Die Kraft der Fantasie
Noch selten habe ich ein so außerordentlich schön gestaltetes Jugendbuch gesehen! Das Cover mit seinem ausgestanzten Fenster und Ausblick auf eine nächtliche, mondbeschienene Festung, dazu die schimmernde, ...
Noch selten habe ich ein so außerordentlich schön gestaltetes Jugendbuch gesehen! Das Cover mit seinem ausgestanzten Fenster und Ausblick auf eine nächtliche, mondbeschienene Festung, dazu die schimmernde, silberne Schrift – wunderbar! Im Inneren ist die Kombination von schwarzen Seiten mit weißer Schrift und umgekehrt und Kapitelanfänge, die sich wie ein schwarzer Samtvorhang öffnen, ein zusätzlich schönes und zum Text perfekt passendes Gestaltungselement. Besonders ausgewählte Zitate großer Menschen als Wegweiser in die einzelnen Buchteile hinein runden die gelungene Gesamtgestaltung des Buches ab und sind ein weiteres Markenzeichen für den Coppenrath Verlag, dem liebevolle Buchgestaltungen spürbar am Herzen liegen.
Die erzählte Geschichte hat viel Geheimnisvolles. Merle und Felix nehmen zusammen mit anderen Kindern an einem Theater-Workshop teil, und zwar in den Mauern einer alten Burg, in der Unheimliches in der Luft liegt. Schon allein der alte Burggraf wirkt angsteinflößend. Das Gemälde einer jungen Frau, deren Augen den Betrachter zu verfolgen scheinen, beeindruckt Merle zutiefst. Und was geschieht da Seltsames mit den Kindern, wenn sie in die gefundenen Kostüme schlüpfen und sich das Theaterstück sozusagen von selbst und von den Kindern nicht steuerbar spielt?
Anna Herzog erzählt detailreich, ohne zu langweilen, Geheimnisse andeutend, ohne sie zu offenbaren. Ihr Schreibstil ist sehr lebendig, mit feinem Humor gewürzt und mit großer Einfühlung für das, was Kinder bewegt und fasziniert. Die Geschichte ist vergnüglich und schaurig in einem, immer aber spannend erzählt. Zwar verliert sich die Handlung zwischendrin ein wenig in sich selbst, verirrt sich quasi in den Erzählebenen, wobei ich allerdings gerne wüsste, ob Kinder dies beim Lesen auch so empfinden. Vermutlich liegt es eher an der Verkopftheit von Erwachsenen, die sich nicht so leicht unkritisch in fantasievolle Umwege fallen lassen können. Im Gesamten betrachtet bleibt für mich als Fazit, dass die Autorin es auf großartige Weise schafft, zwischen Realität und fantastischem Geschehen zu spielen. In überraschenden Übergängen wechselt sie die Welten und man liest und ist sowohl im Hier und Jetzt beim Kartoffelsuppe-Essen als auch zwei Buchseiten weiter in einer Anderswelt, in der Orte und Zeiten durchlässig werden. Besser kann man gar nicht die Botschaft verpacken, dass „Theater ein Stück Traum zum Mitnehmen“ ist und welch immense Kraft die Fantasie besitzt.
Für mich sowohl gestalterisch als auch inhaltlich ein Ausnahme-Buch!