mäßige Spannung, aber originelle Figuren und eine dichte Atmosphäre
Wir befinden uns in einer Kleinstadt im tief verschneiten Värmland, in dem Temperaturen um den Gefrierpunkt schon als kleine Wärmeperiode gelten – verständlich, wenn das Thermometer ansonsten in der Regel ...
Wir befinden uns in einer Kleinstadt im tief verschneiten Värmland, in dem Temperaturen um den Gefrierpunkt schon als kleine Wärmeperiode gelten – verständlich, wenn das Thermometer ansonsten in der Regel minus zwanzig Grad anzeigt. In dieser – pardon! – Arschkälte wird die Journalistin Tuva unversehens Augenzeugin, wie der Besitzer der örtlichen Lakritzfabrik vom Dach seiner Produktionsstätte stürzt. Ein Unfall? Selbstmord? Oder steckt etwas anderes dahinter? Tuvas Interesse ist geweckt, umso mehr, als bald darauf eine weitere Leiche auf dem Fabrikgelände gefunden wird.
Zugegeben: Für einen Kriminalroman ist die Spannung aus meiner Sicht etwas dürftig. Warum ich das Buch trotzdem ausgesprochen gern weiterempfehle, liegt nicht nur daran, dass es wirksam meinen Schneehunger stillt, sondern vor allem an den originellen Figuren – allen voran Protagonistin Tuva – und den unglaublich atmosphärischen Beschreibungen. Tuva ist bisexuell, gehörlos, eigensinnig und ungesellig, sie will nicht gefallen, sie tut, was sie für richtig hält – und ich habe mich augenblicklich in sie verliebt. Daneben gibt es einen spukigen Taxifahrer, einen undurchsichtigen Ghostwriter mit sehr speziellen Ernährungsvorlieben, zwei unheimliche Schwestern, die ihren Lebensunterhalt mit dem Schnitzen von Kobolden (in die auch mal Einzelteile von toten Tieren eingearbeitet werden) verdienen, und da ist vor allem die Familie des zu Tode gekommenen Fabrikanten, Witwe, Mutter und Tochter, die einen äußerst eigenwilligen Lebensstil pflegen.
Auch die Atmosphäre, die Will Dean erschafft, hat mich in ihren Bann gezogen: Der verschneite Wald, die in die Jahre gekommene Fabrik, die scheinbar repräsentativen Räume der Fabrikantenfamilie, die bei näherer Betrachtung schon bessere Zeiten gesehen haben; dazu die allgegenwärtige buchstäblich lebensbedrohliche Kälte, die dunklen, ehrfurchtgebietenden (wenn nicht gar angsteinflößenden) Wälder, der kniehohe Schnee – all dies wird dermaßen lebendig und anschaulich beschrieben, dass ich förmlich in der Szenerie versank.
„Totenwinter“ ist übrigens der zweite (und aktuelle) Band einer Reihe. Auf den ersten, „Totenstille“, wird zwischendurch Bezug genommen. Zwar wird die Auflösung nicht verraten, aber einige Details über einzelne Figuren offenbart. Das sind zwar kleine Spoiler, die der Lektüre des ersten Bandes (ich habe ihn auch erst danach gelesen) insgesamt aber keinen Abbruch tun. (Wobei ich den hier vorgestellten zweiten Roman besser finde.)