Gesellschaftskritischer Landhauskrimi mit einer Prise Humor
Ein gar ungleiches Paar sind sie, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray, verwöhnte und ob des Überflusses, in dem sie lebt, oft gelangweilte Tochter aus gutem Hause, und ihre nur wenig ältere Zofe ...
Ein gar ungleiches Paar sind sie, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray, verwöhnte und ob des Überflusses, in dem sie lebt, oft gelangweilte Tochter aus gutem Hause, und ihre nur wenig ältere Zofe Maud Gulliver, trotz oder gerade wegen ihres niedrigen gesellschaftlichen Standes die weitaus lebenserfahrenere und wohl auch, so bekommt man während des Lesens den Eindruck, klügere der beiden jungen Frauen. Nur leider war es auch noch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts so gut wie unmöglich, dem gesellschaftlichen Stand, in den hinein man das Pech hatte geboren zu werden, zu entfliehen. Da nutzen der Zofe Maud ihre beachtlichen kognitiven Kapazitäten rein gar nichts!
Nun, wenigstens hat sie es mit ihrer Ladyschaft unter den damaligen Umständen und trotz ihrer, wie der Leser andeutungsweise immer wieder erfährt, zweifelhaften und im Dunkeln gehaltenen Vergangenheit gar nicht schlecht getroffen, denn das mit einem silbernen Löffel im Munde geborene Fräulein hat, bei aller Oberflächlichkeit und dem gewiss auch vorhandenen Standesdünkel, ein gutes Herz und behandelt ihre Zofe fair, lässt ihr gewisse Eigenmächtigkeiten durchgehen, die sich gemäß der strengen Etikette für die Dienstboten nicht gehören und durchaus Grund für eine Entlassung sein können.
Wären die sozialen Barrieren nicht, derer sich beide bewusst sind – Christabel und Maud könnten die besten Freundinnen sein! Dass das nie geschehen wird, weiß zumindest Maud ganz genau, so sehr es der Leser auch bedauern mag, wenn er mitverfolgt, wie Herrschaft und Zofe miteinander agieren, wie die eine auf die andere hört, ja wie sie aufeinander aufpassen, einander ernst nehmen. Ja aber – das ist doch genau der Stoff, aus dem Freundinnen gemacht sind, mag man denken! Nun, die ebenso strengen wie absurden gesellschaftlichen Regeln, die unsinnigen Klassenschranken machen eine Freundschaft auf Augenhöhe unmöglich – punktum!
Und über besagte Regeln erfährt man viel, sehr viel in C.L.Potters Cosy Crime Mystery; allenthalben wird man darauf gestoßen, stolpert man darüber, bleibt hängen, empört sich, ist gar manches Mal fassungslos über die Macht der ohne eigenes Verdienst edel Geborenen, denen die nach Upstairs gehören, und die Ohnmacht derjenigen, die unglücklicherweise auf der Schattenseite des Lebens das Licht der Welt erblickt haben. Denen also, die Downstairs zu Hause sind – in der hier zu besprechenden Geschichte die Dienstboten eines privilegierten adligen Haushaltes -, deren Reich sich eben im Untergeschoss des herrschaftlichen Gemäuers befand und von deren Leben die der Muse und dem Vergnügen nachgehenden Edlen im restlichen Teil des Anwesens in der Regel kaum etwas wussten, sich aber auch nicht daran interessiert zeigten.
Lady Christabel nun wird, damit die Geschichte endlich beginnen kann, von Maud dazu überredet, die Wochenendeinladung der Willmingtons, derer von Aylesgrave, anzunehmen, um auf andere Gedanken zu kommen, denn es sieht ganz danach aus, dass die große, leider nicht standesgemäße Liebe der jungen Lady zu denen gehört, die den Untergang der Titanic nicht überlebt haben. Alles ist besser, so meint die resolute Maud, als seine Tage jammernd und klagend im Bett zu verbringen – auch wieder so ein Luxus, dem sich Downstairs nicht hingeben kann, wiewohl deren Sorgen um nichts geringer sind als diejenigen, die sich Upstairs zu haben einbildet...
Aber ist das Landgut der Willmingtons denn wirklich die rechte Ablenkung? Letztere, ebenso wie ihre erlauchten Gäste, sind so langweilig und nichtssagend, so überwältigend vom Standesdünkel geplagt wie die Mowgrays, Christabels eigene Familie! Nur haben sie noch zusätzlich ein besonders abscheuliches Exemplar der Gattung Mensch aufzuweisen, nämlich den jüngsten Sohn Lucian, für den Anstand und Moral Fremdwörter sind, der bei der Verfolgung seiner Interessen keinerlei Rücksicht kennt und im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Dass er sehr bald nach Christabels Ankunft selbst zu einer wird, scheint nur recht und billig zu sein!
Aber, so denkt sich das vornehme Fräulein, der Gerechtigkeit muss Genüge getan und der Mörder des jungen Unholds muss gefunden werden. Gerüstet mit dem detektivischen Wissen, das sich Christabel, eine leidenschaftliche Leserin von Kriminalromanen, durch deren Lektüre angeeignet hat, beginnt sie nun, auf eigene Faust zu ermitteln, unterstützt von ihrer nicht minder lesebegeisterten Zofe. Die eine Upstairs, die andere Downstairs! Und was sie dabei an peinlichen Scheußlichkeiten zu Tage fördern, oben wie unten, gäbe reichlich brisanten Stoff, den die Presse, wüsste sie denn von dem Mord, den die Angehörigen nur zu gerne als Verkettung unglücklicher Umstände deklarieren möchten, genüsslich zelebrieren würde... Doch die beiden wackeren, oft genug ins Fettnäpfchen tretenden, Amateurdetektivinnen – und als solche typisch für einen Cosy Crime – lassen nicht locker und stoßen im Zuge ihrer ebenso amateurhaften Nachforschungen, bei denen weder Upstairs noch Downstairs eine gute Figur abgeben, schließlich auf die wahren Umstände des Todes des gar nicht feinen Herrn Lucian....
„Tod eines Lords“ kann man in der Tat getrost als Cosy Crime Mystery einstufen, als Wohlfühlkrimi, Landhauskrimi oder gar Häkelkrimi, wie diese Unterart des Kriminalromans, dessen sich schon Dame Agatha Christie in ihren zwölf Miss Marple – Geschichten bedient hat, liebevoll, aber auch ein wenig abwertend bezeichnet wird. Der Handlungsort ist eben ein Landhaus, mitten in einem beschaulichen Fleckchen Erde, die Ermittlerinnen sind nicht vom Fach sondern halten sich vielmehr aus anderen Gründen für prädestiniert, ein Verbrechen aufzuklären. Reichlich schrullig sind sie, genauso wie grenzenlos neugierig und sehr vertraut mit den übrigen Akteuren, die zum Kreis der Verdächtigen gehören. Der Mord selber geschieht nicht vor den Augen des Lesers – eine Wohltat, wenn man sich durch die Art von Krimis respektive Thrillern gequält hat, die heutzutage in Massen auf dem Markt eintrudeln und einem unersättlichen Publikum, das sich angeblich bei den abschreckendsten, widerwärtigsten und grausamsten Szenen am besten entspannen kann, zum Fraß vorgeworfen werden. Eine gehörige Portion Gesellschaftskritik an der Upper, Middle, Upper Middle und Lower Class ist nicht zu übersehen – auch dieses eines der vielen Kennzeichen eines Cosy Crime!
Jedoch scheint mir der Ausgang wieder ein wenig wegzuführen von einem typischen Landhauskrimi, der nicht nur mit der Aufklärung des Kriminalfalles sondern eben auch mit derm Sieg der Gerechtigkeit enden sollte. Ein Täter, der davonkommt, ist nicht üblich, und jeder soll seine gerechte Bestrafung bekommen, nachdem das gemütliche Rätselraten vorbei ist! Ein wenig sehr schwarz-weiß kommt mir dieses Kriterium vor – und mit Genugtuung lese ich, dass Lady Christabel und die Zofe Maud ihre eigenen Vorstellungen davon haben, wie mit dem Täter verfahren werden sollte und zum Glück mit Friede, Freude, Eierkuchen wenig im Sinn haben. Pfiffig nenne ich ihre Entscheidung, befriedigend und differenziert – und wären da nicht die vielen Längen gewesen, in denen die Handlung stillsteht zugunsten mir persönlich viel zu ausufernder Beschreibungen der Räumlichkeiten, in denen sich unsere Protagonistinnen bewegen, und zu guter Letzt noch die an den Haaren herbeigezogene Schlussidee der Autorin – dieser Krimi hätte der perfekte Cosy Crime sein können! Dennoch – auf die beiden geplanten Folgebände um die ungleichen Amateurdetektivinnen darf man neugierig sein! Entwicklungspotential haben sie allemal!