Roaring Twenties in Berlin
Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die sozialen und politischen Unruhen, die in der Weimarer Republik münden werden, sind in Vorbereitung. Die dargestellten Personen wirken sympathisch und lebensecht. Sie ...
Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die sozialen und politischen Unruhen, die in der Weimarer Republik münden werden, sind in Vorbereitung. Die dargestellten Personen wirken sympathisch und lebensecht. Sie trauern um die Gefallenen, freuen sich über die Kriegsheimkehrer. Langsam nimmt das Leben wieder seinen Gang. Hungersnot, Inflation, Arbeitslosigkeit prägen das Leben der Deutschen. Anhand von fünf Einzelschicksalen wird versucht die Entwicklung der deutschen Gesellschaft zu thematisieren. Die fünf Hauptgestalten schaffen es, trotz aller Widrigkeiten, sich nicht vom linken oder vom rechten Spektrum der Gesellschaft einfangen zu lassen, aber um sie herum radikalisiert sich das Leben zunehmend. Die politisch sehr wirren Zeiten, die vielen Streiks, Aufmärsche, Hitlers Putsch und die immer zügellosere Gewalt gegen Juden werden im Buch deutlich gemacht.
Und inmitten all dieser politischen und sozialen Unruhen lernen wir Ilse und ihren Bruder Johann, Luise und Ihren Ehemann Robert sowie Ella aus dem Hinterhof kennen. Damals gab es den Begriff nicht, aber heute wissen wir, Johann und Robert leiden unter posttraumatischen Störungen aus den Jahren im Krieg. Johann ist ohne einen Arm und mit einer steifen Hüfte aus dem Krieg zurückgekommen, Robert ist zwar äußerlich unversehrt, aber seine Wunden sind psychischer Natur. Ilse ist ein Freigeist, künstlerische begabt, bekennende Lesbe. Sie kennt die Bohème Berlins, verkehrt mit SängerInnen, SchriftstellerInnen, SchauspielerInnen. Vicky Baum, Marlene Dietrich, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, The Comedian Harmonists, Hans Albers, Klaus und Erika Mann und viele andere gehören zu ihrem Bekanntenkreis. Dies zeigt auch, die Zwanziger Jahre in Berlin waren nicht nur geprägt von braunen Aufmärschen und Straßenschlachten. Die Kultur erreichte einen richtigen Höhenflug, bedeutende Maler, Schriftsteller, Musiker prägten dieses Jahrzehnt ebenso.
Das Buch endet mit dem Schicksalsjahr 1933, mit der großen Bücherverbrennung. Ab da beginnt eigentlich die große Gleichschaltung, andersdenkende werden mundtot gemacht, die Literatur verfällt dem Blut- und Bodenwahn, Malerei, Skulptur und Architektur verkommen ins Giganteske, heroische Posen und Heldenkitsch bestimmen das Bild.
Das Buch ist angenehm zu lesen, erstens wegen der spannenden Handlung, zweitens wegen der Zeitläufte, die uns näher gebracht werden und drittens (aber nicht letztens) wegen des fließenden und ansprechenden Schreibstils.
Ulrike Schweikerts Roman reiht sich in eine äußerst lesenswerte Reihe von Büchern, angefangen mit Erich Maria Remarques „Drei Kameraden“ bis Helene Sommerfelds „Das Leben ein Traum“ der jüngeren Literatur.