Feminina Assoluta!
Das kafkaeske kollektive Psychogramm einer dysfunktionalen Familie erstaunt und verblüfft bis zum überraschenden Ende!
Wer hier einen klassischen konventionellen Krimi erwartet, den muß ich leider enttäuschen, ...
Das kafkaeske kollektive Psychogramm einer dysfunktionalen Familie erstaunt und verblüfft bis zum überraschenden Ende!
Wer hier einen klassischen konventionellen Krimi erwartet, den muß ich leider enttäuschen, dann ist es nichts für sie oder ihn, falls "nur" das gewünscht ist. Es ist soviel mehr!
Überhaupt bin ich 2020 bass erstaunt, wieviele unkonventionelle, aber gute Bücher es im noch laufenden von österreichischen Autor / innen gibt. Sind es die Marillenknödel, die Wiener Luft, die Atmosphäre Salzburgs oder der leckere Steirer Käse, der die Grundlage für diesen tollen kollektiven Ausbruch an kreativer Energie triggert?
Irene Diwiak wurde 1991 in Graz geboren, studierte Komparatistik und veröffentlichte 2017 ihr Debüt Liebwies.
Dank ihrer Mutter lernt Christina endlich ihre Tante und deren Familie in Italien kennen.
Ihre Cousine Marietta Esposito will sich vermählen und sie, Christina, soll die Photographin sein.
Als sie ankommt, umschimmert und - waberte das kaum noch bewohnte Dorf Malvita und die Villa dieser Familie etwas Kafkaeskes. Das drückt sich sowohl in den Obskuritäten der Anrainer als auch der hochwohlgeborenen Espositos aus.
Ihre Cousins Elena, Marietta und Jordie, wie auch Tante Ada und Onkel Tonio sind nicht gerade überschäumend warmherzig. Wie fehl am Platz.
Dann entdeckt Christina die Leiche Blanc as, die vormals die "Knipserin" sein sollte. Warum wurde sie scheinbar ermordet? Um sie, Christina, aus einem noch unbekannten Grund dort hinzulotsen? Aber warum? Sie fühlt sich nicht willkommen. Oder steckt etwas ganz anderes, düsteres dahinter?
Jeder der Protagonisten hat einen Knacks weg und als Leser deckt man das alles nach und nach auf. Die inneren dynamischen Prozesse einer dysfunktionalen Familie, die potentiell viel destruktive Kraft freisetzen könnte. Kommt der oder die Verantwortliche für Blancas Tod überhaupt aus der Familie? Und war es reell Mord?
Es ist wirklich, als ob Christina das Tor zu Kafkas Dimension betreten habe und dort auf David Lynch, Therouxs Parker Jagoda und François Ozons acht Frauen trifft.
Das Ende wirft zweifellos Fragen auf, ist überraschend und wird nicht jedem munden, weil Fragen offenbleiben. Wie ich betonte, unkonventionell, bricht mit tradierten Konventionen. Der Abschluß ist interpretierbar, aber das sind "Mulholland Drive" und "Lost Highway" sowie "Eraserhead" ebenso. Das regt intellektuell an und läßt die Phantasie auf Hochtouren laufen.
Christina durchläuft eine faszinierende Genese und die Handlung ist nicht vorhersehbar. Sie wird ebenfalls Teil des kollektiven Psychogramm, ob sie will oder nicht.
Die Kapitel sind kurz, bündig und verdichtet geschrieben, substantiell aufgeladen. Eine unheimliche Atmosphäre im Geiste du Mauriers ummantelt den Plot, aber ohne, daß es in Horror mündet. Obwohl ... die Psyche des Menschen kann der größte Horror sein. Dazu bedarf es keiner Blutsauger oder Monster unter dem knarzenden Bett.
Differenziert ausgearbeitete Charaktere harmonieren mit dem italienischen Setting, das selbst seltsam lebendig wirkt und wie ein Armanigürtel fesseln ...