Grandioser Plot
Kurz vor Weihnachten verschwindet in dem kleinen Alpenörtchen Avechot die 16-jährige Anna Lou Kastner. Den Fall aufklären soll der umstrittene, römische Kommissar Vogel.
Wochen später irrt Vogel mit blutigem ...
Kurz vor Weihnachten verschwindet in dem kleinen Alpenörtchen Avechot die 16-jährige Anna Lou Kastner. Den Fall aufklären soll der umstrittene, römische Kommissar Vogel.
Wochen später irrt Vogel mit blutigem Hemd durchs Dorf und wird aufgegriffen. Er behauptet, er hätte einen Unfall gehabt, doch das Blut stammt nicht von ihm. Da er als Zeuge nicht glaubwürdig erscheint, wird der Psychiater Dr. Flores hinzugezogen.
Doch was Vogel bei der Befragung erzählt, ist ungeheuerlich.
Mehr verrate ich nicht von dem Klappentext, denn wer das Buch mit all seinen Raffinessen noch genießen will, sollte ihn nicht vorher lesen.
Ich habe mich an anderer Stelle beklagt, dass mir viele der hochgelobten 0-8-15-Thriller zu konstruiert erscheinen und nur der reißerischen Spannung wegen noch grausamere und blutigere Serienmorde en détail erfinden. Dass es anders geht, hat mir der italienische Großmeister Carrisi einmal mehr bewiesen. Bevor im März sein neues Buch »Das Haus der Stimmen« beim Atrium Verlag erscheint, wollte ich gern »Der Nebelmann« lesen, den ich bereits als großartige Verfilmung mit Jean Reno gesehen habe. Dank meines Goldfisch-Gedächtnisses erinnerte ich mich nur noch an die düstere Stimmung und das überraschende Ende. Und genau das fand ich auch in diesem Buch wieder. Carrisis Thriller setzt nicht auf gnadenlose Spannung, sondern baut ihn langsam auf und präsentiert uns ausgefeilte Charaktere, denen allen etwas Fragwürdiges anhaftet. Bis er uns am Ende einige Wendungen präsentiert, die ihresgleichen suchen.
Vogel ist ein wirklich unsympathischer Ermittler. Er ist mehr auf sein Aussehen bedacht, als auf die Lösung des Falls. Seine Methoden mehr als unmoralisch. Während er sich im Blitzlichtgewitter der Medien suhlt, bekommt die Staatsanwältin immer mehr den Eindruck, dass seine Indizien an den Haaren herbeigezogen sind. Schlimmer noch, er hat sie bereits geschickt an die Presse durchsickern lassen. Und das ist das Kernthema des Thrillers. Was geschieht in den Köpfen der Menschen, wenn sich die Medien auf den vermeintlich Schuldigen stürzen?
»Die Leute wollen keine Gerechtigkeit, sie wollen nur einen Schuldigen.« 183
Zu Beginn ist die Anteilnahme der Menschen hoch, man leidet mit den Eltern, die ihre Tochter verloren haben. Doch schon bald vermarkten die Medien das Leid und die Suche nach dem Täter. Das eigentliche Opfer tritt immer mehr in den Hintergrund und eines Tages hat man vergessen, dass das Mädchen Anna Lou Kastner hieß. Egal, ob die Schuld eines Verdächtigen bewiesen ist oder nicht, die Öffentlichkeit hat ihn – dank der Medien – bereits verurteilt.
Wer intelligente Thriller mit Nervenkitzel sucht, sollte Carrisi lesen, der meines Erachtens in Deutschland viel zu wenig Aufmerksamkeit verdient.
Für mich ist Carrisi der Houdini unter den Thrillerautoren – glaub nicht alles, was du siehst, zweifel an allem, was du liest.
»Die dümmste Sünde des Teufels ist die Eitelkeit.« 269
Dieses Zitat wird sich am Ende noch bestätigen, aber ganz anders als man sicher war, es zu wissen.