Bereits auf der ersten Seite dieses Thrillers macht der Leser Bekanntschaft mit der in Hamburg lebenden Übersetzerin Caroline Wolff, von ihren Jugendfreunden „Lilli“ genannt. Caroline, deren Zentrum ihres unsteten Lebens ihre über alles geliebte Tochter Lianne war, wurde plötzlich und vollkommen unerwartet mit dem schrecklichen Verlust ihres einzigen Kindes konfrontiert. Sie flieht in ihr Elternhaus nach Schweden, ins Haus am Bergsee, in die Einsamkeit der skandinavischen Bergwelt. Ihr unvermitteltes Auftauchen sorgt zwar bei ihren Jugendfreunden für freudiges Erstaunen, doch zugleich auch zu Misstrauen und Spekulationen.
Als Caroline vor etwa drei Jahrzehnten überraschend verschwand, ohne irgendeine Erklärung oder Spuren zu hinterlassen, verursachte sie großen Kummer und Enttäuschung. Sie, die in ihrer ihr eigenen, offenen und impulsiven Art ihre Gefühle stets auf der Zunge trug, nie einen Hehl aus ihrer Meinung machte und ihre Freude und Trauer mit allen teilte und das Leben regelrecht umarmte, ließ dabei auch ihren Verlobten Ulf Svensson zurück. Caroline galt zwar auf charmante Art als unberechenbar, diese Aktion schockierte jedoch jeden, der ihr nahe stand. Carolines unermessliche Trauer um ihre bei einem Verkehrsunfall getötete Tochter Lianne wäre zwar eine Erklärung für ihr plötzliches Wiederauftauchen, jetzt, nach so vielen Jahren des Stillschweigens, ihre Freunde Björn, Maybrit und Ulf vermuten jedoch noch einen anderen Grund dahinter. Doch die unabhängige Freidenkerin Lilli hatte bereits als Kind gelernt, alle wichtigen Entscheidungen stets mit sich selber auszumachen und vertraut sich auch nun niemandem aus ihrer alten Clique an. Die Freunde stehen vor einem Rätsel und das Auftauchen der Polizei lässt ernstere Hintergründe für Carolines Verschwinden vermuten…
Die mir bislang unbekannte Autorin Alex Berg überraschte mich mit einem Thriller, dessen Spannungsbogen das gesamte Buch über konstant hoch gehalten wurde. Das Rätsel um Caroline wird in winzig kleinen Schritten und nur sehr langsam gelöst, die Vergangenheit bedächtig aufgerollt. Authentische und ausgezeichnet beschriebene Protagonisten tragen eine Menge dazu bei, die Lektüre dieses Buches zu einem Vergnügen zu machen.
Besonderes Augenmerk wird neben Caroline auf ihre Freunde aus Jugendtagen gelegt. Der gut aussehende Björn Nyborg, die „Skandinavische Ausgabe von Robert Redford“, der früher einmal um Caroline geworben hatte, fungiert mit seinem jungenhaften Charme als Vermittler und zeigt großes Talent darin, angespannte Situationen zu entschärfen. Carolines ehemals beste Freundin Maybrit Svensson, eine große schlanke und aristokratisch-schöne Frau mit inniger Verbundenheit mit der Landschaft und mittlerweile Anwältin, scheint es nie verwunden zu haben, dass Lillie von einem Augenblick auf den anderen einfach aus ihrem Leben verschwand. Den größten Erklärungsbedarf hat Caroline jedoch Ulf Svensson gegenüber. Ihr Verlobter Ulf wurde damals an einer Tankstelle ohne Erklärung von ihr sitzengelassen. Ulf hatte zwar zwischenzeitlich einige Beziehungen, war jedoch niemals wieder eine langfristige Bindung eingegangen. Die Tatsache, dass er mittlerweile zum Leiter der Stockholmer Mordkommission aufgestiegen ist, bringt den großgewachsenen, schlanken Mann, der Caroline immer noch von ganzem Herzen liebt, in einen Gewissenskonflikt.
Die Autorin weckt die Neugier des Lesers bereits auf den ersten Seiten und man fiebert der Enthüllung vieler Details regelrecht entgegen: was genau passierte mit der erst siebenundzwanzigjährigen Lianne, deren strahlende Persönlichkeit in der Blüte ihres Lebens so plötzlich endete? Was war die Ursache und wie waren die Hintergründe des tödlichen Autounfalls von Carolines geliebten Eltern, die viel zu früh sterben mussten? Und welches Geheimnis verbirgt Caroline selber, die Ulf die wahren Beweggründe für ihr plötzliches Verschwinden vor beinahe dreißig Jahren um keinen Preis verraten möchte? Gibt es vielleicht sogar einen mysteriösen Unbekannten im Hintergrund? Falls ja, wer ist diese Person und was möchte sie verbergen? Oder möchte die Autorin uns einfach nur in die Irre führen?
Alex Berg gibt raffinierte Denkanstöße und lässt in vielerlei Hinsicht Fragen offen, die aufzulösen es im Verlauf des Buches gilt. Ein flüssiger Schreibstil, dreiundvierzig nicht allzu lange Kapitel und ein überaus spannender Plot lassen zusammen mit glaubwürdigen Figuren einen Thriller entstehen, den zu lesen es auf alle Fälle lohnt. Als die Geschehnisse sich zu überschlagen scheinen, eskaliert die Situation und es kommt zu einem turbulenten Finale, das erneut mit explosiven Enthüllungen aufwartet.
Die optische Aufmachung des Buches vermittelt anhand des Coverfotos den Eindruck eines eiskalten, skandinavischen Winters – schwarze, entlaubte Bäume im hellblauen Hintergrund, schwarze Vögel im Flug, der Buchtitel in blutroter Schrift gehalten. Der Klappentext auf der Rückseite lässt bereits die Intensität der Spannung in diesem Buch erahnen, die meine Erwartungshaltung bei weitem übertroffen hat.