"Das Seehaus" von Kate Morton zu lesen hat eine Weile gedauert. Was auch schon mein erster Kritikpunkt ist. Denn die Geschichte, die sich auf dem Klappentext so spannend anhört, benötigt eine Zeit lang, um in die Gänge zu kommen. Ich habe gute 100 Seiten gebraucht, um in das Buch reinzufinden. Durch diese guten 100 Seiten habe ich mich zwar nicht quälen müssen - so schlimm war es nun wirklich nicht -, aber die Handlung hat sich einfach gezogen, wodurch die Spannung eher ausblieb. Ich wollte unbedingt mehr über die Ereignisse im Haus am See erfahren, stattdessen gab es jedoch mehrere Sichtweisen, die erzählt und damit Charaktere, die vorgestellt werden wollten. Also: Wer dieses Buch anfängt zu lesen, sollte sich auf einen sich ziehenden Beginn vorbereiten.
Danach nimmt die Handlung aber auf jeden Fall Fahrt auf. Nicht nur die Geschichte der Gegenwart (hier ist das 2003) und von 1933 ist wichtig, nein auch dazwischen oder vor allem davor passieren wichtige Dinge, die zum Thema werden und Stück für Stück füllt die Autorin Lücken, die bei der Frage, wie der kleine Junge damals verschwunden ist, blieben. Die Story hat Kate Morton dabei so geschickt gewebt, dass ich bis zum Ende, bis zur Auflösung nicht so recht wusste, wem ich die Schuld zuordnen sollte, weil man immer wieder von neuen Details erfährt, welche die Geschehnisse in neuem Licht erscheinen lassen.
Sehr interessant hier finde ich außerdem, dass so viele Geschichten erzählt werden. Die Hauptgeschichte ist die des Verschwindens von Theo Edevane, Alice Edevanes kleinem Bruder, das bis zur Gegenwart noch nicht geklärt wurde. Aber auch in der Gegenwart gibt es einen Fall, der dem anderen nicht so unähnlich ist und an dem Sadie Sparrow arbeitet beziehungsweise gearbeitet hat. Und dann wird auch immer mal wieder die Geschichte von Eleanor und Anthony, Alices Eltern erzählt.
Was ich noch toll gemacht finde, ist, wie die geschichtlichen Ereignisse in das Buch verwoben werden. Das war hier vielleicht zu erwarten - immerhin spielt "Das Seehaus" um die Zeit von zwei großen Weltkriegen -, aber das ist ja leider nicht bei jedem solchen Buch so und es umgesetzt zu sehen ist dann doch nochmal was anderes und macht noch einen Tick mehr Spaß zu lesen.
So, das war jetzt schon viel zum Inhalt. Jetzt mal etwas zum Schreibstil. Erzählt wird die Geschichte aus mehreren Perspektiven, was am Anfang vielleicht noch etwas verwirrend ist, dann jedoch besser wird, weil man sich daran gewöhnt. Als Haupterzählerinnen würde ich Sadie (in der Gegenwart) sowie Alice und Eleanor (in der Vergangenheit) nennen. Daneben gibt es aber auch Kapitel oder manchmal auch bloß Abschnitte, die aus anderen Sichtweisen geschrieben sind. So ergibt sich nach und nach ein vollständiges Bild, da man durch diese verschiedenen Perspektiven immer wieder etwas Neues erfahren kann.
Der Schreibstil lässt sich ziemlich gut lesen und hat mir im Grunde auch gefallen, nur mit einer Ausnahme: Die Autorin hat oft lange beschreibende Passagen in ihrem Buch. Das ist manchmal ganz okay, zum Beispiel als Sadie zum ersten Mal Loeanneth (das Haus am See) sieht, aber an anderen Stellen kam es mir eher sinnfrei vor, die gerade nicht so wichtige Umgebung oder die Vögel oder was auch immer zu beschreiben. Da habe ich mich dann das ein oder andere Mal dabei erwischt, wie ich solche Stellen übersprungen habe. Aber wie schon gesagt, ansonsten ist der Schreibstil angenehm zu lesen, auch wenn ich eigentlich kein so großer Fan der Kombination Vergangenheitsform und dritte Perspektive bin.
Die Charaktere hingegen glänzen meiner Meinung nach wieder. Wie oben erwähnt gibt es mehrere Protagonisten in diesem Buch und ich finde, dass sie alle toll beschrieben sind und vielschichtig und authentisch rüberkommen. Einmal angefangen bei Sadie, der jungen Polizistin mit der eher schwierigen Vergangenheit. Sie wurde mir im Laufe des Buches immer sympathischer, weil sie nicht dem Bild der netten, ehrbaren Polizistin entsprach, sondern auch mit persönlichen Dingen gerungen hat. Sie hat nicht immer die besten oder schlauesten Entscheidungen getroffen, war für mich aber genau dadurch eine tolle Protagonistin. Genauso Alice, die man erst als Mädchen und dann als alte Frau kennenlernt. Hier fand ich es unglaublich interessant zu lesen, wie sie sich über die Jahre verändert hat und in welchen Aspekten sie noch immer das junge Mädchen von damals war. Genau das gleiche hat mich an Eleanor fasziniert, denn auf den ersten Blick scheint es, als wären die Mutter, die sie für Alice und deren Geschwister ist, und die junge Frau von früher zwei gänzlich verschiedene Personen, sie haben für mich einfach gar nicht zusammengepasst. Bis ich die Hintergründe erfahren habe, die mir Eleanor ans Herz haben wachsen lassen.
Was ich an dem Roman noch gut finde, ist, dass die Nebencharaktere nicht völlig außen vor gelassen werden, sondern ebenfalls ausreichend beleuchtet werden, sodass man sich ein gutes Bild von ihnen machen kann. Ja, sie sind nicht so schön ausgearbeitet wie die drei Frauen, um die sich die Geschichte hauptsächlich dreht, aber die meisten von ihnen wurden mir mit ihrer jeweils eigenen Art trotzdem sympathisch.
Alles in allem hat mich "Das Seehaus" von Kate Morton von sich überzeugen können, was vor allem an den toll ausgearbeiteten Figuren und der sich spannend entwickelnden Handlung liegt. Allerdings hat es auch ein paar Schwächen. Zum Einen ist mir der Einstieg in die Geschichte nicht gerade einfach gefallen, da ich finde, dass er sich wirklich zieht, bis es interessanter wird, und zum anderen kamen mir ein paar zu viele ausführliche Beschreibungen vor, von denen meiner Meinung nach gut und gerne so manche hätte weggelassen werden können. Insgesamt kann ich die Lektüre jedoch empfehlen.