Wo sind die Kinder?
„...Sie lächelte, aber zugleich sammelte sich eine Träne in ihrem Auge. Aber diese wird fort gewaschen von den tausenden und abertausenden Tränen des Sees, die sie umfangen, als sie sich nach unten gleiten ...
„...Sie lächelte, aber zugleich sammelte sich eine Träne in ihrem Auge. Aber diese wird fort gewaschen von den tausenden und abertausenden Tränen des Sees, die sie umfangen, als sie sich nach unten gleiten lässt...“
Mit diesen Worten endet der Prolog des Buches. So poetisch kann ein Selbstmord beschrieben werden.
In Värmland in Schweden geht es straff auf den Winter zu. Kommissar Jacob Rhoden holt seine Tochter Siri von der Schule ab. Sie ist davon nicht begeistert.
Ihm bleibt aber nicht viel Zeit. Karla Asmussen hat ihre dreizehnjährige Tochter Linda als vermisst gemeldet. Zusammen mit Eva Wilhelmsson nimmt Jacob die Ermittlungen auf. Dann brennt das Wohnhaus eines älteren Paares ab. Schnell stellt sich heraus, dass dies kein Zufall, sondern exakt und detailliert geplant war. Als auch noch deren kleiner Enkelsohn verschwindet, hat die Polizei alle Hände voll zu tun.
Der Autor hat einen fesselnden Krimi geschrieben. Er zeigt einerseits die Düsternis, die den Krimis des Nordens meist eigen ist, zeichnet sich aber anderseits durch seine sehr ausgereifte Sprache aus.
Es ist für mich das erste Buch des Autors. Trotzdem hatte ich kein Problem, der Handlung zu folgen.
Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Jacob wurde aus Stockholm in den Norden versetzt. Der neue Fall fordert ihn Tag und Nacht. Sein Zwiespalt zwischen Pflicht und Familie wird ausgezeichnet herausgearbeitet. Er konstatiert:
"...Kriminelle warten nicht artig darauf, gefasst zu werden, bis man im Kreis der Familie fertig gegessen hatte..."
Damit kommt seine Frau schlecht zurecht. Außerdem wird Siri in der Schule gemobbt, weil sie aus der Großstadt kommt. Sie will aber keine Hilfe. Sie flüchtet sich in die Welt von Ronja Räubertochter und Tom Sawyer. Ihr Lieblingsvorleser ermahnt sie:
„...Doch denk immer daran: Die Welt der Bücher kann dir helfen, die Welt da draußen besser zu verstehen, aber sie kann sie nicht ersetzen...“
Als besonderes Highlight hat der Autor Auszüge aus einem Tagebuch in die Handlung eingeflochten. Sie sind zwar sehr poetisch, belegen aber, wie ein Kind nach und nach an dem Verhalten und Unverständnis der Erwachsenen zerbricht.
Die Ermittlungen dagegen ziehen sich hin. Jacobs Vorgesetzter ist wenig hilfreich. Dass er Druck macht, ist ja noch nachvollziehbar, seine abwertenden Äußerungen und seine Beleidigungen nicht mehr.
Sowohl die Betroffenen als auch die Verdächtigen blocken bei den Befragungen schnell ab. Sie sagen kein Wort zu viel. Mit einem sehr treffenden Metapher wird der Stand der Dinge wiedergegeben:
„...Er kam sich vor wie ein Schwimmer in einem See, über dem dichter Nebel aufgezogen war. Er schwamm irgendwohin, wo er das Ufer vermutete...“
Dann aber graben die Ermittler tief in der Vergangenheit. Jetzt ergeben sich konkrete Spuren.
Der Krimi hat mir ausgezeichnet gefallen. Der Autor hat eine besondere Einheit von Inhalt und Sprache geschaffen. Das gibt der Geschichte ein ganz eigenes Flair.