Eine magische Reise
"Zu einer Zeit, als die Märchen zu Metall wurden und Fabriken sich übers Land erhoben, lebte ein kleiner, aber außergewöhnlicher Junge in sehr, sehr armen Verhältnissen. Zu seinem Glück besaß er drei Dinge: ...
"Zu einer Zeit, als die Märchen zu Metall wurden und Fabriken sich übers Land erhoben, lebte ein kleiner, aber außergewöhnlicher Junge in sehr, sehr armen Verhältnissen. Zu seinem Glück besaß er drei Dinge: Tapferkeit, Tatendrang und Talent." (S. 6)
Mit diesen Worten beginnt der Prolog von Der Welten-Express und allein damit hat die Autorin mich schon vollkommen verzaubert und in ihren Bann gezogen. Ich fand den Einstieg sehr gelungen, der Prolog erklärt einem kurz die Entstehung des Welten-Express‘ und ich fand man fühlte die Magie des Buches von der ersten Seite an.
Anschließend lernen wir Flinn kennen und die Geschichte geht richtig los. Die ersten Kapitel haben sich so weggelesen; Flinn war mir unglaublich sympathisch, wie man glaube ich schon merken konnte mag ich den Schreibstil der Autorin sehr gerne und am Anfang geht es ziemlich zügig zur Sache.
Flinn hat nicht viel zu verlieren, als sie mitten in der Nacht auf den Welten-Express aufspringt. Ohne ihren Halbbruder Jonte ist das Leben zuhause öde, in der Schule hat sie kaum Freunde, weil sie „nicht genug Mädchen“ ist und ihre Mutter ist mit ihren restlichen Geschwistern beschäftigt genug. Als sich die Chance bietet Jonte wiederzufinden zögert Flinn also nicht lange.
Auf dem Welten-Express bleibt sie nicht lange unentdeckt: Zuerst läuft sie dem Kohlejungen Fedor in die Arme, der anschließend Madame Florett holt, die vollkommen entsetzt ist, dass Flinn kein Ticket hat – tatsächlich ist sie nämlich die erste blinde Passagierin des Welten-Express, der normalerweise vor den meisten Augen verborgen bleibt. Da Flinn natürlich nicht einfach irgendwo abgesetzt werden kann, wo der Zug einmal in Bewegung ist, erlaubt Schulleiter Daniel, dass sie zwei Wochen mit dem Welten-Express mitreisen darf, bevor sie zurück in ihr Heimat-Kaff Weidenborstel muss. Da sie weder Schüler noch Angestellter im Zug ist, fühlt Flinn sich teilweise nicht wirklich zugehörig, allerdings ändert sich das schnell, sobald sie Pegs und Kasim kennenlernt, die gar nicht so versnobt sind wie die restlichen Schüler.
Man sieht es ja schon an den Namen, die ich gerade genannt habe: Die Figuren kommen aus aller Welt. Logisch bei einem Welten-Express, aber ich war dennoch positiv überrascht von der Diversität der Charaktere.
Wie gesagt war mir Flinn durchaus sympathisch, das einzige, was mich manchmal an ihr gestört hat, war, wie sehr sie darauf fixiert war zu betonen, dass sie ein Mädchen ist, denn offenbar wird sie teilweise nicht so wahrgenommen. Was wiederum suggeriert, dass Flinn kein „typisches Mädchen“ ist, beziehungsweise nicht in das gesellschaftlich verankerte Rollenbild Mädchen passt. Dass Flinn ein klasse Charakter ist wird einem beim Lesen schnell klar, deshalb hat es mich schließlich etwas genervt, wenn mal wieder aufgegabelt wurde, dass Flinn anders als andere Mädchen ist – als wäre eines von beidem weniger erstrebenswert. Das ist letztendlich nur eine Kleinigkeit, denn insgesamt mochte ich Flinn sehr gerne, aber gerade durch das ständige Wiederholen ist es negativ hängen geblieben.
Aber nicht nur Flinn mochte ich richtig gerne, auch die meisten anderen Nebencharaktere waren liebevoll gestaltet. Einigen fehlte es an Tiefgang, was schlichtweg der Fülle der Nebencharaktere geschuldet ist und was ich gar nicht mal groß ankreiden möchte, denn immerhin ist es ein Kinderbuch. Besonders viele der Lehrer und das Bordpersonal sind sehr akkurat porträtiert, sie haben ein oder zwei ulkige Charakterzüge oder interessante Namen – Madame Florett zum Beispiel verdreht immer wieder Wörter und kann sich Flinns Namen, nachdem sie ihn einmal falsch verstanden hat, einfach nicht richtig merken -, aber mehr erfährt man nicht, geschweige denn, dass sie häufig im Buch auftauchen oder relevant für die Handlung sind, mit ein paar Ausnahmen.
Außerdem fand ich es etwas schade, dass von Anfang an klar ist, worauf die Geschichte hinaus läuft und wer der Bösewicht ist. Die Autorin kommt mit wenig Überraschungen um die Ecke, vielmehr wurden die meisten meiner Vermutungen bestätigt. Und ja, Der Welten-Express ist eher für jüngeres Publikum gedacht, aber wenn der Antagonist von der Hauptperson von Anfang an nicht gemocht wird, dann überrascht es einen am Ende wenig, wenn besagte nicht gemochte Person der Bösewicht der Geschichte ist. In der Hinsicht wäre definitiv noch mehr drin gewesen und ich würde mich gerne von dem zweiten Band etwas mehr überraschen lassen.
Ein großer Grund, weshalb ich Der Welten-Express überhaupt lesen wollte, war, dass es von einigen mit Harry Potter verglichen wurde und ja, die Parallele liegt tatsächlich nahe. Zwar geht es im Welten-Express eher unterschwellig magisch zu, es gibt etwas, das sich Magietechnologie nennt und ansonsten jedenfalls nichtmagische Unterrichtsfächer, aber nichtsdestotrotz hat es sich manchmal angefühlt, als hätte man Hogwarts in einen Zug verlagert und würde das Schulleben dort abhalten. Und das meine ich keinesfalls negativ, mir hat diese Magie, die zwischen den Seiten steckt und einen manchmal regelrecht anspringt, richtig gut gefallen.
Oben habe ich ja geschrieben, dass die Geschichte nach dem Prolog zügig an Fahrt aufnimmt, allerdings wird die Handlung anschließend leider erstmal etwas seichter. Wer ein abenteuerliches, action-reiches Buch sucht, der sollte lieber nicht zu Der Welten-Express greifen. Zwar bietet der Aufhänger der Geschichte – Flinns verschwundener Bruder – eine gewisse Grundspannung, allerdings dauert es sehr lange, bis Flinns Suche wirklich in die Gänge kommt. Der Mittelteil hat sich etwas hingezogen, der Welten-Express wurde erkundet, was auf eine andere Art aufregend war, aber man ist was die Handlung anging nicht voran gekommen. Erst sehr gegen Ende verdichten sich die Hinweise, Vermutungen werden bestätigt und der große Showdown findet statt. Wobei ich sagen muss, dass mich weniger der Showdown an sich, als das was danach kam noch einmal mitgerissen hat, denn plötzlich kam eine kleine Wendung, die ich doch tatsächlich nicht hatte kommen sehen, die aber viel erklärt und die Geschichte für mich wunderbar abgerundet hat.
Fazit?
Der Welten-Express ist ein interessanter Auftakt, der Lust auf mehr Zeit in diesem magischen Zug macht. Vor allem überzeugen die sympathischen und charakteristischen Figuren, noch viel mehr aber einfach die ganze Atmosphäre der Geschichte. Der Welten-Express ist ein magischer Ort, der einige Sonderseiten bereit hält und den es Spaß macht zu erkunden. Der Spannungsbogen im Mittelteil ist zwar fast schon katastrophal nämlich quasi nicht vorhanden, aber nichtsdestotrotz kommt kaum Langeweile auf, dafür fasziniert der Welten-Express an sich viel zu sehr.