Eine Frau will eine Manufaktur eröffnen - darf sie das?
Nein, sagt Mr. Weston: „Dasselbe gilt für den Markt. Er sollte sich auf jene beschränken, die seine Gesetze verstehen. Das schließt all jene aus, die nicht in der Lage sind über den eigenen Tellerrand ...
Nein, sagt Mr. Weston: „Dasselbe gilt für den Markt. Er sollte sich auf jene beschränken, die seine Gesetze verstehen. Das schließt all jene aus, die nicht in der Lage sind über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und das gilt (…) im Besonderen für Frauen.“ (S.48, E-book) Und Mr. Fildes legt nach: „‘Eine Frau kann kein Handwerk erlernen!‘ giftete er. ‚Ihre Fähigkeiten sind naturgemäß anders gelagert als die eines Mannes. Es liegt in ihrem Wesen, zu bewahren, statt zu erwerben. Sie braucht einen Mann, der sie führt. Es fehlt ihr am nötigen Weitblick.‘“ (S.147) Nun denn…
Ellen C. Flynn nimmt uns in ihrem Debutroman „Der Tuchfuchs“ mit nach Manchester in das 18. Jahrhundert. Die oben zitierten Herren vertreten besonders harsch die gesellschaftliche Meinung, aber Gillian Pollett, eine junge Witwe, hat die Webkunst von ihrem Vater gelernt und lässt sich von solchen Vorurteilen nicht beirren. Sie überzeugt letztendlich Aidan Towell, sie zu unterstützen, wobei er auch – gemäßigter – seine Ressentiments hat…
Es gelingt Gillian, ihre Manufaktur zu eröffnen, aber der Tuchhandel in Manchester gleicht im Jahr 1773 einem Haifischbecken: Gerüchte, Konkurrenz, Intrigen, (fast) jeder versucht, dem anderen zu schaden, (fast) jeder kämpft gegen jeden… und John Weston hasst Aidan, weil er sich hochgearbeitet hat und in das Tuchgeschäft eingestiegen ist („Sie wurden geboren, um zu dienen. Ich wurde geboren, um Entscheidungen zu treffen.“ S. 62) Und alles nimmt seinen Lauf…
Es ist sehr spannend zu lesen und da die drei Hauptprotagonisten (Gillian, Aidan und John Weston) in ihrem eigenen Erzählstrang in der Ich-Form berichten, kennen wir ihre Ideen, Gedanken, Sorgen, Hoffnungen, Wünsche und Träume und entsteht eine fast „persönliche“ Beziehung. In den Dialogen findet sich teilweise ein großartiger Wortwitz wieder, so dass ich mehrmals schmunzeln musste. Mir hat auch gut gefallen, dass die Charaktere nicht nur klischeehaft „schwarz“ oder „weiß“ waren, sondern durchaus „Macken“ hatten (manchmal merkten sie es selbst nicht, aber wir Leser*innen!). Aber auch Nebencharaktere waren von der Autorin liebevoll ausgearbeitet, z.B. Agnes, Aidans pragmatische Haushälterin, habe ich ins Herz geschlossen – ebenso wie „Dutch“, Aidans rechte Hand! Der Spannungsbogen ist durchgängig hoch und durch die verschiedenen Ich-Erzähler auch abwechslungsreich!
Manchmal stockt aber leider kurzfristig der Lesefluss, z.B. „Doch in dem gepolsterten Sessel war das unmöglich. Der war gemacht, um darin zu flanieren.“ (S. 196) Hmh, denkt man sich, flanieren… und schaut nach: umherschlendern, umherschweifen – im Sessel? Mir hat auch ein Glossar gefehlt, z.B. könnten die Schwierigkeiten beim Färben etwas ausführlicher beschrieben werden, z.B. warum es so schwierig war, Wolle in grün zu färben… Ich bin relativ sicher in Geschichte, aber zur politischen Situation in England kurz vor der Boston Tea Party 1773 musste ich doch mehrmals passen – auch das könnte in einem Glossar näher erläutert werden! Und wenn ich schon gerade bei „Wünsch Dir was“ bin: im E-Book wäre eine Kapitelübersicht von großem Vorteil…
Aber nun wirklich genug „gemeckert“: insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, die Handlung und die Charaktere waren vielseitig ausgedacht, es war spannend und ich habe wieder einmal „nebenbei“ einiges gelernt – und damit haben sich meine Erwartungen an einen historischen Roman erfüllt! Deshalb kann ich das Buch - mit den erwähnten kleinen Einschränkungen - auch wärmstens weiterempfehlen!