Der Roman beginnt mit dem Besuch eines Kriminalbeamten bei der kroatischen Einwandererfamilie Simovic im schwedischen Malmö. Der Kommissar ist auf der Suche nach Daniel, dem Sohn der Familie, der verdächtigt wird, auf irgendeine Weise verwickelt zu sein in das Verschwinden der jungen Studentin Linnea, das von deren Lebensgefährten angezeigt worden war. Bei Lydia Simovic, aus deren Erzählperspektive der Leser anschließend eingeführt wird in die komplizierte und deprimierende Geschichte ihrer Familie, läuten sämtliche Alarmglocken! Ihr Bruder, dem sie sich stets besonders verbunden gefühlt hatte, ist kein unbeschriebenes Blatt, wurde schon als 13jähriger straffällig und hatte danach eigentlich keine echte Chance mehr auf Rehabilitation, obwohl er, so erfahren wir von Lydia, sich inzwischen losgesagt hat von der kriminellen Szene und versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen. Doch einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen bedeutet ganz offensichtlich auch im liberalen Schweden einen unauslöschlichen Makel und macht einen bloßen Verdacht im Handumdrehen zur Gewissheit, worüber sich die desillusionierte Lydia völlig im Klaren ist! Wenn jemand den Bruder reinwaschen kann von den schwerwiegenden Anschuldigungen, die sich zusehends verdichten, dann, so meint sie, aus Erfahrung äußerst misstrauisch der Polizei gegenüber, ist sie das. Allzumal sie meint, Daniel etwas schuldig zu sein, war doch sie der Auslöser dafür, dass er als Jugendlicher, beinahe noch ein Kind, ins Visier von Polizei und Jugendamt geriet....
Eine so hektische und planlose, wie verbissene Suche beginnt, in deren Verlauf der Leser einen traurigen Einblick erhält nicht nur in den Zerfall einer mit großen Hoffnungen im sozialen Wunderland Schweden angekommenen Familie, sondern sich auch der Mühsal bewusst wird, mit der die Familie Fuß zu fassen versucht in einem fremden Land, und der Diskriminationen, denen sie allenthalben begegnet. Es bleibt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Familie Simovic da keine Ausnahme bildet, sondern für die große Masse der Immigranten steht, was einen vielsagenden Blick zulässt auf unser aller Umgang mit dem Fremden, das uns im eigenen Land begegnet, egal ob dieses nun Deutschland ist oder Schweden oder irgendwo sonst auf der Welt. Es scheint keine Rolle zu spielen!
Doch die Geschichte verfolgt man beileibe nicht nur aus Lydias Perspektive, sondern auch aus der des Bruders selbst, der inzwischen aufgegriffen wurde und, jede Auskunft verweigernd, in Untersuchungshaft sitzt – und schließlich auch, nachdem der Roman, der so stark begonnen hatte, bereits in Bedeutungslosigkeit, Nichtigkeit und Langeweile versandet ist, aus der Sicht der titelgebenden Person.
Während Lydia von Trauer, Einsamkeit, Verlorensein und Sprachlosigkeit nach dem allzu frühen Tod der Mutter, die Herz und Seele der Simovics war, erzählt und der Leser schnell begreift, wieso Daniel, der jeden Halt verloren hatte, sich mit den falschen Freunden einlassen konnte, führt dieser selbst zunächst die Geschichte fort, berichtet er, zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her gleitend, über die traumatische Inobhutnahme, das Herausnehmen aus der eigenen Familie nach einer Körperverletzung, die er aber nie begangen hatte. Erschüttert liest man, dass er ein willfähriges Opfer war als Sohn von Zuwanderern, deren Familienoberhaupt gar noch arbeitslos und in Depressionen versunken war, und dass die Polizei sich, der Täter war ja vermeintlich gefunden, in keiner Weise für die Wahrheit interessierte. Und er erzählt gleichzeitig von seiner Untersuchungshaft, von dem, was sie mit ihm macht, obschon er überzeugt ist, wenn er sich nur ausschweigt, schon bald wegen Mangels an Beweisen in die Freiheit entlassen zu werden. Doch hat er sich gründlich verrechnet und seine Resistenz beginnt zu bröckeln. Bevor dies aber soweit ist, ertönt plötzlich, zu meiner Verblüffung, die Stimme der Vermissten höchstpersönlich aus dem Off! Und von da an wird die Geschichte zu einem einzigen Ärgernis!
Sicher, was diese nie dem Kindesalter erwachsene Linnea auf ihre dröge, einfältige Art zu der Handlung beizutragen hat, klärt manches auf, ist aber gleichzeitig ein vollständiger Bruch mit der anfangs intensiven und überaus realistischen Geschichte, die vielversprechend erschien und von der ich erwartet hatte, dass sie weitergeführt, den Roman tragen würde. Aber nichts da! Der Erzählfaden bricht einfach ab, lässt den Leser genauso einsam und ratlos zurück, wie es der Tod der Mutter bei ihrer Familie getan hatte. Stränge werden nicht weitergeführt, über die weitere Entwicklung der Familienmitglieder bleibt man im Unklaren, sich abzeichnende Konturen werden nebulös und verwischen ganz. Dafür erfährt man allerhand über das weder spannende noch interessante Seelenleben und die selbst produzierten Probleme der unreifen Linnea, die von einer unglaublichen Naivität und Manipulierbarkeit ist. Wie sie es je auf eine Universität geschafft hat, bleibt mir ein Rätsel! Spätestens, als die Autorin der Figur, die für das ganze Schlamassel verantwortlich ist, aus mir unbegreiflichen Gründen das Wort erteilte, verflacht die so interessante wie bedrückende Geschichte bis hin zum Nichts, um dann in ein Ende zu münden, über das man erstaunt die Augenbrauen hochzuziehen versucht ist. Sie zu analysieren lohnt der Mühe nicht, tiefer zu blicken auch nicht, denn eine Tiefe ist nach dem ersten Drittel schlicht nicht vorhanden – und war womöglich von Beginn an nur ein Trugschluss?
Zurück bleiben Ratlosigkeit und Unwillen ob dieses fragmentarischen Romans, ob der vertanen Chance, die sich hoffnungsvoll anbahnende, sozialkritische Geschichte einer Einwandererfamilie am Beispiel der Simovics aus Kroatien zu erzählen, konsequent und glaubwürdig und ohne das Geholpere und Gestolpere, in das sich die hochgelobte schwedische Autorin schließlich verloren hat. Insgesamt ein enttäuschendes Werk, fürwahr!