Cover-Bild Liebe Mama, ich lebe noch!
22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 208
  • Ersterscheinung: 06.03.2019
  • ISBN: 9783218011617
Ernst Gelegs

Liebe Mama, ich lebe noch!

Die Briefe des Frontsoldaten Leonhard Wohlschläger
Als ORF-Korrespondent Ernst Gelegs den Nachlass von „Tante Hansi“ sichtet, stößt er auf einen unscheinbaren Karton. Darin enthalten: fast 100 Briefe von Leonhard Wohlschläger, Sohn des renommierten Architekten und Wiener Stadtpolitikers Jakob Wohlschläger, und Bruder von Tante Hansi. Schnell wird klar: Die Briefe, datiert zwischen 1933 und 1944, die meisten adressiert an seine Mutter, sind ein spannendes und detailliertes Zeitdokument. Detektivisch folgt Ernst Gelegs der bewegtenFamiliengeschichte der Wohlschlägers, in deren Zentrum „Hallodri“ Leonhard steht. Sie führt über die Jahrhundertwende in Wien über den Ersten Weltkrieg bis hin zum „Anschluss“ Österreichs und in die Wirren des Zweiten Weltkriegs. Anhand von Leonhards privater Korrespondenz sowie der Feldpost eröffnet sich ein Paradox: Auf der einen Seite spricht hier ein junger, lebenslustiger Sohn, Bruder und Ehemann, auf der anderen Seite erlebt er als Soldat mit klarem Blick das Kriegsgeschehen an der Front. Einfühlsam balanciert Gelegs im Spannungsfeld zwischen Privatheit und den Zeitläuften der Weltgeschichte.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.03.2019

Informativ, hält aber nicht ganz, was es verspricht

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Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich dieses Buch lesen sollte, denn ich habe schon viele Soldatenbriefe gelesen und oft haben sie mich emotional sehr beschäftigt. Bei diesem Buch kommt noch dazu, daß ...

Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich dieses Buch lesen sollte, denn ich habe schon viele Soldatenbriefe gelesen und oft haben sie mich emotional sehr beschäftigt. Bei diesem Buch kommt noch dazu, daß einige der Briefe von der Ostfront sind, an der die Soldaten Entsetzliches durchgemacht haben. Dann siegte aber die Neugier auf den direkten Blick auf das Kriegsgeschehen und Einbettung der Briefe in die Familiengeschichte des Briefeschreibers Leonhard Wohlschläger. Die Furcht wegen der zu starken emotionalen Berührung hätte ich nicht haben müssen. Es haben mich tatsächlich bisher kaum Soldatenbriefe so ungerührt gelassen wie diese hier. Höchstens Ärger über Leonhard mußte ich manchmal unterdrücken. Dazu später mehr.

Das Buch ist, wie stets bei diesem Verlag, ausgesprochen hochwertig und liebevoll ausgestattet. Es ist eine Freude, es in der Hand zu halten. Die Briefe sind in Schreibmaschinenschrift abgedruckt und setzen sich so sehr angenehm vom restlichen Text ab, es sind auch einige Abbildungen enthalten.

Zu Anfang des Buches erhalten wir Informationen über die Auffindung der Briefe durch den Autor und einige Informationen zur Familie Leonhards. Diese Informationen sind unterhaltsam, denn Leonhards Vater war ein in Wien zu Beginn des letzten Jahrhunderts bekannter Architekt, der später harte Zeiten erlebte. Dies ist lebhaft erzählt und mit einigen geschichtlichen und lokalen Informationen angereichert. Leider ist der Text immer wieder sehr subjektiv gefärbt. So wird die erste Ehefrau des Architekten, die er mit vier Kindern für eine andere Frau verließ und irgendwann finanziell nicht mehr unterstützte, mehrfach als „hasserfüllte Anna“ bezeichnet, was unangemessen und in einem Sachbuch unprofessionell ist. Auch des Autors Abneigung für Leonhard - durchaus nachvollziehbar - kommt immer wieder durch und liest sich in einem Sachbuch unangenehm, abgesehen davon, daß der Autor so dem Leser die Möglichkeit nimmt, sich aufgrund neutraler Fakten selbst ein Bild zu machen. Dieser Mangel an Objektivität scheint auch später immer wieder durch.

Leonhards Briefe waren für mich weniger interessant als der Begleittext. Das liegt daran, daß sie sich im Laufe der Jahre kaum ändern. Leonhard hat sich recht gemütlich hinter der Front eingerichtet, führt den ganzen Krieg über mehr oder weniger die gleichen Aufgaben aus und schreibt deshalb auch immer mehr oder weniger das Gleiche. Im Vergleich zu anderen Briefen von der Ostfront sind Leonhards Briefe ziemlich inhaltsarm und berichten kaum Wissenswertes vom Kriegsgeschehen. Während in Stalingrad unzählige Männer leiden, hungern, die Hölle durchleben und ihre mir aus anderen Büchern/Webseiten bekannten Briefe von unglaublicher Intensität sind, erlebt Leonhard eine Art „Ostfront light“. - An einer Stelle des Begleittextes wird Leonhards Reaktion auf die SS-Verbrechen im Osten erwähnt, aber dieser Brief ist seltsamerweise nicht abgedruckt, dabei wäre das eine interessante Abwechslung zu seinen anderen Briefen und zudem eine wichtige Information gewesen, da es kaum diesbezügliche briefliche Äußerungen von Soldaten zu diesem Thema gibt. Daß er diese Äußerungen in einem Brief gemacht hat, kann der Leser leider ohnehin nicht sicher wissen, ich habe es mir aus den Umständen zusammengereimt. Der Autor verzichtet nämlich durchweg auf Quellenangaben, was ich in einem Sachbuch noch nie erlebt habe und sehr störend fand. Lediglich am Ende des Buches findet sich eine Quellenliste mit mageren sieben Quellen, die einzelnen Aussagen im Buch sind aber nie belegt.

Dieses Ärgernis ist insbesondere deshalb so schade, weil der Begleittext fast durchweg gut geschrieben und informativ ist. Ich habe hier einige neue Fakten erfahren und mir gefiel es, wie diese berichtet, wie Zusammenhänge erklärt wurden. Das liest sich leicht und angenehm. Die Begleitinformationen passen hervorragend zu den Briefen, liefern manchmal wichtige Hintergründe zu den Briefen, stellen manchmal die Gegensätze zu anderen Schicksalen dar. Insgesamt erhalten Leser hier eine facettenreiche kondensierte Darstellung des Krieges an der Front und in der Heimat. Nun sind natürlich auch die Briefe selbst nicht durchweg uninteressant. Zum Organisatorischen, zum Leben direkt hinter der Front, zur Ausbildung und anderen Punkten erfährt man durchaus einige lesenswerte Dinge. Auch Leonhards Gedanken, so unerfreulich sie sind, bieten einen aussagekräftigen Eindruck. So liefert das Buch im Gesamten durchaus gute Lektüre, die nur leider durch die o.g. Mängel häufiger beeinträchtigt wird. Insofern sind die hier vergebenen vier Sterne auch eher knapp erreicht.

Veröffentlicht am 02.05.2019

Rezension zu Ernst Gelegs "Liebe Mama, ich lebe noch!"

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ZUM INHALT

Ernst Gelegs fand die hier (teilweise) veröffentlichten Briefe des Soldaten Leonhard Wohlschläger im Nachlass dessen Schwester Johanna Wohlschläger, einer Bekannten seiner Eltern.

Leonhard ...

ZUM INHALT

Ernst Gelegs fand die hier (teilweise) veröffentlichten Briefe des Soldaten Leonhard Wohlschläger im Nachlass dessen Schwester Johanna Wohlschläger, einer Bekannten seiner Eltern.

Leonhard war der Sohn des seinerzeit bekannten österreichischen Architekten Jakob Wohlschläger, der u.a. den "Mariahilfer Zentralpalast" (ehem. "Warenhaus Stafa") in Wien entwarf. Johanna und Leonhard waren Jakobs Kinder aus zweiter Ehe, er hatte für ihre Mutter seine erste Frau und seine fünf Kinder verlassen. Jakob Wohlschläger war gut betucht, doch nach einer beruflichen Niederlage lebte die Familie in eher bescheidenen Verhältnissen. Leonhard störte dies jedoch wenig, denn er war ein Lebemann und besorgte sich durch Tricksereien und Betrügereien stets das nötige Kleingeld, um seinen exklusiven Lebensstil pflegen zu können. Einen Beruf übte er nicht aus.

Leonhard geht nicht widerwillig in den Militärdienst, denn er verspricht sich hiervon durchaus auch Vorteile. Er heiratet noch schnell, damit er alle finanziellen Vorteile eines Soldaten nutzen kann. Als Soldat lässt er sich zum Automechaniker und Fahrer ausbilden und meldet sich für Verwaltungstätigkeiten, um so dem harten Fronteinsatz weitgehendst entgehen zu können.

Gelegs weiß vor dem Fund der Briefe rein gar nichts über Leonhard Wohlschläger. Es liegen ihm knapp 100 Briefe und Karten vor, anhand derer er in diesem Buch versucht, das Leben des jungen Soldaten zu rekonstruieren.

MEINE MEINUNG

Ich habe bereits viele Bücher über den Zweiten Weltkrieg gelesen, die meisten davon Erlebnisberichte von Zeitzeugen. Dies ist jedoch mein erstes Buch mit Soldatenbriefen.

Jedes Zeugnis aus der Vergangenheit ist wichtig und sollte für die Nachwelt erhalten bleiben. Bei diesem Buch jedoch bin ich nicht sicher, ob seine Publikation so nötig gewesen wäre. Die Inhalte der Briefe sind sehr belanglos. Dies ist teilweise der damaligen Zensur geschuldet, aber auch - wie ich meine - dem nicht gerade sympathischen Charakter des Protagonisten.

Selten war mir jemand so unsympathisch. Er nutzt seine Auslandseinsätze vor allem dazu, mit ausländischen Waren zu hehlen, seine weiblichen Verwandten mit Lebensmitteln und Luxusartikeln zu versorgen bzw. diese mit ihnen auszutauschen. Er sieht die Einsätze als Möglichkeit, kostenlos die Welt zu bereisen, und in keinem seiner Briefe habe ich etwas wie Mitleid für seine an der Front kämpfenden Kameraden, den besetzten, ausgehungerten Einheimischen oder anderen Kriegsopfern herauslesen können. Im Gegenteil, er genießt es, wenn er Untergebene herumkommandieren kann, und er schreibt sehr abfällig über die Einheimischen.

An dieser Stelle möchte ich ein paar Auszüge aus seinen Briefen einstreuen:

"Kann auch sein, dass ich anderswo hinkomme, aber keine Ahnung. Irgendwo, vielleicht lande ich noch im Orient. Dann kaufe ich eben statt Schuhen wieder Kaffee oder Teppiche. Jedenfalls, wird ja auch bald Zeit, von hier wegzukommen, jetzt kenne ich schon den ganzen Westen auswendig, und hier gibt's ja auch nichts mehr zu holen."

"Als Obergefreiter habe ich schon ein bisserl was zu reden, lasse mich da von den Rekruten sicher nicht übervorteilen. Ja, jetzt dreht sich der Spieß, jetzt kann ich die 'Schnauzer' austeilen, so wie es die früher mit mir gemacht haben. Ja, das steht mir zu, wie man so schön sagt beim Kommiss, und was mir nur irgendwie 'zusteht', kannst dich darauf verlassen, das hole ich mir! Ich führe ein ganz schönes Leben."

"Ja, man erlebt schon was. Letztens hatten wir so zur Volksbelustigung einen Partisanen aufgehängt. Der baumelt nun schon 14 Tage, der Hals wird immer länger, bin bloß neugierig, wie lange der's noch aushält."

"Im Grunde genommen bin ich also zufrieden, es geht mir gut, habe zu essen und zu rauchen, auch zu saufen, bloß geistig wird man blöd. Alles wie Robinson Crusoe, äußerst primitiv. (...) Natürlich habe ich stille Verehrerinnen. Milch, Butter etc. wird immer dankend getauscht gegen Chlaba. Aber dann raus mit dem Läusegesindel, mit dem stinkigen (...)"

Doch meist geht es in seinen Briefen eher um Belangloses und um Aufzählungen von Waren, die er besorgt hat oder die die Empfängerin für ihn besorgen soll. Er übt meist angenehme Tätigkeiten aus wie Chauffeursdienste für höhergestellte Nazis oder Büroarbeiten. Während an der Ostfront die Kameraden fallen und die Bevölkerung ausgehungert wird, sind seine größten Sorgen, sich gutes Essen und Alkohol zu besorgen, die Wunschlisten von Frau, Mutter und Schwester zu erfüllen und regelmäßig befördert zu werden.Wie er öfter erwähnt, mutet für ihn alles etwas an wie ein Karl May-Abenteuer.

Zwischen den einzelnen, auf Dauer sich wiederholenden und somit teils sehr langweiligen Briefen, füttert Gelegs den Leser mit ein bisschen Geschichte, was hilfreich war, um die Zusammenhänge zu verstehen. Sein Schreibstil ist kurzweilig, aber das reißt es nicht mehr raus. Zudem sind die angegebenen Quellen doch sehr dürftig.

Zudem stellt Gelegs Behauptungen über Leonhard auf, die ich nicht nachvollziehen konnte. So schreibt er z. B., dass Leonhard dieses oder jenes zugesetzt oder entsetzt hätte. Falls dem so war, ist dies aus den hier veröffentlichten Briefe nicht ersichtlich. Leonhard wirkt stets mitleidslos und egoistisch. Entweder hat der Autor gerade die interessanten Briefe nicht gedruckt oder er interpretiert etwas hinein, was ich nicht sehen konnte. Ansonsten hat man aber auch bei den Ausführungen des Autors das Gefühl, dass ihm Leonhard nicht sonderlich sympathisch ist. Vielleicht hätte er hier etwas neutraler bleiben sollen, auch wenn ich es nachvollziehen kann.

Alles in Allem konnte mich "Liebe Mama, ich lebe noch!" nicht wirklich berühren, ich habe mich eigentlich meist über Leonhards Charakter geärgert und fand die Briefe auf Dauer sehr langweilig. Es gibt deutlich bessere und interessantere Berichte über den Zweiten Weltkrieg. Ich möchte das Buch dennoch nicht mit weniger als drei Sternen bewerten, da ich die Thematik nach wie vor wichtig finde und denke, man sollte alle Zeitzeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen.