das k.u.k. Hoftheater schenkt, erlebt sie einen unvergesslichen Abend und erfüllt gleichzeitig den Wunsch ihrer Großmutter....ein Wiener Theaterbesuch......
Petra Hartlieb hat die Atmosphäre der Kaiserzeit in Wien wieder wunderbar eingefangen. Man erlebt mit den Dienstboten der Schnitzlers das "normale" Leben, das sich nicht immer einfach gestaltet. Gemeinsam begleiten wir Marie durch ihren Alltag als Kindermädchen bei den Schnitzlers. Es gibt Eifersüchteleien, die eine oder andere Tragödie und nebenbei erfährt man etwas mehr über das Buchhändlerleben am Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts. Noch spürt man in der Geschichte nichts vom politischen Wandel....
Marie ist ein sehr einfaches, aber wissbegieriges Mädchen. Ihr Erstaunen und die Freude über Kleingkeiten machen sie einfach liebenswert. Sie kümmert sich liebevoll um die Kinder der Schnitzlers, Heinrich und die kleine Lilli. Der Standesunterschied zwischen Oskar und ihr verunsichert sie etwas, besonders als dieser die Aussicht hat, später den Buchladen seines Chefs zu übernehmen.
Oskar macht sich ebenfalls Gedanken über seine Zukunft. Als Vollwaise und mittellos, erscheint ihm dieses Angebot zu "groß". Doch auch ein anderer Buchhändler hat Pläne mit ihm....
Die Autorin beleuchtet die gesellschaftlichen Unterschiede der damaligen Zeit sehr gut. Mit Maries Familie, die in Oberösterreich einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet und von der Hand in den Mund lebt, bis zu den Dienstboten in Wien, einer, für die damalige Zeit aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallenden Buchhändlerstochter und der High Society von Wien liegen Welten.
Einige Leser bemängelten in ihren Rezensionen, dass der politische Wandel dieser Zeit kaum eine Rolle spielt. Ich finde jedoch, dass man in diesem Roman ein Kindermädchen begleitet, das nur einmal im Monat einen Tag frei hat und aus dem Haus kommt. Maries ganzes Leben spielt sich in den vier Wänden der Schnitzlervilla ab und ihre wenige Freizeit möchte sie mit Oskar verbringen. Weltpolitische oder gesellschaftliche Ereignisse erfährt man am ehesten aus der Zeitung und auch diese ist den Herrschaften des Hauses vorbehalten. Die negativen Besprechungen kann ich deswegen nicht ganz verstehen.
Auch wer hier von einer kitschigen Liebesgeschichte spricht, scheint einen anderen Roman gelesen zu haben. Im ersten Band haben sich Marie und Oskar nicht einmal geküsst und auch in diesemn Folgeband passiert liebestechnisch zwischen den Beiden fast gar nichts. Was hier kitschig sein soll, verstehe ich nicht!
Das Buchhändlerleben kommt ebenfalls nicht zu kurz. Amüsant fand ich, dass sich diese bereits vor hundert Jahren genauso um sinkende Leserzahlen sorgten. Ebenso wird die geschichtsträchtige Buchhandlung der Autorin im Roman miteinbezogen.
Besonders hervorheben möchte ich auch wieder das wunderschön gestaltete Cover mit Jugendstilelementen.
Schreibstil:
Die wunderbare Atmosphäre von Wien um 1912, der Belle Epoque, hat Petra Hartlieb großartig eingefangen. Die Sprache und die Umgangsform ist der Zeit angepasst, jedoch hatte ich das Gefühl, dass der Altwiener Sprachgebrauch diesmal mehr in den Hintergrund rückt. Neben der bildhaften Beschreibung von Wien, haben die Charaktere diesmal mehr Tiefe und sind sehr authentisch dargestellt.
Fazit:
Die 176 Seiten lassen keine ausufernde Handlung zu, jedoch lebt dieser eher ruhige Roman von der wunderbaren Atmosphäre und seinem (Wiener) Charme. Die liebevoll erzählte Geschichte vom Kindermädchen Marie hat mich für kurze Zeit in die Wiener Kaiserzeit zurückversetzt. Mir hat "Wenn es Frühling wird in Wien" noch einen Ticken besser gefallen, als "Winter in Wien" und ich empfehle es sehr gerne weiter.