Da mich wahre Verbrechen interessieren ob der Faszination des Bösen, kam ich nicht umhin, auch dieses Buch von Stephan Harbort zu lesen. Wobei "lesen" nicht der richtige Ausdruck ist, man nimmt das Buch eher durch und hangelt sich von einem Fall zum nächsten. Insgesamt schildert der Autor in sieben Beispielen aus Deutschland und dem Ausland, wie es dazu kommen kann, dass Kinder unterschiedlichen Alters zu Verbrechern werden, zu Mördern, zu Menschen, die sich dazu entschließen, furchtbare Taten zu begehen. Ich frage mich unwillkürlich, ob ein 5-jähriger Junge die Endgültigkeit seines Entschlusses nur annähernd so begreift wie ein 13-jähriger. Laut Statistik im Anhang sind es zu 87,5 % männliche Täter, die meisten bei ihrer ersten Tat um die 13 Jahre alt. Interessant finde ich neben dem Expertenwissen des Autors die originalen Protokolle, die einen ziemlich guten Überblick verschaffen und das Prozedere authentischer gestalten. So erfährt man etwas über das Vorleben der noch jungen Täter, über die Planung und Durchführung und wie es letztendlich zur Festnahme kam. Liebhaber von Ermittlungsdetails und Fallanalysen kommen hier voll auf ihre Kosten.
Besonders die Vielfalt der Handlungsmotive gefällt mir, weil mich das an Grauzonen erinnert: Es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß, Gute und Böse, sondern oft etwas dazwischen. Wenn ein so junger Mensch tötet, um zu erfahren, wie sich das anfühlt, was sagt uns das? Oder aus Neid, Habgier, sexueller Motivation. Mangelt es ihm vielleicht an Liebe? Hat er Probleme mit dem anderen Geschlecht, de facto zwischenmenschliche Probleme oder Schwierigkeiten mit autoritären Bezugspersonen? Geht es um Stagnation hinsichtlich seiner eigenen emotionalen Entwicklung?
"Morgen wirst du herausfinden, ob du lebst oder stirbst, weil ich eine Menge Leute zu töten habe." S. 118
"Weil ich nicht machen konnte, was ich wollte. Meine Eltern hatten immer etwas dagegen, egal, was es war." S. 186
Stephan Harbort greift wichtige Aspekte auf und beschreibt sie leicht verständlich anhand von realen Fakten, so dass man als Leser nicht das Gefühl bekommt, man hätte Psychologie oder Kriminalistik studieren müssen, um die Ansätze nachvollziehen zu können.
Wer sich weiterinformieren möchte, kann sich durch das Literaturverzeichnis arbeiten, das dankenswerterweise integriert wurde.
Persönliches Fazit: Für mich ist dieses Buch mehr eine gesellschaftskritische Lektüre, denn um einander besser verstehen und Signale frühzeitig erkennen zu können, ist es wichtig, sich über solche Themen auszutauschen. Faszinierende und zugleich schockierende Fälle, ein gewohnt ruhiger und präziser Schreibstil sowie punktgenaue Beschreibungen: True Crime at its best!
© Rezension, 2018, Julie, Recensio Online