"[...] bis man so allein war wie der letzte Gedanke des letzten Menschen auf der Welt, lange nach dessen letzter Erinnerung.“"
(Kann Spoiler enthalten.)
Das Großbritannien der Zukunft ist kaum mehr mit dem unseren heutzutage zu vergleichen. Täglich wird der Himmel von dichtem, schwarzen Staub verdeckt, der von einer Maschine ...
(Kann Spoiler enthalten.)
Das Großbritannien der Zukunft ist kaum mehr mit dem unseren heutzutage zu vergleichen. Täglich wird der Himmel von dichtem, schwarzen Staub verdeckt, der von einer Maschine – der ‚Dark Canopy‘ – erzeugt wird. Diese Maschine wurde nach dem Ende des dritten Weltkrieges in Betrieb genommen, als die Precents, von Menschen gezüchtete Soldaten, als Sieger hervorgegangen waren. Seitdem haben sie die Herrschaft übernommen und die Menschen unterdrückt. Diese gezüchteten Krieger sind stark und furchtlos, ihr Umgang mit Menschen vom Hass erfüllt. Sie sind schneller, stärker und haben geschärfte Sinnesorgane. So können sie viel besser riechen und sehen als normale Menschen, so dass ihnen kaum etwas in ihrer Umgebung zu entgehen scheint. Und auch an sich scheinen diese Soldaten nur eine Schwachstelle zu haben: Nämlich das Sonnenlicht, welches auf ihrer Haut schlimme Verbrennungen auslöst. Dieser Schwäche versuchen sie mit Hilfe des dichten Staubes zu entgehen.
Die meisten Menschen leben zu dieser Zeit in den gesicherten Städten, stets den Percents untergeben und versucht, ein geregeltes Leben mit ihnen zu führen in ständiger Armut und Angst.
Und doch gibt es auch Menschen außerhalb. Menschen wie Joy, die 19-jährige Protagonistin dieses Romans, die Teil eines Rebellenclans ist, in dem sie nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verschwinden ihres Vaters mit ihrer Schwester untergekommen ist. Bei einem Auftrag für den Clan, einer sogenannten Tauschaktion, den sie mit ihrer Freundin Amber heimlich in der Stadt erledigen sollte, gerät sie jedoch in eine Falle, bei der Amber von den Percents gefangen genommen wird. Bei dem Versuch sie aus deren Hände zu befreien, wird sie jedoch ebenfalls festgenommen. Joy, die das Schicksal einer Soldatin innerhalb der Stadt annehmen muss, muss ab da täglich um ihr Überleben kämpfen, wobei sie Einblicke in die Welt der Percents erhält, die ihr selbst nicht für möglich erscheinen. Alles, was sie bis dahin gelernt hat, scheint nicht der Wahrheit zu entsprechen. Und als wäre das nicht schon genug, baut sie zudem immer mehr Vertrauen zu dem Percent Néel auf, der ihr bei ihrer Soldatenausbildung zugeteilt wurde.
Nichts in dieser Geschichte passiert ohne Grund. Alles passiert langsam und nachvollziehbar, nichts ist übereilt oder so, dass der Leser das Gefühl bekommt, irgendetwas verpasst zu haben. Auch die Veränderungen der verschiedenen Charaktere, das was sie durchleben und sie prägt, bekommt dank Benkau genug Zeit und Raum, sich entfalten zu können. Denn die Charaktere dieses Romans sind so einzigartig, wie sie wunderbar sind. Sie sind so unverständlich, wie sie nachvollziehbar sind. Im Großen und Ganzen sind sie einfach eins: Nämlich authentisch. Sie erinnern nicht gerade an Romanfiguren, an Helden und Bösewichte, wie es sie in jeder Geschichte gibt, sondern viel mehr scheinen sie Mensch zu sein. Sie machen Fehler, bereuen es und versuchen diese auszubessern. Sie gehen nicht immer nach dem, was richtig ist, sondern auch danach, was sie wollen. Nach ihrem eigenen Gewissen und ihrer eigenen Moral. Und diese ist bei jedem Charakter eine andere. Neél beispielsweise nimmt neben Joy den wichtigsten Teil der Geschichte ein. Er ist der Percent, der die Aufgabe bekommt, aus Joy eine wahre Soldatin zu machen. Anfangs merkt man, wie sehr es ihn ärgert, dass ausgerechnet er eine Frau zu unterrichten hatte. Immer wieder betont er, dass er mit ihr keine Chance hätte, dass sie niemals so gut wie ein Mann sein würde. Und doch so gewöhnt er sich an die Umstände, versucht das Beste aus ihnen zu machen und sieht sogar ein, dass es nicht nur ein Nachteil ist.
Neél ist kein Charakter, der sich jedem sofort öffnet. Ganz im Gegensatz zu Joy, die man von Anfang an einfach ins Herz schließen muss. Joy ist witzig, auf ihre eigene Art und Weise und nicht selten kommen recht ironische, teilweise sogar freche Sätze über ihre Lippen. Sie macht es einem unglaublich leicht, ihre Gefühle und Gedanken in ihrem Zwiespalt, was nun der Wahrheit und was einer Lüge entspricht, nachzuvollziehen, während Neél im Grunde bis zum Schluss unergründlich bleibt. Er fängt zwar an sich zu öffnen, ist bis zum Ende des Buches aber so, dass man nicht weiß, wer er nun wirklich ist. Wie er wirklich denkt. Eigentlich ist es recht einfach zu umschreiben: Er ist undurchschaubar. Trotzdem muss ich hier betonen, dass Neél mit Abstand einer meiner Lieblingscharaktere in diesem Buch ist. Gerade weil man bei ihm nicht immer weiß, was er als nächstes tut und was er für richtig oder angebracht befindet. Auch weil man nicht all seine Handlungen nachvollziehen kann. Wann immer er in die Handlung integriert ist, ist man selbst ahnungslos, was als nächstes geschieht.
„Dark Canopy“ ist das erste Jugendbuch der Autorin Jennifer Benkau, die mit eben diesem ihre neue Dystopie-Reihe einleitet. Die Welt, die sie beschreibt, ist schrecklich düster. Nicht nur durch den Staub, der den Menschen das Sonnenlicht nimmt, sondern auch durch die Hoffnungslosigkeit, die sich im Verlauf des Buches immer weiter auf Joy zu legen scheint. Während man Seite um Seite liest, scheint sich aber auch um einen herum eine ganz eigene, neue Welt zu entwickeln. Man stellt sich das Großbritannien der Zukunft vor, versucht sich die Umstände einzuprägen, die für die dortigen Menschen herrschen und bemerkt, dass man es doch nicht schafft. Obwohl es keineswegs unrealistisch wirkt, ist das ganze Thema rund um „Dark Canopy“ herum, schwer zu begreifen. Dabei ist das, was Jennifer Benkau beschreibt, nichts, was nicht schon heutzutage von Bedeutung ist. Im Gegenteil, im Grunde basieren all ihre Überlegungen und Anhaltspunkte auf der heutigen Forschung. Und wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich nicht, ob mir dieser Gedanke gefällt. Denn selbst unter der Betrachtung dass sie nur den Schlimmsten aller Fälle beschreibt, bleibt in mir, seit ich „Dark Canopy“ gelesen habe, ein merkwürdiges Gefühl, wann immer ich auf das Thema ‚Genforschung‘ stoße.
Nichtsdestotrotz ist es dieses Buch wert, gelesen zu werden. Denn obwohl es in das Dystopie-Feld fällt, ist es mit keinem mir bekannten Buch aus dieser Genre zu vergleichen. Es hat nichts von der berühmten „Panem“-Reihe oder der „Cassia und Ky“-Reihe, die schon seit einiger Zeit auf dem Markt sind und inzwischen als kleine Vorbilder und Aushängestücke der Dystopie-Genre gelten.
Es ist ein komplett neuer Gedankengang, den Benkau dort aufgreift. Eine neue, unbekannte Geschichte, die sie erzählt und die sie ganz bewusst um ihre zwei wunderbar ausgearbeiteten Charaktere Neél und Joy erbaut.