Aufwühlend, emotional & erschreckend realitätsnah
Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen ...
Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen Lebenssituationen, aber eines haben beide gemeinsam: Sie sind in einem Leben gefangen, das sie nicht führen wollen. Jess fühlt sich zu Hause gar nicht wohl und es gibt ein großes Problem, das ich aber nicht nennen möchte um nicht zu spoilern. Ihren Stiefvater kann sie nicht leiden und ihre Mutter nimmt alles hin und steht nie für etwas ein. Jess zieht sich von ihren falschen Freundinnen zurück und kapselt sich auch bei der Tätigkeit im Park ab. Nicus Eltern möchten bald wieder zurück nach Rumänien, wenn sie genug Geld verdient haben. Doch der Jugendliche erkennt seine Chance, die er hier in England hat, obwohl er wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse oft ausgegrenzt wird, statt unterstützt, was mich besonders bei der Lehrerin in der Schule schockiert hat. Schnell fällt Jess Nicu auf, er sucht ihre Nähe und die beiden finden in der jeweilig anderen Person eine Vertraute bzw. einen Vertrauten.
Wie bereits in „Eins“ von Sarah Crossan erwartet den Leser hier ein ganz besonderer Schreibstil. Kurze Sätze und vor allem viele Absätze machen das Lesen somit außergewöhnlich. Obwohl ich überhaupt kein Fan von Kurzgeschichten oder wenigen Beschreibungen bin, finde ich den Stil sehr angenehm. Mir gefällt es, dass Sarah Crossan und Brian Conaghan mit wenigen Wörtern so viel Gefühl vermitteln können. Ich war durchweg sehr betroffen, traurig, erschüttert und erschrocken.
Das Geschehen wird aus Sicht der beiden Protagonisten beschrieben. Bei Nicus Kapiteln kommt noch eine Besonderheit dazu: Da er noch nicht lange mit der englischen (bzw. durch die Übersetzung deutschen) Sprache vertraut ist, schildert er seine Gefühle in einem sehr gebrochenen Deutsch. Hier habe ich etwas gebraucht, um mich an den Satzbau zu gewöhnen und einige Dinge habe ich trotz mehrmaligem Lesen nicht genau verstanden. Nicu nutzt viele Vergleiche und schafft somit oft eine intensivere Bedeutung, als das eigentliche Wort selbst es vermitteln kann.
"Seine Stimme tanzt
mit Worten, die zwar durcheinander sind,
aber wirklich was bedeuten."
Jess, S. 122
Die Geschichte ist sehr realitätsnah und beinhaltet einige Dinge, die sehr erschütternd und tiefgründig sind. Wir erhalten einen guten Einblick in Randgruppen unserer Gesellschaft, die mit Situationen umgehen müssen, die alles andere als leicht sind. Das Schicksal von Nicu und Jess wurde durch den Schreibstil intensiv vermittelt und hat mich sehr berührt.
Das Ende hat mich etwas enttäuscht. Ich konnte nicht genau nachvollziehen, was in Nicu vorging und das Geschehen war relativ offen. Da die Geschichte aber so realitätsnah ist, kann ich mich damit anfreunden.
Fazit:
„Nicu & Jess“ erzählt deren schwierige Lebenssituationen und ist sehr gesellschaftskritisch. Nicht nur durch die Erzählperspektive ist dieses Buch außergewöhnlich. Trotz weniger Worte ist die Geschichte sehr intensiv zu lesen, aufwühlend und realitätsnah.