Eine unwahrscheinliche Freundschaft
Wenn die Autorin in ihren Anmerkungen zu dem hier zu besprechenden Buch mit dem ausführlichen und dadurch sehr hilfreichen Personenregister im Anhang schreibt, dass es eine echte Herausforderung war, einen ...
Wenn die Autorin in ihren Anmerkungen zu dem hier zu besprechenden Buch mit dem ausführlichen und dadurch sehr hilfreichen Personenregister im Anhang schreibt, dass es eine echte Herausforderung war, einen historischen Roman über Herzog Ulrich – bis zu seiner Firmung Eitel Heinrich – von Württemberg zu verfassen, so kann man sich dies nach der Lektüre nur allzu gut vorstellen! Zahlreiche Ereignisse von weitreichender Bedeutung fielen in Ulrichs Regierungszeit, an denen er direkt oder indirekt beteiligt war, die meisten der Kleinkriege und Scharmützel mit all ihren verheerenden Konsequenzen für die unterprivilegierte Bevölkerung, mit denen uns die Geschichte, meist recht ausführlich, konfrontiert, wurden von ihm höchstpersönlich angezettelt, waren die unvermeidliche Folge seines ausschweifenden Lebensstils und seiner egozentrischen Willkürherrschaft, während derer er sich aller Freiheiten bediente, die ihm als Herrscher über sein Land zukamen, genauso, wie er gar manches Mal das Recht beugte, um seine Verschwendungssucht aufrechterhalten zu können, ja nicht einmal vor Mord haltmachte! Zwar versuchten sich Vögte und die Ehrbarkeit gelegentlich, und wenn er es allzu bunt trieb, sich zu widersetzen, doch meist gingen diesbezügliche Dispute zu Ulrichs Gunsten aus; diejenigen, die mutig genug waren, ihm ernsthaft Widerstand zu leisten, bezichtigte er des Hochverrats, ließ sie einsperren, aufs Grausamste foltern und schließlich hinrichten. Immer wieder erstaunt es, dass er sich so lange auf seinem Thron halten konnte, dass er gar nach seiner lange fälligen Verbannung im Jahre 1519 und dem darauffolgenden Exil mit Hilfe seines Vetters, dem hessischen Landgrafen Philipp, fünfzehn Jahre später Württemberg zurückerobern konnte und sogleich im ganzen Lande die Reformation einführte und somit zum ersten protestantischen Landesfürsten wurde.
Die schillernde Persönlichkeit, die Herzog Ulrich von Historikern bescheinigt wird, finden wir in Johanna von Wilds Roman, der sich durch gründliche Kenntnis der Epoche, in der er sich zuträgt, auszeichnet, wieder. Er ist der eigentliche Protagonist des Geschehens, wobei sich Tatsachen und Fiktion gelegentlich vermischen, was aber legitim ist, denn schließlich war es nicht die Intention der Autorin, eine Biographie vorzulegen. Bereits früh zeigt sich Ulrichs herrischer Charakter, schon der Junge, der uns zu Anfang begegnet, konnte leicht in Jähzorn ausbrechen, wenn etwas nicht nach seinem Kopfe ging. Nun, vielleicht ist das nur natürlich, wurde er denn von Kindesbeinen an als zukünftiger Herrscher hofiert.
Johanna von Wild stellt ihm, damit unsre Romanhandlung endlich beginnen kann, den Küchenjungen Johannes, der somit der zweite Protagonist ist, zur Seite, den sich der kleine Ulrich höchstselbst und so herrisch, wie wir ihn während der gesamten Geschichte erleben, als Spielgefährte ausgesucht hat. Tatsächlich werden die beiden so ungleichen Jungen Freunde und Johannes schwört dem Onkel des künftigen Landesherren, Eberhard im Bart, dass er Ulrich die Treue halten wird – ein Schwur, an den er sich zeitlebens gebunden fühlt und niemals brechen wird. Leicht wird es ihm nicht gemacht, denn nicht nur lehnt er, der schließlich Arzt geworden ist - ein Privileg, das sollte nicht vergessen werden, das dem armen Bauernsohn allein durch seine Verbindung zu Ulrich zukam, denn trotz seiner großen Begabung und ebensolcher Dedikation auf dem Gebiet der Heilkunst wäre er vom ehemaligen Küchenjungen vermutlich höchstens zum Knecht aufgestiegen -, Ulrichs Lebensweise und seine allzu oft brutalen Kriegszüge ab, sondern ist zudem noch auf der Suche nach der jungen Frau, die er liebt und mit der er Ehebruch begangen hat, wurde sie doch gegen beider Willen mit einem anderen, so rücksichtslosen wie listenreichen, ganz und gar gewissenlosen Opportunisten vermählt. Dieser, der bald zum einflussreichen Kanzler des Herzogs aufsteigt und als solcher weitreichende Machtbefugnisse hat, die er zum Intrigieren und Ausleben seiner Lust am Foltern vermeintlicher und tatsächlicher Feinde des Herzogs missbraucht, hat nicht nur seine Frau und ebenso den Sohn, dessen wirklicher Vater Johannes ist, spurlos verschwinden lassen, sondern verfolgt den Arzt mit seinem Hass, macht ihm das Leben schwer, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
Während der folgenden Jahre ist Johannes unermüdlich bestrebt, Sophie und den gemeinsamen Sohn ausfindig zu machen; der Leser verfolgt mit großem Mitgefühl wie aber auch mit einem gewissen Unverständnis ob seiner Treue zu einem Mann, der sie ihm nicht zu danken weiß, seine fruchtlosen Bemühungen, die immer wieder von Ulrich selber behindert werden, denn er bindet den getreuen Freund als Leibarzt an sich, wie immer ausschließlich an seinen eigenen Bedürfnissen interessiert, gleichgültig gegenüber dem Kummer des ehemaligen Spielgefährten. Und so gehen Jahre ins Land, wichtige Jahre gesellschaftlicher, religiöser und politischer Umbrüche – mitreißend geschildert vor allem die beginnende und allmählich sich Bahn brechende Reformation -, über die man später in den Geschichtsbüchern lesen wird, aber auch verlorene Jahre für Johannes, den so beharrlich Liebenden, wenngleich Jahre, während derer sein segensreiches Wirken gar manchem schwer Erkrankten oder Verwundeten das Leben rettet oder das Leiden lindert. Glücklich all die Menschen, denen der Arzt begegnet, treu dem Eid des Hippokrates wie dem Treuegelöbnis verpflichtet, das dem Herzog galt, der es als selbstverständlich hinnimmt. Und wenn denn wirklich zutrifft, was das Sprichwort „Fortes fortuna iuvat“ - dem Tapferen hilft das Glück -, verheißt, dann bleibt zu hoffen, dass Johannes, der Getreue, schließlich den verdienten Lohn erhalten wird...
Was bleibt am Ende der Lektüre dieses so umfangreichen wie anspruchsvollen historischen Romans mit den beiden überaus gegensätzlichen Protagonisten? Aufgrund der Überfülle, die der Autorin an Quellen zur Verfügung standen, musste das Schwergewicht in der Geschichte vielleicht zwangsläufig auf den immer wieder Unmut, Empörung und Abneigung erregenden Württemberger und seine Taten gelegt werden. Das ging auf Kosten einer durchgängigen Handlung, denn aus Johannes Leben wurden lediglich Episoden aufgegriffen, die letzte und wichtigste wurde in aller Kürze abgehandelt; man verliert den Sympathieträger, ein unerlässliches Gegengewicht also zu seinem Freund, dem Wüterich, immer wieder aus dem Blickfeld zugunsten der unzähligen Macht-, Intrigen- und Kriegsspielchen ( die natürlich alles andere als das waren, sondern tödlicher Ernst für die Abertausende mit hineingezogenen Bürger ), die der verschwenderische, unmoralische, von seiner Allmacht überzeugte Herzog initiierte und über die man leicht den Überblick verlieren konnte. Johannes wird dennoch im Gedächtnis bleiben – und mit ihm die, und das sei lobend angemerkt, zahlreichen, so aufschluss- wie lehrreichen Ausführungen zur Heilkunst im 16. Jahrhundert – der eigentliche rote Faden, denn er zieht sich konstant durch das gesamte Werk -, das umfassende Wissen um die segensreiche ( genauso wie schädliche ) Wirkung dessen, was da grünt und blüht und das man unbedingt davor bewahren sollte, ganz und gar der Vergessenheit anheim zu fallen!