Geschichten sind Geschenke - diese sind vom "Meister der Erzähler"!
Vorneweg muss ich sagen, dass Rafik Schami seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten zu meinen Lieblingsautoren gehört: Seit dem Lesen von "Erzähler der Nacht" durfte ich so manches Werk von ihm kennen- und ...
Vorneweg muss ich sagen, dass Rafik Schami seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten zu meinen Lieblingsautoren gehört: Seit dem Lesen von "Erzähler der Nacht" durfte ich so manches Werk von ihm kennen- und schätzenlernen. Nicht anders erging es mir auch mit "Mein Sternzeichen ist der Regenbogen", dem neuen Roman des Autors. In dieser Anthologie versammeln sich viele Geschichten und Texte, die den Leser bewegen, zum Nachdenken anregen, betroffen machen - und ihn zum Schmunzeln bringen: Bei allem Ernst verlässt Rafik Schami nicht sein Humor, denn "das Lachen ist der beste Schmuggler für Gedanken".
Die Themen sind sehr vielfältig wie das Leben selbst; doch viele Geschichten handeln von Träumen, von Trennung und Tod, natürlich auch von der Liebe, von Flüchtlingen und Exil, vom Reisen, vom Lachen, von Geheimnissen und von der Sehnsucht, die der syrische Autor nach 50 Jahren Exil selbst gut kennt und immer wieder Geschichten über sie hört:
Schami beschreibt den komplexen Kern der menschlichen Sehnsucht, die sich auf eine Person, eine Landschaft, eine Zeit (die Zeit der Kindheit z.B.) beziehen kann. Bis heute gibt es keine eindeutige Definition und dieses Gefühl ist oftmals mit Leid und Schmerz verbunden.
In der Geschichte des "syrischen Klassentreffens" fragte ich mich wieder einmal, wie ein Mensch es aushält, seiner Heimat, seinem geliebten Geburtsort fernbleiben zu müssen, da er Gefahr läuft, bereits am Flughafen verhaftet zu werden; ich stelle mir dies sehr schwer vor.
Doch ich bin auch sehr froh darüber, dass der junge Rafik Schami den Rat eines Freundes ernst genommen hat, der ihm zur Ausreise riet und ihm klar machte, dass er der geborene Geschichtenerzähler sei!
"Meine" Lieblingsgeschichten sind "Geburtstag mit Nebenwirkungen", in dem man mit einem Verleger, Herrn Sander, dessen 60. Geburtstag feiert. Er sitzt über einer Grabrede für einen Freund nachsinnend bei seinem Lieblingsitaliener (alleine) und dieser Geburtstag verläuft vollkommen anders, als Herr Sander sich das wohl gewünscht hätte. Er muss sich dieses Mal seiner Vergangenheit (und sechs Frauen) stellen, es gibt dieses Mal kein Entkommen.
"Wie Herr Moritz die Welt bereiste" gehört ebenfalls zu meinen Lieblingsgeschichten und der Autor gibt uns in seiner unnachahmlichen Erzählkunst so manche Lebensweisheit mit auf den Weg. Hier geht es um Dialekte, um Nationalismus, um das Aufbrechen in ein neues Leben nach dem plötzlichen Tod des Lebenspartners, ums "Dazugehören" und um das "sich Aufmachen", das Herr Moritz auf eine Bank führt, auf der er nicht alleine bleibt. Eine Freundschaft schließt und Reisen unternimmt. Humorvoll weist der Autor darauf hin, dass das uralte Kulturvolk Iran "sein Lachen sehr geübt auf alle 52 Wochen verteilt, während das Lachen in der Pfalz (wo der Autor selbst wohnt) in nur 2 Wochen aufgebraucht wird" (auf der Kirchweih, Kerwe, Fastnacht). Und "dass die Iraner leichter lachen als wir, obwohl sie es schwerer haben" (S. 132) Diese Geschichte fand ich wunderschön, menschlich und sehr zu Herzen gehend.
Eine betroffen machende Geschichte ist "Zwei Reisen", in der so viel Wahrheit steckt und die auch zum Nachdenken anregt: Hier begleiten wir Frank Thalheimer, einem Professor für Geschichte aus München nach Udine. Dort will Thalheimer in einer Auszeit über sich und sein Leben nachdenken (und besonders darüber, weshalb ihn alle Frauen, die er je liebte, verlassen haben).
Auch Nadine, die Berichte aus fernen Ländern an Rafik Schami schreibt und auf die ihr eigene Weise die Welt bereist, fand ich sehr berührend.
In "Die alte Frau und der eigenwillige Geist" (die mich stark an eines meiner Lieblingsmärchen erinnerte, nämlich "Aladin und die Wunderlampe"), lernen wir Amar kennen. Diese verlor bereits in jungen Jahren ihren Ehemann und blieb allein, sich um ihren Garten und ihre Rosen kümmernd. Wir erfahren, dass "die Neugier die Geburtshelferin der Klugheit" ist und fragen uns mit dem Geist: "Was ist der Mensch?"
In vielen Geschichten, teils in Deutschland, aber auch in Damaskus und Syrien verortet, spielt der Tod oder eine Trennung eine wichtige Rolle, der das Leben der Hinterbliebenen nachhaltig verändert. Missgunst, so Schami, entsteht oft aus Langeweile und Einsamkeit: Mit scharfem Blick, aber auch viel Humor schreibt er über Geheimnisse, Geheimsprachen, auch über das Verhalten und die Einstellung der Menschen zu den Mitgeschöpfen, dem Tier: Einerseits wird es (Haustiere) verhätschelt, andererseits gequält (Nutztiere, Massentierhaltung). Hier geht es um die Lebensgier des Menschen, der sich über seine Mitgeschöpfe stellt (und hierzu kein Recht besitzt).
Rafik Schami liebt es, nach einer Lesung mit Freunden zusammenzusitzen. Hier bekommt er oft "Geschichten als Geschenke" wie z.B. "Das Protokoll" von dem 70jährigen Syrer Elias, die ebenfalls in den Roman eingeflossen ist und niemanden ob ihrer Aktualität kalt lassen kann. Auch gibt er einiges "Persönliches" preis: So wissen wir nun, dass er ein leidenschaftlicher Koch ist; Erich Kästner mag, Angst vor Hunden hat und eine unersättliche "Gier nach Geschichten".
Die Kunst des Erzählens beherrscht Rafik Schami par excellence, ich hatte vor Jahren die Freude, ihn bei einer "Lesung" in Darmstadt live zu erleben: Er transportiert viele Inhalte in seinen Geschichten, die auch im Sinne eines Lernens oder Verbessern interkultureller Fähigkeiten zu verstehen sind: Ich denke, dass dies das Ansinnen des Autors ist, ob in Kinder- und Jugendbüchern, Märchen oder seinen Romanen: Das Eintauchen (und verstehen lernen) in seine Geschichten empfinde ich stets als eine Bereicherung der literarischen und kulturellen Vielfalt. Für das Jahreshighlight und seine Erzählkunst danke ich Rafik Schami und vergebe demzufolge 5* prachtvolle Sterne!