Eine Glashütte und zwei sehr unterschiedliche Frauenleben
Dorothee Krings siedelt ihren Debütroman in Gerresheim im Jahr 1901 an, dort steht die Glashütte, in der Flaschen hergestellt werden. Die junge Bille, deren Vater Glasbläser ist und die in der Siedlung ...
Dorothee Krings siedelt ihren Debütroman in Gerresheim im Jahr 1901 an, dort steht die Glashütte, in der Flaschen hergestellt werden. Die junge Bille, deren Vater Glasbläser ist und die in der Siedlung der Arbeiter mit ihren Eltern und Geschwistern lebt, arbeitet in der Weberei, wie für die Töchter und Frauen der Glasbläser üblich. Hier begegnet sie auch dem jungen Püster Adam, in den sie sich verliebt und beide träumen den Traum des Auswanderns. Nach Amerika soll es gehen, Adam ist fest entschlossen, sein Bruder lebt bereits dort. Hierzu spart er auch seinen Lohn, um beiden die Überfahrt zu ermöglichen. Das wird allerdings durch einen überregionalen Streik der Arbeiter fast zunichte gemacht. Adam wird deshalb zum Streikbrecher. Bille, deren Vater sich an dem Streik beteiligt, ist hin und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Adam und ihren Pflichten als Tochter und der Fürsorge für die Familie. Denn ihr ist bewusst, was von ihr als Tochter und Mitglied der Glasbläserfamilien erwartet wird. Schließlich ist ihre Familie jetzt auch auf ihr Einkommen aus der Weberei angewiesen und ein Streikbrecher kommt als Ehemann ohnehin nicht in Betracht.
Leonie, die Tochter des Glashüttenarztes, hat zwar keinerlei finanzielle Sorgen, aber auch sie ist gefangen in den familiären und gesellschaftlichen Zwängen. Sie soll standesgemäß heiraten, hat aber hierfür keinen Sinn, sondern sehnt sich nach Reisen, Unternehmungen und einer geistigen Betätigung und einem Austausch, der von Frauen weder erwartet, noch als gesellschaftlich angemessen erachtet wird. Zum einen bewegt sie sich fast heimlich in künstlerischen Kreisen, in denen sie Malern begegnet, die sie über ihre vorbestimmte Rolle als Ehefrau nachdenken lassen, zum anderen wird sie zu Gesellschaften des Glashütteneigentümers Stolley von ihrem Vater mitgenommen, um dort möglichen Heiratskandidaten vorgestellt zu werden.
Bille und Leonie werden in zwei getrennten Handlungssträngen vorgestellt. Zunächst fand ich diese Abschnitte ein wenig lang, wobei Leonie‘s Geschichte für mich interessanter war. Dieses änderte sich, als kürzere Abschnitte für jede Protagonistin folgten, hier nahm die Geschichte auch spürbar an Fahrt auf. Ab diesem Zeitpunkt hat mich auch Bille’s Geschichte sehr gefesselt. Die Autorin hat dann auch sehr geschickt nach und nach diese beiden Handlungsstränge verwoben. Mir hat auch gefallen, dass man den inneren Konflikt der beiden Frauen geradezu spürt; wie sie, jede auf ihre Weise, ihre Rolle als Frau in ihrem Umfeld hinterfragen und ihre Träume umsetzen wollen.
Sehr authentisch sind auch die Beschreibungen der Glashütte, der körperlich sehr schweren Arbeit der Männer an den Öfen. Dieses gilt auch für das Leben in der Siedlung und für die Entwicklung des Streiks und seine Auswirkungen auf die Arbeiter und deren Familien. Spannend fand ich auch von der Herstellung der Flaschen bis hin zu den ersten Flaschenautomaten zu lesen. Vieles habe ich zuvor noch nicht gewusst. Hier merkt man, dass die Autorin sehr intensiv recherchiert und sich mit dem Thema auseinander gesetzt hat. Gerne hätte ich Näheres zu den Recherchen in einem Nachwort erfahren.
Einige Enden sind für mich noch nicht zusammengeführt, auch gibt es Andeutungen in die Zukunft, so dass es möglich erscheint, dass die Autorin eine Fortsetzung plant. Ich würde gerne mehr von Bille und Leonie lesen. Liebe Dorothee, bitte erzähl die Geschichte weiter! Eine klare Leseempfehlung von mir.