Mit Am Ende aller Zeiten von Adrian J Walker startete Fischer TOR, das neue Science-Fiction- und Fantasy-Imprint der S. Fischer Verlage, nun kürzlich sein Programm. Momentan habe richtig Lust auf gute Dystopien und war deshalb sehr neugierig auf dieses Buch. Es fällt mir nun allerdings nicht leicht, diesen Roman zu rezensieren, weil er mich mit etwas gemischten Gefühlen zurückließ.
Adrian J Walker hat im Grunde ein für das Genre typisches endzeitliches Szenario entworfen und dystopische Elemente einfließen lassen, die man auch von anderen Büchern dieses Genres kennt. Die Welt, wie man sie bisher kannte, existiert nicht mehr, wurde durch eine Naturkatastrophe vollkommen zerstört, und nun müssen sich die wenigen Menschen, die die Apokalypse überlebt haben, in dieser Welt zurechtfinden.
Der Leser lernt den Hauptprotagonisten Ed vor der Katastrophe kennen, erlebt an seiner Seite das Asteroideninferno mit und begleitet ihn dann auf seinem Weg durch diese zerstörte Welt. Im Zentrum des Romans steht vor allem die Entwicklung dieses Protagonisten, denn die Katastrophe verändert die Menschen, die sie überlebt haben. Allerdings nicht unbedingt zum Guten, denn Ed muss feststellen, dass sich die Menschen bereits verändern, als sich die Katastrophe ankündigt und ist auch von seinen eigenen Verhalten irritiert.
Dem Autor ist es sehr gut gelungen, die Situation während der herannahenden Gefahr sehr eindrücklich zu schildern, sodass man sich als Leser unwillkürlich fragt, wie man sich selbst verhalten würde, wenn man wüsste, dass sich eine Naturkatastrophe dieses Ausmaßes anbahnt. Würde man anderen helfen und dafür sein eigenes Leben riskieren? Oder denkt man in solchen Momenten nur an sich selbst und würde alles versuchen, nur sein eigenes Leben und das seiner Liebsten zu retten? Als die ersten Asteroiden einschlagen, muss Ed diese Entscheidung treffen, denn er ist einer der wenigen in seiner Nachbarschaft, der einen Keller hat.
Während das Inferno über Edinburgh hinwegfegt und Ed mit seiner Familie im Keller seines Hauses gefangen ist, wird ihm zum ersten Mal bewusst, dass er in jeglicher Hinsicht versagt hat und kaum in der Lage ist, seine Kinder zu beschützen. Er hat weder genügend Nahrungsmittel mit in den Keller genommen noch für ausreichend Wasservorräte gesorgt. Doch erst als er nach der Evakuierung von seiner Familie getrennt wird, erkennt er, dass er seine Frau und seine Kinder wirklich liebt. Er reflektiert sein bisheriges Leben und erkennt, dass er ein miserabler Vater und Ehemann war.
Schon nach den ersten Kapiteln ahnt man also, worauf das Buch eigentlich hinausläuft – auf die Läuterung des Helden, der sich erst angesichts der Katastrophe bewusst wird, dass sein bisheriges Leben, das ihn entsetzlich anödete, eigentlich gar nicht so schlecht war und erst merkt, wie sehr er seine Familie liebt, als er befürchten muss, sie für immer verloren zu haben.
Zwischen ihm und seiner Familie liegen nun mehr als 500 Meilen, alle Straßen sind weitgehend zerstört und ein intaktes Fahrzeug zu finden, ist ohnehin nahezu unmöglich. Problematisch ist allerdings, dass Ed vor der Katastrophe nicht nur ein schlechter Familienvater, sondern ein übergewichtiger, phlegmatischer und vollkommen unsportlicher Couch-Potato war und nun zu Fuß diese Strecke von mehr als 800 Kilometern bewältigen muss. Wenn er seine Familie jemals wiedersehen will, muss es ihm gelingen, in knapp drei Wochen Cornwall zu erreichen, denn sonst sind die Schiffe, mit denen ganz Großbritannien evakuiert werden soll, weg und seine Familie für immer verschwunden. Und so macht er sich mit einer kleinen Gruppe von Überlebenden auf den Weg. Schon nach kurzer Zeit stößt sein untrainierter Körper natürlich an seine Grenzen, aber sein Wille und die Liebe zu seiner Familie lässt ihn dennoch Tag für Tag durchhalten.
Auf dem Weg nach Cornwall trifft die Gruppe immer wieder auf andere Überlebende, aber die Menschen haben sich verändert, sich auf unterschiedliche Weise mit dem Leben in einem zerstörten Land arrangiert oder sich in recht bizarren Gruppen zusammengefunden. Da eine staatliche und gesellschaftliche Ordnung vollkommen fehlt, herrscht im Grunde völliges Chaos, Anarchie und das Recht des Stärkeren. Während manche Überlebende einfach nur ihren Verstand verloren zu haben scheinen, haben die meisten inzwischen jegliche Form von Zivilisiertheit und Moral abgelegt und machen es Ed und seinen Begleitern schwer, ihren Weg fortzusetzen. Nur selten können sie auf Hilfe hoffen und geraten häufig in gefährliche Situationen. Ich war immer wieder gespannt, wessen Weg die kleine Gruppe noch kreuzen wird, denn diese Begegnungen mit anderen Überlebenden waren überaus verstörend. Für mich waren dies die spannendsten Passagen des Romans, denn der Autor zeigt hier sehr gute Ansätze, vergaloppiert sich aber immer wieder und spinnt die Fäden, die er aufgenommen hat, leider nie zu Ende.
Stattdessen gibt es zwischen diesen Begegnungen endlos lange Textpassagen, in denen nur das Laufen im Mittelpunkt steht. Man merkt deutlich, dass Adrian J Walker eine besondere Affinität zum Laufsport hat, denn der zuvor vollkommen untrainierte Ed entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer wahren Sportskanone und findet so großen Gefallen am Laufen, dass er sogar fast schon traurig ist, als die Gruppe kurzfristig ein paar Meilen mit einem Fahrzeug zurücklegen kann. Laufen ist für Ed nicht einfach nur die einzige Möglichkeit, so schnell wie möglich zu seiner Familie zu gelangen, sondern wird für ihn zu einer Form der Meditation. Und so ist das Buch in weiten Teilen eine Hommage an den Laufsport und trägt im Englischen deshalb auch den durchaus passenderen Titel The End of the World Running Club. Inwiefern es realistisch ist, dass ein übergewichtiger Mann, der noch nie im Leben Sport getrieben hat, innerhalb von wenigen Tagen solche sportlichen Höchstleistungen vollbringen kann, sei mal dahingestellt. In Notsituationen und aus Liebe kann man sicherlich ungeahnte Kräfte mobilisieren, inwiefern dies jedoch auch unter Nahrungsmittelentzug und ohne die nötige Zufuhr von Flüssigkeit möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Mag sein, dass Laufen für viele Menschen ein durchaus spirituelles Erlebnis sein kann, aber angesichts dieses endzeitlichen Szenarios wirkt Eds plötzliche Begeisterung für den Laufsport leider vollkommen deplatziert. Mir gingen diese endlosen Passagen, in denen Ed einfach nur läuft, übers Laufen reflektiert und es quasi zur Religion erhebt, furchtbar auf die Nerven, denn sie sind leider auch ziemlich langweilig und lassen den Spannungsbogen immer wieder abreißen.
Adrian J Walker hat Ed sehr präzise und fein gezeichnet und legt sein Augenmerk vollkommen auf die Entwicklung seines Hauptprotagonisten, der nicht nur erkennt, dass er ein lausiger Vater und Ehemann war und seine Familie, die ihn vor der Katastrophe nur genervt hat, eigentlich unendlich liebt, sondern im Verlauf der Geschichte auch vom Phlegmatiker zum begeisterten Marathonläufer wird. Während ich Ersteres noch durchaus nachvollziehbar fand, hat mir Letzteres den Spaß am Lesen doch ein bisschen genommen. Die Katastrophe macht Ed in jeglicher Hinsicht zu einem besseren Menschen, lässt ihn über sich hinauswachsen, verleiht seiner vormals sinnentleerten Existenz endlich einen Sinn und ist somit ja fast schon ein Segen, was ich schon ein wenig befremdlich fand. Auch wenn mir Ed vor dem Inferno nicht gerade sympathisch war, war er zumindest authentisch angelegt, büßt seine Glaubwürdigkeit jedoch im weiteren Verlauf der Handlung immer mehr ein.
Alle anderen Protagonisten können der Katastrophe jedenfalls nicht so viel Positives abgewinnen und außer Ed scheint auch keiner von ihnen geläutert zu sein. Leider hat der Autor den Menschen, die Ed auf seinem Weg durch Großbritannien begleiten, nur wenig Kontur verliehen. Lediglich Bryce, ein etwas ungehobelter Biker, der jedoch sein Herz am rechten Fleck hat, vermochte es, mir ans Herz zu wachsen, während alle anderen recht blass und fremd blieben.
Walkers Erzählstil hat mir jedoch sehr gut gefallen, denn er ist sehr eindringlich und lässt sich flüssig lesen. Bis zur Mitte war der Roman auch überaus spannend und hat mich wirklich gefesselt. Die Beschreibung der zerstörten Landschaft und die Begegnungen mit anderen Überlebenden waren sehr eindrücklich, verstörend und gelungen. Einige wirklich hervorragenden Ansätze konnten mich ebenfalls überzeugen, wären sie nicht ebenso im Sande verlaufen, wie die spannende Handlung dieser Dystopie, die gegen Ende manchmal geradezu ins Absurde abrutscht. Das Ende hat mich dennoch ein wenig versöhnlich gestimmt, hatte durchaus Tiefe und überraschte mit einer unvorhersehbaren Wendung, aber leider hat mich zu vieles an diesem Roman gestört, um Am Ende aller Zeiten uneingeschränkt weiterempfehlen zu können.