Hoffnungen in Thymiangrün
Abigail Assors bewegender Debütroman „So reich wie der König“ beschreibt in einer poetisch-bildhaften Sprache die schonungslosen Machtverhältnisse zwischen Arm und Reich im Casablanca der 1990er-Jahre.
Die ...
Abigail Assors bewegender Debütroman „So reich wie der König“ beschreibt in einer poetisch-bildhaften Sprache die schonungslosen Machtverhältnisse zwischen Arm und Reich im Casablanca der 1990er-Jahre.
Die 16-jährige Sarah lebt mit ihrer Mutter in einem heruntergekommenen Haus im Stadtviertel Hay Mohammadi mit Blick auf die angrenzende Barackensiedlung im Slum – trotz französischem Gymnasium und Pass bestimmt die Armut ihr Leben in dem von sozialer Ungleichheit und Patriarchalismus geplagten Land. Ihr einziges Kapitel ist ihre Schönheit und Sarah ist davon überzeugt, ihre Lebenslinien umzulenken und sich ein Königreich voller Reichtum aufzubauen. Wie ihre Mutter hat sie die Codes gelernt, wie sie Männer bezirzen kann und dadurch zum Getränk oder Essen eingeladen wird. Durch ihre Clique, mit der sie viel umherzieht, lernt sie Driss kennen – den Sohn einer sehr reichen Unternehmerfamilie mit Villa auf dem Anfa-Hügel. Seine Hässlichkeit und Introvertiertheit stören sie nicht, sie kann ihn für sich gewinnen und sieht in seinen bestechenden thymiangrünen Augen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen, die Chance auf eine bessere Zukunft. Unbedingt möchte sie ihn heiraten und schmiedet dafür einen verhängnisvollen Plan. Doch Driss ist nicht nur reich, er ist auch Fassi – eine sehr mächtige, einflussreiche Kaste mit strengen Hierarchien und Regeln, auch bei der Heirat. Bei dem von Driss’ Eltern ausgerichteten Opferfest bekommt Sarah eindrucksvoll und filmisch geschildert diese Herrschaftsverhältnisse zu spüren.
Auch wenn der Titel nach einem Märchen klingt, zeigt Abigail Assor mit einer sprachlichen Wucht sowie einer gelungenen auktorialen Erzählweise das schmerzvolle Scheitern von Sarahs mutig-ambitionierten Weg voller Kalkül auf, ihrer sozial prekären Schicht zu entfliehen. Mit einer präzisen und sehr sinnlichen Prosa beschwört sie atmosphärisch dicht die Farben und Schönheiten Casablancas, um sie im nächsten Moment mit der harten Realität der marokkanischen Gesellschaft kollidieren zu lassen. Scharfsinnige soziologische Beobachtungen zu Macht, Tyrannei, Reichtum und Armut fließen in die berührende und hypnotische Geschichte, die zwischen Zärtlichkeit und Gewalt changiert und mit einem spannenden Ende aufwartet.
Ein bemerkenswertes Debüt und eine fein nuancierte Initiationsgeschichte nicht nur für Jugendliche, hervorragend übersetzt und das auf weitere vielversprechende Werke der neuen französischen Stimme hoffen lässt!