Auf Spurensuche
Scheidungen sind kein gesellschaftliches Tabu mehr, sondern gehören zu unserem täglichen Leben. Leidtragende sind nicht nur Mutter und Vater, die sich nach einer bitteren Trennung neu aufstellen müssen, ...
Scheidungen sind kein gesellschaftliches Tabu mehr, sondern gehören zu unserem täglichen Leben. Leidtragende sind nicht nur Mutter und Vater, die sich nach einer bitteren Trennung neu aufstellen müssen, sondern auch die Kinder, die zwischen ihren (zerstrittenen) Eltern hin und her gerissen werden, wie Saskia Noort in ihrem Roman "Bonuskind" erzählt.
Die 15-jährige Lies wacht eines Morgens mit dem starken Gefühl auf, dass ihrer Mutter Jet etwas passiert ist. Ihr Bett ist unberührt, sie hat ihr Handy zurückgelassen und sie bleibt spurlos verschwunden. Der Vater – in einer neuen Beziehung mit der jüngeren Laure lebend – deutet die kommentarlose Abwesenheit seiner Ex als einen willkommenen Beweis ihrer psychischen Instabilität und ihrer Unfähigkeit, sich um die Kinder zu kümmern. Sie hätte die Scheidung niemals überwunden und beschlossen, zu verschwinden. Lies ist sich jedoch sicher, dass die Mutter sie niemals im Stich gelassen hätte. Auf eigene Faust versucht sie herauszufinden, was passiert ist. Dabei findet sie ein Tagebuch mit beunruhigenden Details aus dem Liebesleben der Mutter: Auf der Suche nach Trost, nachdem ihr Mann sie für eine Jüngere verlassen hat, hatte sich Jet im Labyrinth einer geheimen toxischen Beziehung verfangen. Wird Lies die Wahrheit über das unheimliche Verschwinden ihrer Mutter aufdecken und damit die Erklärungen der Erwachsenen Lügen strafen?
Besonders überzeugend finde ich das mit einem traurigen Smiley verzierte Cover nicht. Für meinen persönlichen Geschmack ist es zu farblos und nichtssagend; auch der deutsche Titel haut mich nicht vom Hocker. Auch wenn der Begriff "Bonuskind" im skandinavischen Sprachraum benutzt wird, um Kinder in Patchwork-Familien zu kennzeichnen, ist er mir nicht geläufig. Ich weiß nicht, ob mir dieses schlichte Buch in einer Buchhandlung ins Auge gesprungen wäre.
Der Roman "Bonuskind" spielt in den Niederlanden. Das Geschehen wird aus zwei Perspektiven vermittelt, aus der Sicht von Lies, einem Teenager, der sich nach dem Tod ihrer Mutter auf die Suche nach der Wahrheit macht, und aus der Sicht von Jet, ihrer Mutter, die ein digitales Tagebuch hinterlassen hat, dessen Lektüre mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
Es ist eine beklemmende, traurig stimmende Geschichte, die Saskia Noort erzählt. Für einen (Psych Thriller kommt die niederländische Schriftstellerin mit wenig Blutvergießen aus, stattdessen erleben wir den tagtäglichen Horror in einer typischen niederländischen Familie. Nach der Trennung führen die Eltern von Lies einen erbitterten Kleinkrieg, in dem ihre zwei traumatisierten Kinder wie Figuren in einem Schachspiel be- und genutzt werden. Der erfolgreiche Anwalt Peter genießt seine Freiheit und lebt mit Laura, seiner wesentlich jüngeren Lebensgefährtin, zusammen, während Jet, die sensible Psychologin, in ein tiefes Loch fällt. Aus ihrer Depression heraus flüchtet sie sich auf Singlebörsen im Internet, sucht nach Selbstbestätigung und geht eine verhängnisvolle Affäre mit einem psychisch kranken Mann ein, der sie als eine leichte Beute betrachtet und für seine Zwecke instrumentalisiert.
Einen klassischen Coming-of-Age-Roman möchte ich dieses Werk nicht nennen, auch wenn Lies durch ihre verbissene Suche nach der Wahrheit hinter dunkle, streng gehütete Geheimnisse ihrer Eltern kommt. Dennoch hat es mich in seinen Bann gezogen, und ich konnte es nicht aus den Händen legen. Absolut lesenswert!