Gegen das Vergessen
Mitten im Zweiten Weltkrieg wird in Moskau Pjotr Nesterenko, der Direktor des Moskauer Krematoriums verhaftet. Nun steht ihm bevor, was ihn auf der Arbeit schon ständig begleitet. Denn er war dafür zuständig, ...
Mitten im Zweiten Weltkrieg wird in Moskau Pjotr Nesterenko, der Direktor des Moskauer Krematoriums verhaftet. Nun steht ihm bevor, was ihn auf der Arbeit schon ständig begleitet. Denn er war dafür zuständig, dass all diejenigen Menschen, die der Sowjetregiering unangenehm wurden, nach deren Exekution spurlos in Rauch und Asche verschwinden. Doch Nesterenko hält sich für unsterblich. Denn es gab in seinem Leben bereits zu viele Situationen, in denen er eigentlich hätte sterben müssen und so scheint für ihn der Tod eine Frage der Einstellung zu sein.
Wie immer bei Filipenko dreht sich die Geschichte um ein bewegendes Einzelschicksal aus der Zeit der Sowjetunion, dass sich mit der Gegenwart Russlands bzw. eines seiner Nachfolgestaaten verknüpfen lässt. Und so ist in diesem Werk der Tonus eindeutig die Kreierung falscher Beweise bzw. Anschuldigungen, um sich Gegnern des regierenden Regimes entledigen zu können. der Hauptbestandteil des Buches besteht in diesem Fall aus dem Verhör Nesterenkos, dass von einem jungen und übereifrigen Kommisar des Geheimdienstes durchgeführt wird. Dabei wird in dessen Lebensgeschichte gestöbert, welche Verbrechen gegen den russischen Arbeiter- und Bauernstaat dabei von Nesterenko verübt wurden. Recht schnell merkt die Leserschaft dabei, dass der Verhören sich erst noch zusammenbasteln muss, woraus man dem armen Nesterenko nun letztendlich den Strick drehen kann. So heißt es immer wieder, dass der Verhaftete bitte selbst erzählen solle, warum er nun hier im Verhör sitze. Und hier findet sich auch eindeutig eine Verbindung zur heutigen politischen Situation in Russland, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass das Original des Buches im Jahr 2022 erschienen ist.
Pjotr Nesterenko ist dabei für mich kein typischer Sympathie-Charakter. Von seinem Verhalten her und dem, was man aus seiner vergangenheit erfährt wirkt er insgesamt recht überheblich und manipulativ. Dennoch wird anhand dessen, wie er behandelt wird aufgezeigt, wie problematisch der Umgang autoritärer Systeme mit dessen Bürger:innen ist. So stellt sich auch im Buch die Frage, ob das auf Dauer so weiter gehen kann, dass beständig Leute ermordet werden, unter fadenscheinigen Begründungen wie Verrat oder Spionage für den Feind. Gleichzeitig wird angeprangert, wie es dazu kommen kann, dass es im Jahr 2022 noch immer zu ähnlichen Zuständen kommen kann, obwohl die Gesellschaft versuch hat, die vor über 60 Jahren Geschehnisse zu revidieren und ein kollektives Bewusstsein für die menschlichen Schäden, die durch radikale Ignoranz entstanden sind, zu schaffen. Eine Frage, ob nicht mehr getan werden hätte sollen, einerseits um diese fadenscheinigen Prozesse aufzuarbeiten, und andererseits zur Schaffung von Präventivmaßnahmen.
Ein Buch, dass besonders nachhallt und einen heutige und gestrige Gesellschaften reflektieren lässt. Uneingeschränkte Leseempfehlung und meiner Meinung nach auch besser, als Rote Kreuze und Der ehemalige Sohn.