Ein Roman mit zwei Gesichtern
Selten hat mich ein Buch so zwiegespalten zurückgelassen wie „Die Frau des Zeitreisenden“. Mir fällt es
tatsächlich sehr schwer zu sagen, was ich von dem Buch halte. Nur eines ist für mich klar: Der Roman ...
Selten hat mich ein Buch so zwiegespalten zurückgelassen wie „Die Frau des Zeitreisenden“. Mir fällt es
tatsächlich sehr schwer zu sagen, was ich von dem Buch halte. Nur eines ist für mich klar: Der Roman wird maßlos überschätzt. Gleich von Anfang an wird deutlich: dieses Buch ist ein Liebesroman. Er handelt von der Beziehung zwischen Clare und Henry. Das Besondere daran: Henry ist ein Zeitreisender. Weil er an einem Gendefekt leidet, verstellt sich immer wieder seine innere Uhr und er landet irgendwo in der Vergangenheit oder der Zukunft. Als Clare Henry zum ersten Mal sieht, ist sie sechs Jahre alt. In Henrys Gegenwart sind da beide aber schon lange verheiratet. Die Zeitreisen sind es, die Clares und Henrys Beziehung so spannend, aber auch so schwierig machen. Von den Kritikern wurde der Roman ja zur „schönsten Liebegeschichte des Jahrhunderts“ gekürt. Diese Meinung kann ich nicht teilen. Mir ist wirklich schleierhaft, was an Clares und Henrys Liebe so speziell und außergewöhnlich sein soll. Eigentlich fand ich die Beziehung der beiden zum Teil sogar etwas gruselig. Es macht nämlich fast den Anschein, als ob der erwachsene Henry die sehr junge Clare geradezu manipuliert hat, damit sie ihn später so sehr liebt und nur noch ihn haben will. Generell fand ich Henrys Besuche bei seiner Frau, als sie noch ein Kind war, etwas befremdlich und die Szenen hinterließen bei mir eher ein unbehagliches Gefühl. Clare wirkt teilweise extrem frühreif. Hätte das Buch ein Mann geschrieben, man könnte da geradewegs auf Gedanken kommen.
Der Schreibstil ist zwar sehr flüssig und leicht, dennoch musste ich mich manchmal regelrecht zum weiterlesen zwingen. Mehrheitlich besteht der Roman nämlich aus langatmigen Beschreibungen von Alltagsabläufen und Wiederholungen. Emotionen bleiben nur zu oft auf der Strecke. Bis zum letzten Viertel des Romans habe ich sehr oft mit dem Gedanken gespielt, das Buch einfach abzubrechen. Doch dann kam alles anders, denn plötzlich hat der Roman all das, was ich vorher vermisst habe. Die Geschichte wird auf einmal sehr spannend: Henry findet einen Arzt, der ihn heilen will. Wir leiden mit Clare, die so gerne Kinder haben möchte und wir ahnen, dass da noch etwas kommen wird, etwas Dunkles, Düsteres. Plötzlich sind da auch die gefühlvollen, aufwühlenden und sehnsüchtigen Passagen, auf die man die ganze Zeit gewartet hat. Und es wird deutlich, um was es in dem Roman gehen soll: die eine richtige, bedingungslose Liebe. Schließlich hat mich das Buch sogar zu Tränen gerührt.