Sowohl die Protagonistin, die in dem hier zu besprechenden Kriminalroman bereits in ihrem vierten Fall ermittelt, besser gesagt, an offiziellen Ermittlungen beteiligt ist, als auch der Handlungsort waren mir zu Beginn der Lektüre unbekannt. Weder war ich je im westlichsten Land Europas noch verspürte ich das Verlangen, dort meinen Urlaub zu verbringen, was sich im Übrigen auch nach beendeter Lektüre nicht entscheidend geändert hat.
In eine Serie erst spät einzusteigen, ist erfahrungsgemäß nicht immer einfach und selten eine gute Idee, also ging ich mit einer gewissen Skepsis zu Werke – unbegründet, wie sich bald herausstellte, denn weder braucht man Vorwissen zu den handelnden Personen, noch baut der Roman handlungsmäßig auf den Vorgängerbänden auf. Nicht in dem Maße jedenfalls, dass man das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben, dass wichtige Versatzstücke fehlen! Recht schnell kann man sich ein Bild machen von Anabela Silva, die weite Teile der Geschichte auch aus der eigenen Perspektive erzählt, nämlich immer dann, wenn sie selbst direkt am Geschehen beteiligt ist.
Als Tochter portugiesischer Gastarbeiter in Hannover aufgewachsen und eigentlich Journalistin, verdient sie sich im Land ihrer Väter ihren Lebensunterhalt als Dolmetscherin, häufiger noch als Übersetzerin, kümmert sich gemeinsam mit der überforderten Mutter um den demenzkranken Vater, was während der gesamten Handlung ein nicht unwichtiges Thema ist, und ist ansonsten mit dem attraktiven Kommissar Joao verbandelt, wobei diese Beziehung vorerst hintanstehen muss. Gelegentlich, wie auch in „Stürmische Algarve“, werden Anabelas Dienste von der Polizei in Anspruch genommen, denn sie hat den unschätzbaren Vorteil so vieler Gastarbeiterkinder, sie beherrscht nämlich zwei Muttersprachen. Damit kommt sie an der vom Tourismus geprägten und von eben diesem Tourismus lebenden Algarve ganz gut über die Runden, was man von vielen ihrer Landsleute nicht behaupten kann, die in der Regel mehreren Jobs nachgehen, um ihre Familien versorgen zu können.
Die Autorin erspart sie uns nicht, die Schattenseiten des Urlaubsparadieses am Atlantik, der krasse Gegensatz zu den Reichen und – mit viel Nachhelfen! - Schönen aus dem wohlhabenderen Europa, selbstredend auch aus China und Russland, die sich in Luxusresorts tummeln und die grenzenlose freie Zeit, über die sie verfügen, mit kostspieligen Beschäftigungen totschlagen müssen, wenn sie nicht gerade danach trachten, ihren Reichtum zu vermehren. Ein Miteinander der Einheimischen und der Touristen gibt es nicht, erstere sind ausschließlich dazu da, letzteren ihr Luxusleben noch behaglicher zu machen!
So meine erste Begegnung mit der gepriesenen, ob ihrer Schönheit sicher zu Recht bewunderten Algarve! Es gefällt mir, dass die Autorin es nicht bei der bezaubernden Kulisse belässt und sich ansonsten weitgehend auf den Kriminalfall, besser gesagt, die Fälle, wie sich zeigen wird, konzentriert, sondern immer wieder Einblicke gibt in die harten Realitäten der Einheimischen, die die reichen Müßiggänger genauso wenig sehen, wie die allermeisten Pauschalurlauber, wahrscheinlich auch nicht sehen wollen oder sich schlicht und einfach nicht dafür interessieren. Lokalkolorit soll sich doch bitteschön nur auf die farbenfrohen Fassaden allenthalben beziehen, ein tieferer Blick könnte ja die Urlaubsfreude trüben!
Jenen tieferen Blick gewährt lobenswerterweise die Autorin Carolina Conrad in ihrem Portugalkrimi, und noch dazu wartet sie mit einer mysteriösen, spannenden, überraschenden Geschichte auf, die, hätte Anabela Silva nicht von Anfang an, also bereits nachdem sie die Leiche einer österreichischen Camper-Touristin auffindet – ihrerseits nicht (mehr) zu den reichen Tagedieben gehörend, aber nichtsdestoweniger von der eigenen Geldgier zu Fall gebracht -, ein ungutes Gefühl gehabt, das sie nicht ignoriert sondern dem sie nachgeht, vielleicht niemals aufgedeckt oder gar aufgeklärt worden wäre. Und was da allmählich zu Tage tritt, ist wirklich haarsträubend, zeugt von einem Zynismus, der seinesgleichen sucht, um an dieser Stelle nur so viel über die Handlung zu verraten...
Auch die Art und Weise, wie die Ermittler zu Werke gehen, wie sie Hand in Hand arbeiten, gemeinsam mit der sich angenehm zurückhaltenden und der Polizei zu keinem Zeitpunkt überschlau ins Handwerk pfuschenden Amateurin Anabela, wie jeder seinen Teil, sein Wissen, seine Informationen beiträgt, um Licht in die rätselhaften Todesfälle zu bringen und um schließlich Schlimmeres zu verhüten, sprach mich überaus an. Engagiert und dennoch unaufgeregt, stets professionell packten sie ihre Nachforschungen an, auch wenn zwischen ihnen nicht immer Eintracht herrscht, auch wenn sie Verdächtige verhören müssen, denen sie am liebsten an die Kehle gegangen wären. Sogar dann, wenn ihnen der unfähige, irrationale und nicht sehr helle Staaatsanwalt, genannt 'der Mönch' und ganz gewiss keine Zierde seines Berufsstandes, vielmehr eine wahre Plage, unsinnige Anordnungen erteilt oder seine Mitarbeit verweigert.
Und da spreche einer von dem unbezähmbaren, impulsiven, bei jeder Gelegenheit übersprudelnden südländischen Temperament! Nun, die Mitwirkenden im Algarve-Krimi haben sich sehr wohl unter Kontrolle, vielleicht aber sind sie auch gelassen genug, um hinzunehmen, was sie nicht ändern können, um zu wissen, wann sich die Aufregung lohnt und wann es vernünftiger und nervenschonender ist, die Ohren auf Durchzug zu stellen....
Fazit: „Stürmische Algarve“ ist ein Krimi, den ich gerne gelesen habe, der alles hat, was zu einem guten Kriminalroman gehört: eine plausible, spannend erzählte Geschichte, die sich durchaus genauso auch im wahren Leben hätte zutragen können, sehr glaubhafte Charaktere, deren Interaktionen für die nötige Ablenkung, gleichzeitig auch Vielfalt sorgen, eine ansprechende, ja spektakuläre Kulisse, die zum Glück keine bloße Staffage ist, sondern durch die Einblicke in die mannigfachen Probleme, die sie verbirgt, dem Roman eine besondere, eine realistische Note verleiht, Authentizität also – für mich immer ein Kriterium für einen guten Roman, gleich welchen Genres. Dieser vierte Band der Algarve-Reihe war somit gewiss nicht mein letzter!