Bücher sind wie Pilze
"Bücher", sagte er, "sind wie Pilze. Sieht man nicht hin, vermehren sie sich. Ihre Zahl wächst nach Regeln von Zinseszins: Ein Interesse führt zu nächstes Interesse, und das verbindet sich mit drittes ...
"Bücher", sagte er, "sind wie Pilze. Sieht man nicht hin, vermehren sie sich. Ihre Zahl wächst nach Regeln von Zinseszins: Ein Interesse führt zu nächstes Interesse, und das verbindet sich mit drittes Interesse. Und schwups, hast du nicht gesehen, hat man mehr Interesse als Platz im Schrank." - S. 407
Ich starte diese Rezension mit einem Zitat aus dem Buch, das glaub ich jedem Büchersammler aus dem Herzen spricht. So auch mir. Diese Zeilen gehören zu meinen Lieblingsstellen im Buch. Und es gibt so einige schöne Stellen, die das Buch für mich so wertvoll machen, dass ich es, ganz untypisch für mich, ein zweites Mal lesen werde! Rachmann versteht es nämlich, mit seinen Worten und seinen detaillierten Beschreibungen, seiner detaillierten Sprache und dem Aufmerksammachen auf kleine Merkmale, eine geheimnisvolle Atmosphäre aufzubauen. Normalerweise finde ich es sehr mühsam, wenn bis aufs Kleinste alles beschrieben wird und normalerweise mag ich es, wenn ich mir selbst Sachen dazu denken kann und mir nicht alles vorgegeben wird, wie etwas aussieht, aber hier hat es mich überhaupt nicht gestört.
Das Buch ist in drei Zeitebenen eingeteilt, mit jeweils zehn Jahren Unterschied. Man lernt Tooly kennen als sie zehn, Anfang 20 und in ihrer Gegenwart, als sie Anfang 30 ist, kennen. In einer nicht nachvollziehbaren Reihenfolge wird zwischen den Zeitebenen gewechselt und man bekommt immer nur kleine, aber auch bedeutende Ausschnitte aus Tooly's Leben präsentiert, die dem Leser zu verstehen geben sollen, wie Tooly tickt und warum sie so ist, wie sie ist. Es ist ein bisschen frustrierend, nur mit so kurzen Ausschnitten von Toolys Leben konfrontiert zu werden, ohne viel Erklärungen und mit neuen Charakteren, um dann wieder in eine ander Zeit und andere Ausschnitte und mit neuen Personen zu wechseln. Es hat trotzdem, oder gerade deswegen, seinen Reiz und ich wollte gar nicht mehr aufhören zu lesen, damit sich alles zu einem großen Ganzen zusammenfügt.
"Tooly wünschte sich, sie würde nicht länger existieren, würde ausgelöscht werden, gefangen, wie sie sich in diesem ungeliebten Ramschhaufen eines kleinen Mädchenleibs fühlte, ermattet von der Beständigkeit des eigenen Ichs." - S. 252
Tooly hat einen sehr außergewöhnlichen Charakter, was kein Wunder ist, da sie von Kind auf mit Menschen zusammen war, die nie ein normales Leben in unserem Sinn geführt haben. Tooly mochte ich in der ersten und der letzten Zeitebene am liebsten. Man merkt aber wirklich sehr schön, wie sie sich mit den Jahren entwickelt hat, auch wenn wir als Leser diese Entwicklung nicht miterlebt haben. Auch die Nebencharaktere waren alles andere als langweilig! Nachdem ich schon viele Buchcharaktere kennengelernt habe, waren die Figuren in diesem Buch eine so angenehme Überraschung. Auch wenn ich durch ihre Lebensstile und mit ihren Charaktern vielleicht im richtigen Leben nichts zu tun haben möchte, war es sehr interessant von ihnen zu lesen.
Die Geschichte an sich lebt von den Geheimnissen und den kuriosen Menschen, die Tooly's Leben bestimmen. Die kurzen Abschnitte sorgen für einiges an Verwirrung und nach jedem Abschnitt hat man weitere tausend Fragen im Kopf, bei denen man auf eine Antwort hofft. Die Geschichte ist fröhlich und traurig zugleich. Jede fröhliche Szene hat etwas Trauriges an sich und Rachmann erzählt das mit einer Leichtigkeit, bei der mir als Leser ein drückendes und hilfloses Gefühl zurück geblieben ist. Am Ende finden viele lose Fäden ein Ende. Die Auflösung schleicht sich langsam ein und ließ mich aufgewühlt zurück.
Fazit
Aufstieg und Fall großer Mächte ist ein leises Buch, für das man sich Zeit nehmen muss, damit sich seine großartige Sprachgewalt und Erzählkunst zur Gänze entfalten kann! Interessante Charaktere und wunderschön geschrieben!