Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Zum einen begleiten wir die 32jährige Maya durch ihr heutiges Leben. Zum anderen ihre Ziehmutter Karoline durch deren Leben im Jahr 1984/1985. Die Rückblenden sind immer recht kurz, aber genau so lang, dass man wieder ein kleines Puzzlestück aus Karolines Vergangenheit und damit Mayas Hintergrundgeschichte zusammensetzen kann.
Ich habe mich von der ersten Begegnung an zu Maya hingezogen gefühlt. Reiseblogger üben auf mich, als Mensch, der eigentlich ständig von Fernweh geplagt ist, einen ganz besonderen Reiz aus. Sie erleben fast 365 Tage im Jahr das, was wir Anderen nur in den wenigen Wochen Urlaub vom normalen Job erleben dürfen. Dass der “Job” auch Schattenseiten hat war mir auch vorher klar, wird aber von Katharina Herzog in diesem Buch nochmal sehr schön und drastisch herausgearbeitet.
Maya scheint mir eine sehr sensible, verletzliche junge Frau zu sein, die mit ihren vielen Reisen auch ein Stück weit vor sich selbst wegläuft, auch wenn sie sich das nicht eingestehen will. Aber auch dieses vor sich selber weglaufen konnte ich sehr gut nachvollziehen. Ich glaube, dass es Menschen gibt, die für ein solches Nomadenleben wirklich geboren sind, ich glaube aber auch, dass Maya eigentlich nicht zu diesen Menschen gehört. Aus meiner Sicht hat die Autorin mit der Protagonistin eine in sich absolut stimmige Figur geschaffen. Mich hat Maya sehr fasziniert. Neben aller Zerrissenheit empfand ich sie dann aber auch wieder als unheimlich starke junge Frau. Vor allem auch, weil sie es schafft, sich über die Geschichte hinweg weiter zu entwickeln, was sicher auch ihren Lebensumständen geschuldet ist. Sie muss quasi über ihre eigenen Schatten springen, wenn sie sich nicht selbst völlig verlieren will.
Ich muss hier übrigens nochmal was zwischen schieben: Was mir sehr selten passiert ist, dass mich Figuren in Büchern so sehr berühren, dass ich das Gefühl habe, dass sie echt sind. Normalerweise kann ich sehr gut zwischen wahrem Leben und einer fiktiven Geschichte unterscheiden. Hier war es tatsächlich so, dass ich, nachdem ich diese Rezension vorbereitet hatte, die Kommentare zur Leserunde bei Lovelybooks gelesen habe. Wie da teilweise über Maya hergezogen wurde und wie wenig Verständnis ihr entgegen gebracht wurde, das hat mich total wütend gemacht. Wie gesagt, das kenne ich sonst überhaupt nicht von mir. Spricht dafür, dass Katharina Herzog hier wirklich eine Protagonistin geschaffen hat, die für mich absolut real und lebendig geworden ist.
Die Nebenfiguren, wie Karoline, die vielleicht auch eher ein Hauptfigur ist, da sie ihren eigenen Erzählstrang hat, Bine, Lasse oder auch Alejandro sind schön ausgearbeitet. Jeden einzelnen Inselbewohner bzw. -besucher konnte ich mir sehr gut vorstellen. Gerade die Farbenvielfalt der Bewohner der Finca de la Luz kam richtig gut rüber. Ein bisschen esoterisch angehaucht machte es Spaß, den Bewohnern beim erzählen ihrer Geschichten zu lauschen. Vor allem Bine ist mir da in Erinnerung geblieben. Mutig, in ihrem Alter nochmal etwas Neues zu wagen.
Etwas mehr hätte ich gerne noch von Karoline im “Heute” erfahren. Wir lernen sie im Jahr 84/85 sehr gut kennen, aber wie sie heute denkt, das bekommen wir leider nicht so richtig mit. Wie ist sie mit dem Kontaktabbruch ihrer Ziehtochter fertig geworden? Wie hat sie ihr Leben weitergelebt? In ihrem eigenen Strang erschien mir Karoline als sehr starke, zielstrebige junge Frau, die ihren Platz im Leben gefunden hatte. Heute erscheint sie mir eher etwas in sich gekehrt und zurück gezogen. Was hat das Leben mit ihr angestellt, fragt man sich unweigerlich.
Für mich war “Der Wind nimmt uns mit” zwar ein absoluter Sommer-Wohlfühl-Roman, aber mit sehr viel Tiefgang. Es geht um eine junge Frau (darf man das mit 32 Jahren noch so sagen?), die ihren Platz im Leben bereits gefunden hatte. Im Gegensatz zum Leser, der von Anfang an weiß, dass Karoline nicht Mayas leibliche Mutter ist, erfährt Maya dies erst als Erwachsene. Hals über Kopf lässt sie ihr Leben hinter sich und baut sich ein neues Leben als Reisebloggerin auf. Auch hier hat sie über Jahre hinweg ihren neuen Platz im Leben gefunden; anfangs sicher durch die Umstände etwas erzwungen und eher um aus ihrem eigentlich sehr glücklichen Leben zu fliehen, aber sie wirkte auf mich zunächst nicht unglücklich mit ihrem aufregenden Leben immer auf der Überholspur. Wie es aber jeder von uns kennt, kommt irgendwann der Punkt, an dem man sein Leben doch wieder überdenkt/ überdenken muss und für Maya ändert sich plötzlich noch einmal alles.
Ganz besonders berührt hat mich folgendes Zitat von Maya (S. 241):
“Ich wünschte, ich hätte einen solchen Ort auch schon gefunden. […] Einen Ort, an dem Stillstand für mich erträglich ist und an dem ich Erinnerungen finde, ohne dafür um die halbe Welt zu reisen.”
Ich glaube, dass dabei, ihr Leben nochmal wieder neu zu ordnen zum einen der Charme und die ruhige Gelassenheit der Insel La Gomera geholfen haben, zum anderen aber auch Lasse einen großen Teil beigetragen hat. Lasse war die andere Figur, die mich enorm beeindruckt hat. Er wirkt so absolut in sich ruhend. Früher ein bekannter und ruhmreicher Wakeboarder hat er heute eine kleine Werkstatt, in der der Möbel aus altem Holz fertigt. Er strahlt so etwas aus, was ich mir selber für mich wünschen würde. Angekommen im Leben und mit sich im Reinen.
Von mir gibt es 5 Sterne und eine mega Leseempfehlung. Ich habe keine Ahnung, ob ich rüberbringen konnte, wie sehr mich dieses Buch berührt hat. Aber ich hoffe, dass es ein bisschen bei euch angekommen ist. Ich bin völlig hin und weg von Maya und ihrer Geschichte.