Kurzgesagt ist Smaragour. Die Dracheninsel eine tolle Fantasy-Geschichte voller Abenteuer, Geheimnisse und vor allem Drachen. Ich hatte wirklich Spaß beim Lesen und werde das Smaragour definitiv meinem zwölfjährigen Neffen empfehlen, der mich schon nach neuen Buchtipps gefragt hat, weil er mit Percy Jackson durch ist.
Wenn ich mehr ins Detail gehen soll, dann fallen mir für meinen Geschmack viel zu viele Ähnlichkeiten zu Harry Potter auf. Es gibt sicherlich auch Parallelen zu anderen Büchern des Genres für diese Zielgruppe – das lässt sich manchmal schlicht nicht vermeiden -, aber wirklich extrem fand ich, wie nah an dem bekannten Zauberinternat die Geschichte von Smaragour gestrickt wurde.
Im Fokus steht eine Dreiergruppe aus zwei Jungs und einem Mädchen, die Regeln brechen (müssen), um Geheimnisse aufzudecken und gegen einen gefährlichen und von Obrigkeiten unterschätzten Feind anzutreten. Es gibt am Anfang des Schuljahres eine Zuordnung in Gruppen, die in Türmen wohnen (wie die vier Häuser von Hogwarts), die Lehrer geben Plus- und Minuspunkte für Verhalten (wie die Hauspunkte), Drachenreiter und Arbeiter werden getrennt (wie Zauberer/Hexen und Squib, mit ähnlicher Verachtung den Arbeitern gegenüber).
Ein Höhepunkt von Smaragour ist ein großes Turnier zwischen drei Drachenreiterschulen (wie das Trimagische Turnier), die Hauptfigur Jamie hört unter bestimmten Bedingungen Geräusche, die andere nicht hören können (wie der Basilisk in den Wasserleitungen in Hogwarts), es gibt einen verbotenen Abstecher in die Bibliothek. Ein fieser Junge, der offenbar zur Elite gehört, macht sich über unsere Helden lustig (wie Malfoy) und er heißt auch noch fast exakt so wie Draco Malfoys Sohn in Harry Potter und das verwunschene Kind, eine Lehrerin erinnert extrem an Professor McGonagall.
Jamie zeigt großes Talent fürs Fliegen und hat ein Familienmitglied, das auch gut darin war (wie Harry und sein Vater, nur fliegen sie hier auf Drachen und nicht auf Besen). Der lange unbenannte Bösewicht der Geschichte „war einst der begabteste Drachenreiter der [Drachenreiterschule]“ (wie Voldemort als einer der Vorzeigeschüler von Hogwarts), das Drachenreiter-Internat ist ein imposantes Gebäude mit Türmen in abgelegenen Bergen (wie Hogwarts) – es sind einfach viel zu viele und viel zu auffällige Details und Momente, die viel zu eindeutig von Harry Potter inspiriert sind.
Das wird den jungen Leser*innen wahrscheinlich nicht oder nicht so stark auffallen, aber mir fiel es schwer, diese Dinge zu übersehen. Für mich heißt das nicht, dass die Geschichte schlecht ist, das hatte ich eingangs ja schon gesagt. Ich mag besonders die Botschaft oder Moral, die sich hinter Smaragour verbirgt: Wenn die Gesellschaft dich in eine Schublade steckt, musst du dich nicht damit zufrieden geben. Du darfst all die Dinge lernen, die es dir ermöglichen, aus der Schublade auszubrechen und deine eigenen Ziele zu erreichen.
Es wird auch großer Wert auf Integrität gelegt. So sagt Tex, Jamies beste Freundin und Komplizin, in einer Szene, dass sie lieber selbst stolz auf sich ist, als dass sie sich entsprechend den gesellschaftlichen Erwartungen verbiegt, nur um ihre Eltern stolz zu machen. Das sind Werte, die ich gern an Kinder vermittelt sehe.
Mir fehlt neben diesen positiven Aspekten aber eine kreativere und vor allem eigene Weltgestaltung, und das ist mein einziger, wenn auch großer Kritikpunkt an Smaragour.
Es ist bei all den bereits existierenden Geschichten und Welten mit Magie und Drachen bestimmt schwer, das Rad neu zu erfinden. Trotzdem halte ich es für zu einfach, sich das Grundgerüst von Harry Potter zu nehmen, die Drachenreiter-Idee nur noch um dieses Gerüst zu wickeln und mit ein paar eigenen Details auszuschmücken, bis die Geschichte steht. Es gibt viele Bücher, die für meinen Geschmack zu nah an Harry Potter sind, aber es ist mir lange nicht mehr so extrem aufgefallen wie bei Smaragour.
Warum müssen unsere Helden zwei Jungs und ein Mädchen sein, wobei das Mädchen wie Hermine später dazustößt? Warum nehmen drei Schulen an dem Turnier teil? Warum gibt es Figuren, die so ähnlich zu Malfoy, McGonagall und sogar Madam Hooch sind? Warum gibt es die Gruppen, die in Türmen wohnen und zum Schuljahresanfang zugewiesen werden? Schon diese paar Beispiele sind Elemente, die man problemlos anders gestalten und sich damit von der Vorlage Harry Potter lösen könnte, ohne die eigentliche Handlung zu sehr zu verändern.
Ich fand zum Beispiel eine Disziplin des Turniers großartig, in der die Drachenreiter mitsamt ihren Drachen in Höchstgeschwindigkeit durch einen abwechslungsreichen und gefährlichen Parcours aus Röhren fliegen müssen, was leichter klingt als es scheinbar ist. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, und das war einer der wenigen Momente, in denen ich wirklich sehen konnte, was die Autorin eigentlich kann.
Fazit
Ich finde es schade, dass sich Smaragour stellenweise wie eine kleine Kopie von Harry Potter angefühlt hat und so wenig von der Struktur der Welt, der Gestaltung der Charaktere und der Entwicklungen der Handlung nach einer eigenständigen Idee klang. Trotzdem bin ich neugierig, wie die Geschichte weitegeht und werde nach Band 2 Ausschau halten – der dann hoffentlich mit mehr eigenen Ideen und weniger Hogwarts-Schablone aufwarten kann.