Märchenhaft und beklemmend
Inhalt:
Es schneit, es ist kalt, es stürmt und gefühlt befinden wir uns sowohl in der Vergangenheit, wo man sich mit Kutschen von A nach B bewegt, als auch in einer märchenhaften und auch ein wenig bedrohlichen ...
Inhalt:
Es schneit, es ist kalt, es stürmt und gefühlt befinden wir uns sowohl in der Vergangenheit, wo man sich mit Kutschen von A nach B bewegt, als auch in einer märchenhaften und auch ein wenig bedrohlichen Zukunft, in der es Zwergpferde und Riesen gibt, und in der seltsame Drogen für enorme Visionen sorgen können. Wir haben den Arzt Garin, der sich furchtlos durch den Sturm wagt und den Brotlieferanten Kosma, gennant Krächz, der unseren Arzt der bei der Bekämpfung einer Seuche, welche die Menschen zu zombieähnlichen Gestalten macht, dringend gebraucht wird, ins ein paar Stunden entfernte Örtchen Dolgoje fahren soll.
Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich in Marias Lesekreis gelesen und freue mich auf den Austausch, der am Sonntag stattfinden wird. Sicher sind nämlich auch einige äusserst kontroverse Meinungen dabei. Auf mich hat "Der Schneesturm" äusserst beklemmend gewirkt. Mit einer inneren Enge habe ich Seite um Seite umgeblättert und zusehen müssen, wie ein Hindernis nach dem anderen die sonst schon scheinbar endlose Kutschenfahrt noch mehr in die Länge zieht. Wie es kälter und kälter wird, wie unser eigentlich so pflichtbewusste Arzt seinen Kutscher und herzensguten Begleiter Krächz zurechtweist und massregelt, weil dieser mit seiner bedächtigen Art nicht gerade dazu beiträgt, dass die Reise ein baldiges Ende nimmt.
Wer zum ersten Mal zu einem Stück russischer Literatur greift, ist sicher irritiert von den Bildern und Ideen, die heraufbeschworen werden und dem Umgang, den die Menschen miteinander pflegen. Aber eigentlich befinden wir uns einfach in einem - äusserst dramatischen - russischen Märchen. Einem Märchen, in dem die endlose Kutschenfahrt eine Metapher für ein Land ist, in dem alles sehr langsam vorankommt, in dem Vergangenheit und Gegenwart und vielleicht sogar ein wenig Zukunft aufeinanderprallen, in dem Menschen abhängig sind von einem System, in dem der Alkohol und grosse Machthaber äusserst präsent in den Köpfen und Herzen sind und in dem eine Landschaft voller Schönheit und Weite zum Träumen und Schwelgen einlädt, aber auch äusserst bedrohlich wirken kann.
Die scheinbare Sinnlosigkeit des Versuches, ans Ziel zu kommen, hat mich ein wenig an "Wo warst du, Adam?" von Heinrich Böll erinnert. Dort allerdings ist es der zweite Weltkrieg, der bis zum bitteren Ende geführt wird und der ohne jeden Sinn und Zweck, aber auch komplett planlos für unheilbare Wunden in der Seele ganzer Nationen führt.
Sprache:
Einlullend und poetisch schön und zuweilen auch kafkaesk erzählt Sorokin seine Geschichte. Geübte Literaturkritiker wollen Zitate grosser russischer Autoren und Dichter in Sorokins Erzählung finden, ich habe vor allem sehr viel Humor, Sarkasmus und einige äusserst spitze Seitenhiebe gefunden. Immer wieder war da aber auch eine ganz eigene, schillernde sprachliche Schönheit, die das Buch zu einem wahren Lesegenuss gemacht haben und mich förmlich an den Seiten kleben liessen. Ein grosses Lob an dieser Stelle an den Übersetzer Andreas Tretner, der es mit diesem anspruchsvollen Text sicher nicht leicht hatte, dem aber eine runde, in sich stimmige Übersetzung gelungen ist.
Meine Empfehlung:
Von mir gibt es eine herzliche Empfehlung für dieses durchaus anspruchsvolle, wunderschön erzählte Buch, das aber auch äusserst beklemmend wirkt und beim Lesen für Gänsehaut gesorgt hat.