„...Man kann Musik mit einem Festkleid vergleichen. Es braucht ein ordentliches Tuch, das ist die Harmonie, die dem Ganzen ein solides Gerüst gibt. Die Melodie ist so etwas wie die Fasson des Kleides. […] Doch dann gibt es noch die Stickereien und Applikationen. Wohl dosiert strahlen sie Eleganz aus...“
Der Ich – Erzähler hat in Lübeck ein altes Haus geerbt. Dort findet er eine Flügel. Der Erbauer des Flügels, der sich Silbermann nennt, verrät ihm, dass er so lange in die Vergangenheit reisen kann, wie er auf dem Flügel ein Musikstück spielt. Er möchte das ausprobieren und plant akribisch seine Reise. Die Musik von Bach schickt ihn ins Jahr 1705. Damals war der 20jährige Johann Sebastian Bach zu Besuch beim Kirchenmusiker Buxtehude.
Der Autor hat einen beeindruckenden historischen Roman geschrieben. Der gehobene Schriftstil macht das Buch zu etwas Besonderen. Davon zeugt schon das Eingangszitat.
Neben all den historischen Betrachtungen ziehen sich zwei Schwerpunkte wie ein roter Faden durch die Geschichte. Das ist zum einen die Musik, zum anderen das Thema Zeit.
Der Ich-Erzähler verrät uns seinen Namen nicht. Für seinen Abstecher ins historische Lübeck wählt er sich den Namen eines englischen Gartenbauers.
Sehr detailliert wird Lübeck beschrieben. An der Seite des Protagonisten besuche ich einen Kupferstecher, die Ratsapotheke und die Schule. Dabei lerne ich nicht nur die Örtlichkeiten kennen, sondern erfahre eine Menge über das Handwerk oder damalige Schulgesetze.
Beeindruckend sind die bildhaften Beschreibungen der Musik. Das folgende Zitat zeigt das:
„...Dann setzte eine kraftvolle Fuge ein, ein Vierergespräch unter Freunden, die anscheinend über das Wesen der Zeit philosophierten...“
Mit Anna Buxtehude hat der Autor eine junge Frau kreiert, die sich bisher nach ihren Möglichkeiten entfalten konnte. Sie verfügt über ein reichhaltiges Wissen. Jetzt aber ist sie an einem Wendepunkt ihres Lebens angekommen. Ihr Vater will sie verheiraten.
Zu den stilistischen Höhepunkten gehören die fein ausgearbeiteten Gespräche. Wenn sich der Ich-Erzähler mit Bach und Schiefferdecker habe Musik austauscht, kommen die unterschiedlichen Standpunkte und Ansichten zum Tragen. Bei Bach klingt das so:
„...Nun, die Musik ist die ausdrucksvollste Form, Gottes Zeit zu erleben. Sie ist die hohe Kunst des Augenblicks, denn in jeder Sekunde unseres Erdendaseins überflutet uns ein Strom an Empfindungen und Gedanken...“
Gekonnt hat der Autor weitere Geschichten in seine Geschichte integriert. Das sind zum einen zwei Sagen, zum anderen kleine Erzählungen, die Anna geschrieben hat und die ein Schlaglicht auf das Innenleben und die Gedankenwelt der jungen Frau werfen.
Das Buch lebt von einer inneren Spannung, die sich unter anderen daraus ergibt, dass der Ich – Erzähler sich jedes Wort gut überlegen muss. Hinzu kommen die historischen Gegebenheiten. Der Krieg, der sich der Stadt nähert, sorgt bald dafür, dass Fremde argwöhnisch betrachtet werden. Außerdem hat Silbermann dem Ich – Erzähler deutlich gemacht, wann eine Rückkehr für ihn unmöglich wird.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es verknüpft historische Ereignisse mit den Blick auf verschiedene Musikstile der Zeit.