Ein polarisierendes Buch
Kürzlich las ich Harte Jahre und Das wirkliche Leben. Dabei fand ich Harte Jahre extrem anspruchsvoll und bei Das wirkliche Leben bleibt die Protagonistin bis zum Ende namenlos und wird nur das Mädchen ...
Kürzlich las ich Harte Jahre und Das wirkliche Leben. Dabei fand ich Harte Jahre extrem anspruchsvoll und bei Das wirkliche Leben bleibt die Protagonistin bis zum Ende namenlos und wird nur das Mädchen genannt.
Das gefeierte Buch Milchmann von Anna Burns verbindet nun beides. Das Buch ist im Tropen Verlag erschienen und lockt durch eine ausgefallene Gestaltung. Sowohl das Cover als auch der Buchrücken fallen einem direkt ins Auge. Der Klappentext lässt viel offen und spricht den Diskurs um das noch immer gegenwärtige Machtgefälle aus gesellschaftlicher Sicht zwischen Mann und Frau an.
Tatsächlich geht es um mehr, die junge Erzählerin beschreibt auf kühle Art und Weise wie sie zum Objekt der Begierde des "Milchmannes" wird. Was das in ihr auslöst und wie die Gesellschaft dazusteht, sind erste Fragen, die der Roman zu beantworten versucht.
Schon nach den ersten Seiten war mir klar, dass das Buch ganz anders als der Großteil der Bücher sein wird, die ich bisher lesen durfte. Namen? Fehlanzeige. Kurzweilige Kapitel? Nope. Klare, präzise Sätze? Ganz und gar nicht. Das ist anstrengend, das ist kompliziert. Wer sich damit arrangieren kann, bekommt eine spannende Geschichte, die Potenzial für Interpretationen in Deutsch-Leistungskursen besitzt. Karl May - bekannt für seine seitenlangen Landschaftsabschweifungen - würde der Mund offen stehen, wenn er die Bandwurmsätze zu schier endlosen Gedankengängen lesen würde. Auf 450 Seiten sind es insgesamt nur 7 Kapitel!
Aber ich bleibe dabei, das Buch ist neben der genannten Schwierigkeiten auch besonders gut. Die Geschichte spricht in konkreter Form ein dramatisches Einzelschicksal an und ist gleichzeitig eine Metapher für die Gesellschaft an sich, für die Stimmung in Kriegsgebieten und für die zeitweise Ohnmacht des weiblichen Geschlechts.
Im Gesamten konnte das Buch mich aber nicht überzeugen und lässt mich mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Tolle Themenauswahl, gute Wortwahl und geeignete Szenerie auf der einen Seite und ein extravaganter Schreibstil mit einer kühlen Namenlosigkeit und komplizierten Wortgebilden sorgen auf der anderen Seite für wenig Lesefreude. Ich bin mir aber sicher, dass das mindestens die Hälfte der Leser genau andersherum sehen wird. Ich bin gespannt auf die Resonanzen in Deutschland.