Die ersten weiblichen Polizistinnen
Die stumme Tänzerin, Helga Glaesener, gelesen von Christiane Marx, Lübbe Audio, 6 CDs 455 Min.
Hamburg 1928: Die Armut der Rezession prägt die Stadt mit Hunger, Arbeitslosigkeit und Inflation. Die junge ...
Die stumme Tänzerin, Helga Glaesener, gelesen von Christiane Marx, Lübbe Audio, 6 CDs 455 Min.
Hamburg 1928: Die Armut der Rezession prägt die Stadt mit Hunger, Arbeitslosigkeit und Inflation. Die junge Paula, Tochter eines reichen Fabrikanten, möchte aber nicht den ihr vorbezeichneten Weg einschlagen und reich heiraten. Nach ihrem Sekretärinnenkurs hat sie eine Anstellung gefunden und will auf eigenen Beinen stehen. Mit einem Kollegen besucht sie abends ein beliebtes Varieté in Erwartung der großen Freiheit, doch es ödet sie an. Als sie es verlässt, gelangt sie in eine Razzia und landet auf der Polizeiwache. Kurz entschlossen heuert sie dort bei der neugeschaffenen weiblichen Polizeieinheit als Sekretärin an. Als sie eines abends die Kommissarinnen zu einem grauenhaften Frauenmord auf einem Friedhof in St. Pauli begleitet, wird ihr Leben endlich aufregend! Aufmerksam beobachtet sie die Ermittlungen um sich herum und fragt unauffällig den Schutzpolizisten, der zuerst vor Ort war aus. Zuerst scheint alles auf eine Tat aus dem Rotlichtmilieu hinzudeuten, bis Paula feststellen muss, dass dieses gar nicht so weit entfernt ist, von ihrer eigenen Herkunft. Ein furchtbarer Verdacht keimt in ihr auf. Kann es wahr sein? Auf der Suche nach der Wahrheit riskiert sie alles.
Eine Frau bei der Mordkommission und sei es nur als Sekretärin, wie schockierend! Paulas Eltern sind in heller Aufregung und verbieten es ihr! Sie soll sofort kündigen! Aber sie ist volljährig und selbst in ihren Kreisen gibt es nicht viele unversehrte junge Männer. Paula bleibt und macht sich unentbehrlich, auch wenn sie mit ihrem Dickschädel nicht nur bei Kommissar Martin Broder aneckt, sondern auch Kommissarin Caro im Herrenanzug, die ihre Alleingänge nicht tolerieren kann und will. Es ist nicht nur unkollegial, sondern auch höchst gefährlich!
Hier werden ganz deutlich die Schattenseiten der schillernden Halbwelt aufgezeigt. Paula hatte schon zuvor keine romantischen Illusionen, als sie das Varieté besucht, aber nicht nur den grauenvollen Frauenmord findet sie abstoßend. Frauen als Waren, die von brutalen, gierigen Männer benutzt und ausgenutzt werden. Ausgeliefert den Gelüsten der Freier ebenso wie ihrer „Beschützer“. Doch Paula muss erkennen, dass ihre eigenen Kreise nicht wirklich besser sind, denn wer außer denen hat denn noch das Geld für solche Vergnügungen? Ihr Weltbild gerät ins Wanken, aber ihr Drang nach der Wahrheit ist stärker, auch stärker als ihre Angst, von ihrer Familie verstoßen zu werden. Was Paula bei ihren Ermittlungen alles mitansieht und anhört, lässt einen bisweilen verstehen, welche Bedenken die Eltern treiben. Es ist schon sehr unappetitlich, aber eben nicht nur für Frauen.
Christiane Marx spricht mit ihrer jungen lebendigen Stimme die unermüdlich nach der Wahrheit strebende Paula. Deren Unerschrockenheit ist dann doch nicht immer so unerschütterlich, wie sie meint. Man hört ihr das Zögern, ebenso an wie die Entschlossenheit, mit der sie ihrer jungen Heldin nicht nur Leben, sondern auch ihre Beharrlichkeit einhaucht. Kurzweilig begleitet ihre Stimme uns in diese Männerdomäne, die eigentlich für Frauen verschlossen bleiben will.
Neben den Mordfällen gibt es Einblicke in das Elend der Wirtschaftskrise, die Klassenunterschiede, die Vorbehalte gegenüber weiblicher Kompetenz, die Anfänge der Pathologie, aber auch die aufkeimenden nazionalistischen und nazionalsozialistischen Strömungen, denen mit menschenverachtenden Völkerschauen im Zoo der Weg geebnet wurde. In der guten alten Zeit, war bei weitem nicht alles gut...
Tatsächlich hat mich die Auflösung am Ende überrascht. Klar, ganz zum Schluß hat es sich abgezeichnet, aber bis dahin... Die Konsequenzen die Paula persönlich durch ihren Ermittlungserfolg zu spüren bekommt, sind zweischneidig. Einerseits hat sie einen Grund zu jubeln und stolz auf sich zu sein, andererseits, gibt es gute Gründe, warum sie den Erfolg nicht ganz genießen kann. Das macht das Ende etwas nachdenklich, aber dafür um so wahrhaftiger.