Eine Sports Romance ohne Sport, die bis auf den feinfühligen Umgang mit häuslicher Gewalt nichts Neues zu bieten hat
Worum geht’s?
Anton Petrov, der Kapitän der Eishockey-Mannschaft „Chicago Devils“, ist eigentlich ein „Good Guy“, wie er im Buche steht. Anders als seine Mannschaftskameraden steht er nicht gern im Mittelpunkt ...
Worum geht’s?
Anton Petrov, der Kapitän der Eishockey-Mannschaft „Chicago Devils“, ist eigentlich ein „Good Guy“, wie er im Buche steht. Anders als seine Mannschaftskameraden steht er nicht gern im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. Er lebt diszipliniert und vor allem enthaltsam, denn sein Herz gehört Mia, der Frau seines Mannschaftskameraden. Doch seine Zurückhaltung gerät ins Wanken, als er feststellen muss, dass Mia nicht nur unglücklich verheiratet ist, sondern zu allem Überfluss auch häusliche Gewalt erfährt. Von nun an kennt Anton nur noch ein Ziel: Mia die Kraft zu schenken, die sie braucht, um sich selbst aus dieser Ehe zu befreien und endlich glücklich zu sein.
Man mag es mir übel nehmen, dass ich in meiner Zusammenfassung der Handlung mehr verrate als der Klappentext. Mir persönlich ist es aber wichtig, auf das Vorkommen häuslicher Gewalt in körperlicher wie seelischer Form hinzuweisen, damit jeder selbst entscheiden kann, ob er sich dadurch getriggert fühlt oder nicht. Auf die Frage, ob der Autorin die Umsetzung dieses Themas gelungen ist, möchte ich später eingehen.
Die Charaktere:
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht der beiden Protagonisten erzählt, sodass die unterschiedlichen Persönlichkeiten zur Geltung kommen, wobei die handlungsrelevanten Szenen aber auffällig häufig aus Antons Sicht erzählt werden. Entgegen dem anhaltenden „Bad Boy“-Trend ist Anton ein sensibler Idealist, der sich zu seinem eigenen Leidwesen ausgerechnet in die Frau seines Mannschaftskameraden verliebt hat. Eigentlich hatte er sich geschworen, sich niemals dieser verbotenen Anziehung zu ihr hinzugeben. Doch dann trifft er sie eines Abends in einer Bar wieder und weiß, dass er nicht länger nur zusehen kann.
Denn Mia, die sonst so selbstbewusst durchs Leben ging, ist nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Ihre Ehe hat sich zum absoluten Albtraum entwickelt und Mia kämpft sich Stück für Stück zurück in ihre Unabhängigkeit. Das verlangt ihr im Laufe der Handlung viel Kraft ab, die sie bei Anton findet. Er erkennt ihre traumatischen Erfahrungen, die aus physischer wie psychischer Misshandlung bestehen und hilft ihr – zunächst nur als Freund – damit umzugehen. Was die sich anbahnende Liebesbeziehung angeht, war es wirklich erfrischend, dass Anton seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt, um Mia zu helfen. Dadurch kommt die Annäherung ohne unnötige Konflikte aus und sorgt für einen flüssigen, reibungslosen Handlungsablauf. Andererseits ist es genau das, was ich irgendwie vermisst habe – ist ein Streit nicht auch eine Chance, sich gemeinsam weiterzuentwickeln?
Aber genau da liegt das Problem: insgesamt sind die Charaktere von Anfang an stereotyp angelegt. Wie sollte sich Anton, der makellose, harmoniebedürftige „Good Guy“, denn weiterentwickeln, wenn es in seinem Leben keine Ecken und Kanten gibt? Mias Entwicklung ist leider auch relativ früh absehbar, auf Überraschungen wird vollständig verzichtet. Ein kleiner Twist, den die Autorin bereits zu Beginn der zweiten Hälfte verpulvert, hätte meiner Meinung nach auch nichts Neues zur Handlung beigetragen.
Sehr positiv sind mir hingegen die liebenswerten Nebenfiguren in Erinnerung geblieben. Sei es Antons pflegebedürftiger „Onkel“ Dix, der hinter seiner rauen Fassade ein butterweiches Herz verbirgt, oder Anita, Mias alleinerziehende Mitbewohnerin – die Nebenfiguren sorgen für die Abwechslung, die ich bei den Protagonisten vermisse. Mit ihnen habe ich gelacht, gebangt und getrauert – neben ihnen wirkte die vordergründige Liebesbeziehung beinahe langweilig.
Die Handlung:
Prinzipiell weiß man bereits durch den Klappentext, dass unter diesen Voraussetzungen Ärger vorprogrammiert ist. Mias Ehemann ist gleichzeitig Antons Mannschaftskamerad, die Rivalität gießt zusätzliches Öl ins Feuer und sorgt für Spannung auch abseits des Spielfelds.
Apropos Spielfeld: der Roman wird zwar als „Sports Romance“ beworben, kann aber auch von einem absoluten Sportmuffel gelesen werden. Grund dafür ist schlichtweg der Umstand, dass der Sport kaum Erwähnung findet. Bis auf ein, zwei kurze Spielszenen, die noch dazu ohne verwirrende Fachtermini auskommen, ist von Sportfeeling nichts zu spüren. Das ist vermutlich Geschmackssache, ich habe das Spielgeschehen und vor allem die Interaktion zwischen Anton und seinem Bruder Alexei auf dem Feld vermisst.
Aber der Sport ist nicht das Einzige, was in diesem Roman zu kurz kommt. Die Liebesgeschichte, die durch die Abwesenheit der sportlichen Komponente eigentlich besonders überzeugen sollte, entwickelt sich für meinen Geschmack viel zu schnell. Dass Mia nach ihren verstörenden Erfahrungen nach ca. 50% des Buches bereits von Liebe spricht, obwohl Anton nicht mehr getan hat als für sie da zu sein, kam mir doch etwas unrealistisch vor. Zwar besteht von Anfang an eine gewisse Anziehungskraft zwischen den beiden, allerdings hatte ich erwartet, dass Mia etwas mehr Zeit braucht, um sich vollständig auf eine neue Beziehung einzulassen.
Neben der Liebesgeschichte werden immer wieder Nebenschauplätze eröffnet, die die liebenswerten Nebenfiguren in den Mittelpunkt gerückt und das Potenzial gehabt hätten, die Handlung immer wieder aufzulockern. Leider werden diese Handlungsstränge sofort wieder fallen gelassen, was die fehlende Charakterentwicklung der Protagonisten noch mehr in den Fokus rückt.
Der Schreibstil:
Über den Schreibstil kann meiner Meinung nach nur gesagt werden, dass er sich ins Gesamtbild einfügt und den Erwartungen entspricht, die man an einen derart angelegten Roman haben könnte: keine prosaische Meisterleistung, dafür aber ohne lange oder verschachtelte Sätze und daher umso leichter zu lesen. Im Rahmen der Leserunde wurde die unreife Übersetzung der Liebesszenen kritisiert, was aber momentan ein allgemeines Problem der Lokalisierung von Romanen mit Liebes-/Erotikszenen zu sein scheint. Mich hat es nicht wirklich gestört, es sollte aber trotzdem erwähnt werden, da es doch die grundsätzliche Wahrnehmung der Szenen stark beeinflussen kann.
Das Besondere:
Die unverblümte, realistische Beschreibung körperlicher und seelischer Krankheiten gelingt der Autorin unerwartet gut. Bemerkenswert ist auch der feinfühlige Umgang Antons mit Mias Erlebnissen und dem Vorschlag, ihr Trauma im Rahmen einer Therapie zu bewältigen. Er signalisiert damit, dass er ihr vielleicht zuhören kann, aber nur ein Arzt oder Psychologe ihr beibringen kann, auf Dauer damit umzugehen. Ich denke, dass es der Autorin gelungen ist, betroffenen Frauen mehr Mut zu machen und offen über häusliche Gewalt zu sprechen. Allein diese Sensibilität hat dafür sorgen können, dass ich über einige Punkte hinwegsehen konnte, die ich sonst als störend empfunden hätte. Toll, dass psychische Krankheiten auch in Romanen nicht länger als Tabuthema behandelt werden!
Fazit:
Der Auftakt der „Chicago Devils“-Reihe bietet eine Liebesgeschichte, deren Konstellation erfrischend anders beginnt, sich aber nicht wie erwartet weiterentwickelt. Wäre da nicht der sensible Umgang mit psychischen Erkrankungen und häuslicher Gewalt, würden die Vernachlässigung der Nebencharaktere, das nicht ausgeschöpfte Potenzial einiger Handlungsstränge und das Fehlen der Sportszenen eher negativ ins Gewicht fallen. Insgesamt wird ein Vielleser von Liebesromanen nicht viel Neues entdecken, wer aber einen Roman mit nicht allzu viel Tiefe für Zwischendurch sucht, könnte hier voll auf seine Kosten kommen. Vielen Dank an den LYX-Verlag und die Lesejury, die mir die Teilnahme an einer Vorableserunde ermöglicht haben!