Nicht alle Straftäter sind gleich. Nicht jede Straftat führt ins Gefängnis. Jene Täterinnen und Täter, die durch Sucht oder psychische Krankheit zu gefährlich sind, um wieder Teil der Öffentlichkeit zu werden, müssen in den Maßregelvollzug. Sie werden zu Patienten.
Karoline Klemkes Buch „Totmannalarm“ folgt der Psychotherapeutin und Diplompsychologin Christiane Richter, deren Aufgabe die Behandlung und Evaluation von Tätern ist, die aufgrund schwerer Straftaten im Maßregelvollzug gelandet sind und gewährt neue und spannende Einblicke in Themen wie Gewalt und Psyche. Aus Sicht der Protagonistin erfährt man, wie Täter ihre eigene Schuld wahrnehmen und erleben, wie die Therapie sich auf diese Wahrnehmung auswirken kann, sie ihren eigenen Geist kennenlernen und im besten Fall Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen.
Mir hat „Totmannalarm“ aufgrund vieler Aspekte sehr gut gefallen. Zunächst einmal ließ sich das Buch ungemein gut lesen, nach wenigen Seiten war ich ganz und gar in der Erzählung drin. Es ist eine spannende Mischung aus kapitelübergreifender Entwicklung und Einzelgeschichten. Dabei habe ich die persönliche Entwicklung der Protagonistin als roten Faden der Erzählung empfunden. Ist sie zu Anfang des Buches noch blutige Anfängerin im Maßregelvollzug, so kann man verfolgen, wie sie im Laufe der Zeit ihre Überforderung ablegt, dazulernt und ihre Intuition sich schärft. Auch ihr Privatleben und die Auswirkungen ihrer Arbeit darauf sind bisweilen Thema.
Die Kapitel an sich widmen sich jedoch stets einer ausgewählten Täter-Geschichte, das heißt man erhält Einblicke in die Tat, das Leben und die Psyche des Patienten. Dieser Aspekt des Buches ist ganz schön starker Tobak, auch für die Protagonistin. Die Straftaten, die hier zum Teil beschrieben werden, sind wirklich nichts für schwache Nerven. In diesem Kontext hat mir aber sehr gefallen, wie die Emotionen der Protagonistin dargestellt werden. Sie ist nicht etwa die eiskalte, abgeklärte Psychologin, die sich von sowas nicht aus der Ruhe bringen lässt und dem Täter oder der Täterin vollkommen professionell und unvoreingenommen begegnet, sondern man spürt ihre Wut, ihre Ablehnung, die Angst, all jene Gefühle, die in den Therapiegesprächen aufkommen. Umso beeindruckender ist es, wie sie sich jedes Mal aufs Neue zwingt über ihre eigenen Grenzen zu gehen und das Ziel der Therapie nicht aus den Augen verliert.
Die Fälle und Figuren in diesem Buch sind fiktionalisiert, basieren aber auf den sehr realen Erfahrungen der Autorin, die selbst viele Jahre im Maßregelvollzug gearbeitet hat. Und gerade weil die Erzählung so enorm authentisch rüberkommt, sind die Grenze zwischen Fiktion und Realität in diesem Buch fließend. Es ist ein fesselnde, facettenreiche Lektüre, die nicht nur zu unterhalten weiß, sondern auch zum Nachdenken anregt.