Ina Kronenberger (Übersetzer), Tatjana Michaelis (Übersetzer)
Mit der ihr eigenen Verve und Sprachgewalt nimmt sich Despentes der Themen unserer Zeit an – #MeToo und Social Media, Drogen, Machtmissbrauch, Feminismus. Ungeschönt, aber nicht unversöhnlich hält Despentes unserer Gesellschaft den Spiegel vor.
Rebecca, Schauspielerin, über fünfzig und immer noch recht gut im Geschäft. Oscar, dreiundvierzig, Schriftsteller, der mit seinem zweiten Roman hadert, und Zoé, noch keine dreißig, Radikalfeministin und Social-Media-Aktivistin.
Diese drei, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen nach einem verunglückten Instagram-Post Oscars aufeinander. Wie? Digital. Und so entsteht ein fulminanter Briefroman des 21. Jahrhunderts, in dem alle wichtigen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit verhandelt werden. Rebecca, Oscar, Zoé, alle drei sind vom Leben gezeichnet, voller Wut und Hass auf andere – und auf sich selbst. Aber sie müssen erkennen, dass diese Wut sie nicht weiterbringt, sondern nur einsamer macht, dass Verständnis, Toleranz und sogar Freundschaft erlernbar und hin und wieder sogar überlebenswichtig sind.
Mit dieser Tour de Force durch gesellschaftliche Debatten und Konflikte behauptet Virginie Despentes klar ihre Position als eine der wichtigsten Autor*innen Frankreichs, die Wut und Aggression gekonnt einsetzt, um Versöhnung zu predigen. Ganz große Literatur.
Selten habe ich mir so viele Stellen markiert, wie in diesem Buch. Es steckt so viel kluge Beobachtung darin und Despentes trifft immer wieder den Nagel auf den Kopf.
Ein Briefroman, vornehmlich zwischen ...
Selten habe ich mir so viele Stellen markiert, wie in diesem Buch. Es steckt so viel kluge Beobachtung darin und Despentes trifft immer wieder den Nagel auf den Kopf.
Ein Briefroman, vornehmlich zwischen der alternden Schauspielerin Rebecca und dem Schriftsteller Oscar, der gerade mitten in einem „me too“ Skandal steckt.
Und immer wieder lesen wir auch im Blog von Zoe, die mit Oscar und den Männern generell abrechnet.
Die Dialoge sind großartig und decken eine Bandbreite von Sichtweisen ab, wie man es selten zu lesen bekommt. Tief tauchen wir in die emotionale Welt der Protagonisten ein und folgen deren Einsichten und Selbsterkenntnissen.
Mal konnte ich mich mit dem einen Charakter identifizieren, dann wieder mit dem anderen.
Ein wirklich wunderbares und starkes Buch, perfekt übersetzt von Ina Kronenberger und Tatjana Michaelis, das ich voll und ganz empfehlen kann.
Der Roman erzählt keine klassische Geschichte, sondern ist als Schriftwechsel per E-Mail verfasst. Zwischendurch kommt allerdings auch Zoe, eine junge, radikal feministische Frau, zu Wort, die ...
Meinung
Der Roman erzählt keine klassische Geschichte, sondern ist als Schriftwechsel per E-Mail verfasst. Zwischendurch kommt allerdings auch Zoe, eine junge, radikal feministische Frau, zu Wort, die Vorwürfe gegenüber Oscar erhebt.
Es beginnt ziemlich intensiv, die Figuren werfen sich einiges an den Kopf, doch dann bekommen ihre E-Mails eine gewisse Routine. Nach dem wirklich guten Beginn, folgen Passagen, die sich ziehen wie Kaugummi, in den nichts relevantes geschieht. Es ist eine Art Dialog zweier Menschen, die allem Anschein nach mit dem Wandel des Zeitgeistes überfordert sind, deren vorrangigsten Themen sie selbst und Drogen sind. Dieses dauerhafte Gerede über Drogen ging mir irgendwann echt auf die Nerven. Natürlich spielen die Drogen vor allem bei Oscars Verhalten eine große Rolle, denn je länger er clean ist, desto klarer sieht er die Dinge, die falsch gelaufen sind. Trotzdem nimmt es meiner Ansicht nach zu viel Raum ein.
Ebenso seltsam ist die metoo Geschichte von Zoe, eine Figur, bei der mir die Einordnung schwer fällt. Oscars Verhalten ihr gegenüber war nicht in Ordnung, aber dennoch wirkt ihre Geschichte im Vergleich zu den anderen Dingen, die durch #metoo ans Licht gekommen sind, sehr abgeschwächt. Aus meiner Sicht wird dieses Thema im Roman überaus vorsichtig behandelt. Im Gesamtkontext wirkt es auf mich, als ob diese Bewegung zwar okay ist, aber nun ist auch langsam genug. Mir fehlt die Ernsthaftigkeit bei dieser Thematik.
In erster Linie suhlen sich die zwei Figuren in Selbstmitleid. Zwischendurch kommt dann wieder eine fesselnde Passage, die wirklich auf den Punkt ist. Davon hätte es gerne mehr geben können. Alles in allem ist der Roman nicht das Highlight, das ich erwartet hatte. Das Kommunikationsmittel E-Mail ist ebenso wie die Charaktere aus dem letzten Jahrtausend und das merkt man leider auch bei ihren Ansichten sowie in ihrem Handeln.
Fazit
Gut geschrieben, leider konnte mich der Roman mit seinem Anspruch auf „modern und streitbar“ nicht überzeugen.
Rebecca ist eine berühmte französische Schauspielerin, die mit ihren jedoch etwa 50-jährigem Kapital (aka ihrem Körper) für den Filmmarkt nunmehr als zu alt sprich uninteressant gilt. Auf Instagram sieht ...
Rebecca ist eine berühmte französische Schauspielerin, die mit ihren jedoch etwa 50-jährigem Kapital (aka ihrem Körper) für den Filmmarkt nunmehr als zu alt sprich uninteressant gilt. Auf Instagram sieht sie einen reißerischen Beitrag vom etwa 10 Jahre jüngeren Oscar, der zwar selbst efolgreicher Schriftsteller ist, aber zur Zeit ebenfalls in einer Schaffenskrise steckt. Öffentlich lästert er über Rebecca: der ehemalige Teenie-Schwarm sei nicht nur zur Schlampe verkommen und alt geworden, "Sie ist auch auseinandergegangen, verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges, lautes Weibstück" (S. 5). Rebecca lässt das natürlich nicht unkommentiert und reagiert promt mit folgenden keifenden Worten: "Liebes Arschloch [...] Ich hoffe, dass deine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und du ihren Todeskampf mitansehen musst, ohne etwas tun zu können, und dass ihnen die Augen aus den Höhlen spritzen und ihre Schmerzensschreibe dich jeden Abend verfolgen." (S. 6).
Als dritte im Bunde mischt sich alsbald Zoé ein, ehemalige Pressereferentin in Oscars Verlag, die nach übergriffigem Verhalten durch Oscar inklusive Stalking nur noch die Kündigung als Ausweg sah und sich nun auf Instagram zur bekannten, radikalfeministischen Aktivistin hochgebloggt hat - und Oscar im Zuge von
MeToo an den Pranger stellt.
Was sich ergibt, ist ein 330 Seiten mächtiger elektronischer Briefwechsel zwischen Rebecca und Oscar, der hin und wieder durch Essays von Zoé unterbrochen wird. Aus dem anfänglichen Hasstiraden zwischen Rebecca und Oscar ergibt sich nach und nach so etwas wie Freundschaft, denn beide sind sich ähnlicher als gedacht und nähern sich immer weiter einander an. Doch die 330 Seiten umfassende Korrespondenz hat mich nicht mal annähernd so begeistert wie erwartet und leider regelrecht gelangweilt und genervt. Beide Protagonisten sind schrecklich nervtötende Persönlichkeiten, die eine Person anstrengender und unsympathischer als die Andere. Es wurde so viel um sich gebissen (ja, es wurde auch so etwas in der Art wie sich versöhnt, Einsicht gezeigt und aufeinander zu gegangen).
Und ja, der Roman thematisiert viele aktuelle, unbestreitbar wichtige Themen wie Feminismus und das systemische Patriarchat, Elternschaft, Älterwerden, Sucht, Cyber-Mobbing und psychische Gesundheit in Zeiten von TikTok. Zudem spielt das Buch in großen Teilen zur Zeit des Lockdowns, wobei infolgedessen auch immer wieder so viel uninteressantes hochgefahren und eingefangen wird (erklär mir doch noch mal Zoom! Und juchu, jetzt klatschen wir alle nochmal schön für die Pflegekräfte!) Aber die Charaktere leiden unter ausgeprägten Narzissmus und übertrumpfen sich ständig selbst mit endlosen Gefasel über sich selbst. Despentes Roman ist ein Werk über die rage culture, und Rebecca ist dabei eine unerträgliche Diva, Oscar ein zutiefst gekränkter Täter mitten im
MeToo-Skandal, der sich ja auch so leid tut und damit durchgehend in Selbstmitleid suhlt (hust Täter-Opfer-Umkehr). Die Dialoge sind langatmig, beide haben ein Faible dazu endlose Monologe zu führen und drehen sich dabei thematisch oft und immer wieder im Kreis.
"Liebes Arschloch" hat mich leider Mal so richtig kalt gelassen und war dem Schreibstil sei dank sehr anstrengend zu lesen, ich habe nichts gefühlt und keinen Zugang gefunden - weder zu irgendeinem Charakter noch zu Despentes mir zu aufgesetzten, mal umgangssprachlich mal intellektuell hochtrabenden Schreibstil. Gestört hat mich auch der unkritische exzessive Drogenmissbrauch. Oscar (dieser Kotzbrocken - sorry) schließt sich zwar als Teil seiner persönlichen Charakterentwicklung den Narcotic Anonymous an - in seiner Lage wäre es ja auch immerhin brandgefährlich unter dem Einfluss von Alkohol noch etwas schlechtes in die Welt herauszuschreien. Rebecca (die Femme Fatale schlechthin) kokst und säuft derweil fröhlich weiter - Drogenmissbrauch ist für sie das, was sie scheinbar ein stückweit jung hält und nach wie vor interessant macht.
Zwischendurch gab es immer wieder einige interessante Ansätze und auch die Protagonisten haben eine relativ ansehbare Entwicklung zum Guten hin durchlebt, aber die monologisch gehaltenen Dialoge zweier privilegierter Menschen haben mich doch ziemlich entnervt zurückgelassen. Was mich aber am stärksten entzaubert hat war die Form des Briefromans, in der zwei Boomer in ihrer Midlife-Crisis vor sich hin fabulieren - und was am Anfang noch witzig und spritzig war, war am Ende leider nur noch ermüdend und qualvoll. Dem Buche zugutehalten muss ich: die Themen sind gut, die Umsetzung hat mich durch die ständig unter Drogen stehenden und wehleidigen Protagonisten null erreicht.