REZENSION – Mit seiner Romanbiografie „Julius oder die Schönheit des Spiels“, im August beim List Verlag erschienen, hat Autor Tom Saller (54) ein Buch vorgelegt, das nicht nur für Freunde des Tennissport zur Pflichtlektüre werden könnte, sondern auch allen anderen Lesern gefallen dürfte. Eng angelehnt an die reale Biografie des vor allem zu seiner Zeit weltberühmten „Tennis-Barons“ Gottfried Freiherr von Cramm (1909-1976), schildert der Autor und Psychotherapeut, der durch seinen Debüt-Bestseller „Wenn Martha tanzt“ (2018) bekannt wurde, vor allem die psychologischen Aspekte im ruhmreichen Werdegang seines Protagonisten Julius Graf von Berg in den 1920er und 1930er Jahren und dessen seelischen Konflikt als deutscher Spitzensportler, der sich 1937 von den NS-Machthabern politisch missbraucht sieht.
Auf seiner Europa-Reise im Jahr 1984 erinnert sich ein alter Herr im Tenniscourt von Wimbledon an das Finale im Davis Cup des Jahres 1937 gegen den Deutschen Julius von Berg, das er zur eigenen Überraschung gewann. Tatsächlich unterlag damals Gottfried von Cramm auf der Höhe seines Ruhms überraschend dem Amerikaner Donald Budge. Im entscheidenden Spiel steht Sallers Protagonist Julius unter Beobachtung politischer Funktionäre des NS-Regimes. In deren Augen steht Julius für den NS-Staat am Netz. „ …. in erschreckender Klarheit wird mir bewusst: Ich bin auf dem besten Weg, Hitlers Befehl auszuführen“, erkennt Julius. Gewinnt er, gewinnt das NS-Regime; verliert er, verliert auch das Deutsche Reich. Selbstbestimmung oder Mitläufertum? Ruhm oder Schande? Der Spitzensportler steht vor einem scheinbar unlösbaren Gewissenskonflikt.
Zuvor hatte sich Julius nie um Politik gekümmert. Aufgewachsen als Spross einer alten Adelsfamilie, erzogen zu ehrenwerter Haltung und Anstand, muss er nach Jahren unbeschwerten, sorgenfreien Lebens in Berlin allerdings die Missachtung der Nazis aller ihm anerzogenen und in Fleisch und Blut eingegangenen Werte erkennen. Dies bestätigt dem „Ehrenmann und sportsman, .... dass Politik ein eher ungutes Geschäft für eher ungute Menschen ist.“ Doch Julius bleibt seiner Haltung treu: „Manche Dinge unterliegen nun einmal nicht der Mode oder einem Zeitenwandel. Würde, Anstand und Respekt kennen kein Verfallsdatum, und Verantwortung trägt man jederzeit – für sich und den anderen.“
Für den Ehrenmann gibt es auf dem Tennisplatz nur sportliche, nicht aber politische Gegner: „Sobald ich ihn betrat, frohlockte ich innerlich, war eins mit mir, mit dem Ball und meinem Gegner, den ich keine Sekunde lang als solchen empfand.“ In diesem Sinne hatte auch sein Freund Erich Maria Remarque, damals noch Redakteur der Zeitschrift „Sport im Bild“, den Tennissportler zu einem Symbol „für ein geeintes Europa“ gemacht und damit „zur Zielscheibe für die erstarkenden Nationalsozialisten.“
Tom Saller hält in seiner Romanbiografie an die historischen Fakten im Leben des Gottfried von Cramm. Wir erfahren von Freundschaften mit dem gerade durch seinen Roman „Im Westen nichts Neues“ als Schriftsteller berühmt werdenden Erich Maria Remarque (1898-1970), mit der Schauspielerin Marlene Dietrich (1901-1992), die nach ihrem Erfolg mit dem „Blauen Engel“ 1930 nach Hollywood geht, und mit Schwedens König Gustav V. (1858-1950), der sich tatsächlich 1938 persönlich bei den Nazis für die Freilassung von Cramms eingesetzt hat.
Die Romanbiografie „Julius oder die Schönheit des Spiels“ animiert zum unmittelbaren Vergleich und zur weiteren Beschäftigung mit der wahren Biografie des Gottfried von Cramm, weshalb das Buch allein schon deshalb empfehlenswert ist. Kein Geheimnis ist auch von Cramms tatsächliche Niederlage 1937 in Wimbledon. Doch warum diese so überraschend kam, interpretiert Autor und Psychotherapeut Saller auf seine Weise, was seinen Roman zu einer dramaturgisch sich gut entwickelnden und zunehmend spannender werdenden Lektüre macht.