Grandiose Märchenadaption
Zitat:
„Die zweite Fratze erschien, als sie sich wieder aufrichtete. Es war ein menschliches Gesicht, einige Nuancen heller als die Umgebung, aber so grauenhaft verzerrt, dass sie nicht sagen konnte, ...
Zitat:
„Die zweite Fratze erschien, als sie sich wieder aufrichtete. Es war ein menschliches Gesicht, einige Nuancen heller als die Umgebung, aber so grauenhaft verzerrt, dass sie nicht sagen konnte, ob männlich oder weiblich.“
So hat es mir gefallen:
Zugegeben, ich gehöre zu denjenigen unter uns, die mit Märchen recht wenig anfangen können. Sie haben mich nie interessiert, und das wird sich so schnell wohl auch nicht ändern. Stefanie Lasthaus gelingt mit „Rapunzels finsterer Turm“ aber ein spannender Balanceakt zwischen eingestaubter Märchenadaption und modernem Gruselroman. Und das passt am Ende so gut zusammen, dass ich unbedingt mehr von solchen Geschichten lesen will.
Die Handlung beginnt mit der Tätowiererin Flo, die mit einer Reihe von Schicksalsschlägen klarkommen muss. Der Neuanfang im abgelegenen Hotel „Tanglewood“ kommt da gerade recht. Doch schnell verzieht sich die Euphorie und macht Platz für seltsame Gesänge im Wald und unheimliche Visionen. Die Begegnung mit der mysteriösen Frau Gothel lässt das schaurige Abenteuer endgültig beginnen.
Lasthaus schafft es, wie oben erwähnt, das klassische Märchengenre zu entstauben und mit moderneren Elementen der Literatur, insbesondere der Grusel- und Horrorliteratur, anzureichern. Das macht alles ein wenig frischer. Besonders beeindruckt war ich von den Figuren, sowohl den Vorlagen aus dem Märchen als auch den neuen Charakteren. Die Figuren sind gut gelungen. Zwar ist Flo zu Beginn der Geschichte arg naiv, aber im Verlauf bessert sich das, und sie wirkt zum Ende hin mutiger und tougher als am Anfang.
Die Story weiß zu überzeugen, und die Autorin hält die Spannung hier auch gekonnt hoch. Zusätzlich überrascht sie mit der ein oder anderen unerwarteten Wendung. Der Horror- und Gruselaspekt ist dabei gut dosiert und fügt sich wunderbar ins Setting ein. Damit schafft Lasthaus eine wohlig-schaurige Stimmung, die definitiv Lust auf mehr macht.
Insgesamt ist „Rapunzels finsterer Turm“ eine stimmige und schaurige Märchenadaption, die nicht nur Fans der düsteren Literatur begeistern dürfte, sondern auch Leser, die nach etwas frischeren Geschichten suchen. Der Genremix funktioniert nämlich wunderbar, und ich hoffe auf weitere Adaptionen in diesem Stil.
9/10 Leseempfehlung