Ein grandioser Abschluss
Mit „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ geht die große neapolitanische Saga von Elena Ferrante in die letzte Runde. Die Freundinnen Elena und Lila sind getrennte Wege gegangen und während Lila in Neapel ...
Mit „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ geht die große neapolitanische Saga von Elena Ferrante in die letzte Runde. Die Freundinnen Elena und Lila sind getrennte Wege gegangen und während Lila in Neapel blieb, lebt Elena in Florenz. Sie hat ihren Mann für ihre Jugendliebe Nino verlassen und muss damit kämpfen, dass sie als berufstätige Frau das Gefühl hat, ihre Töchter zu vernachlässigen. Das Leben mit Nino ist schwierig und von Lügen geprägt, dennoch verschlägt es Elena zurück zu ihm und nach Neapel und eben auch zu ihrer Freundin Lila, die inzwischen ein eigenes Unternehmen hat und sich gegen die mafiösen Strukturen im Rione behauptet. So nah beieinander beginnen die beiden sich wieder aneinander zu reiben, wie es schon ihr Leben lang der Fall war – auch wenn sie im Alter mehr Parallelen aufweisen, als ihnen vielleicht lieb ist.
Es ist der letzte Teil über das Leben der beiden neapolitanischen Freundinnen und der Autorin ist ein wirklich fulminanter und alles umfassender Abschluss gelungen. Die beiden sind gestandene Frauen und während der Lektüre der Bücher ist man mit ihnen gewachsen. Nach wie vor überzeugt Ferrante durch detaillierte Orts – und Personenbeschreibungen, die einem die Geschichte so besonders nahe bringen. Wie ein Film im Kopf läuft die Elenas Geschichte beim Lesen ab und berührt einen so auf eine Weise, wie es nicht viele Geschichten können. Die beiden Frauen sind stark, jede auf ihre Art, und gleichzeitig doch mit Ecken und Kanten, teilweise abgeschliffen vom Leben, das sie geführt haben. Als Leser fühlt man mit ihnen und besonders als Leserin kann man Elenas Gefühle und Gedanken gut nachvollziehen, sie ist hin- und hergerissen zwischen Familie und Beruf, der Erfüllung der eigenen Träume und der Verantwortung für ihre Töchter. Sie versucht das Beste daraus zu machen, doch keiner ist fehlerlos und so scheitert auch Elena häufig an ihren Vorstellungen einer idealen modernen Frau. Lila ist nach wie vor ihr Gegenpol, von dieser Spannung leben die Romane ebenso wie von den Beschreibungen des Lebens im Rione, das in diesem Band wieder viel Raum einnimmt und so den perfekten Bogen zum ersten Band „Meine geniale Freundin“ schlägt.
Es ist schwer, bei einer so großartigen Reihe das Niveau zu halten und gleichzeitig noch den perfekten Schlusspunkt zu finden, der den Lesern Spielraum für eigene Gedanken lässt, aber dennoch den großen Bogen schlägt und die Geschichte zusammenführt. Elena Ferrante ist dieses Meisterstück mit „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ auf bemerkenswerte Weise gelungen. Es bleibt nur das bittere Gefühl, dass man sich von Elena und Lila jetzt verabschieden muss – zumindest bis man wieder mit Band eins anfängt, um alles noch einmal neu zu entdecken.