Ruth geht ihren Weg
„...Die Freiheit war nicht über das Wasser zu erreichen. Sie lag versteckt zwischen zwei Buchdeckeln, wenn sich Wörter zu etwas Ungeheuerlichem zusammenfügten und Gedanken entstehen ließen, die niemals ...
„...Die Freiheit war nicht über das Wasser zu erreichen. Sie lag versteckt zwischen zwei Buchdeckeln, wenn sich Wörter zu etwas Ungeheuerlichem zusammenfügten und Gedanken entstehen ließen, die niemals ausgesprochen werden durften...“
Ruth steht am Strand auf der Insel Usedom. Wir schreiben das Jahr 1965. Eine Flucht über die Ostsee kommt für sie nicht infrage.
Die Autorin hat eine spannende Geschichte geschrieben. Es ist der zweite Band einer Dilogie. Während im ersten Teil Marlies im Mittelpunkt stand, ist es nun Ruth, ihre kleine Schwester.
Das Buch wird in zwei Zeitebenen erzählt. Zum einen darf ich als Leser das Leben von Ruth verfolgen, zum anderen ringt in der Gegenwart Lena, Marlies` Enkelin, um ihre eigene berufliche und private Zukunft. Gleichzeitig begibt sie sich auf die Spuren von Ruth, zu der die Konatkte in den 60er Jahren abgebrochen sind.
Ruth wurde ein Studium der Naturwissenschaften verwehrt. Also bietet sie Anneliese, einer Mitschülerin, die zum Chemiestudium in Berlin zugelassen wurde, an, mit ihr zu lernen und sich so selbstständig den Stoff zu erarbeiten. Doch der Deal platzt. Ihre Bemühungen um eine Lehrstelle im medizinischen Bereich bleiben erfolglos. Deshalb schickt sie ihr Vater kurzerhand zu einem Bekannten auf die Insel Usedom, der sie zur Forstwirtin ausbilden soll.
Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Ruth ist eine sympathische Protagonistin. Sie stellt sich den Schwierigkeiten des Lebens und macht das Beste daraus. Dabei verliert sie ihr Ziel nie aus den Augen. Im Wald findet sie nicht nur zur Ruhe, sondern auch zu sich selbst.
„...Ihr Herz schlug langsamer, ihr Atem beruhigte sich und die grüblerischen Gedanken waren verschwunden. An diesem Ort grämte sie sich nicht mehr über die Vergangenheit...“
Marlies versucht Ruth in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das aber lehnt diese ab. Sie findet es nicht richtig, dass Menschen verletzt werden. die einem nahestehen. Der Graben zwischen beiden wird breiter.
In der Gegenwart recherchiert Lena im Internet. Sie findet nur einen Eintrag mit dem Namen ihrer Tante. Alles spricht dagegen, dass es sich dabei um die richtige Ruth handelt.
Es gibt eine Menge an Gesprächen, die in die Tiefe gehen. Das betrifft sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit. So erklärt Susanne ihrer Tochter Lena:
„...Das ist das Schwerste an der Elternschaft überhaupt: Man will das Beste. Aber was ist das Beste? Das weiß man erst im Nachhinein. Ein Kind zu erziehen, ist, als würde man Lottozahlen ankreuzen. Welche dann gezogen werden, kann niemand beeinflussen...“
Die Autorin versteht es, die Zeitverhältnisse gut wiederzugeben. In der Geschichte steckt eine permanente innere Spannung, die von äußeren Effekten und den unterschiedlichen Ansichten der Protagonisten beeinflusst wird.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen.